Die Sozialisten seien die Lobbyisten jener, die am Ende des Monats Schwierigkeiten hätten, die Enden zusammenzubringen, sie wollten den Sozialstaat dort verbessern, wo er am meisten benötigt werde. LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider, der 2013 angetreten war, um die Fenster weit aufzureißen und den CSV-Staat zu entstauben, ließ auf dem Limpertsberger Programmkongress am Donnerstag voriger Woche keinen Zweifel daran, dass die LSAP in diesem Wahlkampf voll auf ihren historischen Geschäftsfundus, den Sozialstaat, setzt. Die Meinungsumfragen lassen die Partei besonders in ihrer Hochburg, im industriellen Südbezirk, Verluste befürchten, und diese Wähler holt man nicht mit Asteroidenbergbau zurück.
Der Erhalt der Rentenversicherung und der automatischen Indexanpassung, eine Mindestlohnerhöhung um 100 Euro netto zu Beginn der Legislaturperiode seien bei Koalitionsverhandlungen eine rote Linie und ein Contrat social, beteuerte Etienne Schneider. Parteipräsident Claude Haagen hatte auf dem Parteitag Ende März auch noch die Verallgemeinerung des Drittzahlers in der Krankenversicherung und Steuervergünstigungen für Alleinerziehende in der Steuerklasse 1a zu den „roten Linien“ gezählt. Sie stehen aber im Wahlprogramm.
Nach dem Kampf gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise während der vorigen Legislaturperiode und nach der wirtschaftlichen Konsolidierung während der gegenwärtigen Legislaturperiode müsse die nächste dazu dienen, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, versprach Etienne Schneider. Das heißt, die Partei hat fünf Jahre gesät, auch mit Mehrwertsteuererhöhungen und Kindergeldkürzungen; wenn die Wähler nun ernten wollen, müssen sie noch einmal die LSAP wählen.
Während Jahren, Jahrzehnten wollte die LSAP sich damit begnügen, den Sozialstaat vor einer Demontage wie in anderen Ländern zu schützen, wenn sie nicht gleich vor jeder neoliberalen Mode kapitulierte. In der Besinnung auf ihr politisches Kerngeschäft rangiert unter den „großen Herausforderungen und Prioritäten für die kommenden Jahre“ nun die Stärkung und Absicherung des Sozialstaats an erster Stelle, Klima- und Umweltschutz beispielsweise kommen erst auf Platz zwölf (S. 6). Ein ausgerechnet von dem ehemaligen Gewerkschafter Mario Castegnaro eingebrachter Antrag zugunsten eines bedingungslosen Grundeinkommens verwarf der Programmkongress nach energischen Einwänden von Etienne Schneider und Arbeitsminister Nicolas Schmit.
Selbstverständlich versprachen die Wahlprogramme der LSAP immer wieder die eine oder andere soziale Verbesserung, meist schon bescheiden im Rahmen eines Koalitionsangebots an die CSV. Aber nun verkündet die LSAP das Ende der Bescheidenheit und will die in den Achtzigerjahren in Vergessenheit geratene Vorstellung von sozialem Fortschritt als politisches Programm wiederbeleben. Nicht durch Tarifverträge und sozialpartnerschaftliche Abkommen, wie sie inzwischen selbst von Gewerkschaften bevorzugt werden, sondern durch allgemeinverbindliche Änderungen des Arbeitsrechts für alle. Neu daran ist vor allem, dass die Partei erstmals wieder daran glauben will, ihre Versprechen vom sozialen Fortschritt auch halten zu können. Wie, weiß sie nicht genau, denn sie vertraut da nicht auf die Kampfbereitschaft des OGBL, sondern auf die legendäre Unverfrorenheit ihres im März mit 94,74 Prozent der Delegiertenstimmen gekrönten, oft als linksliberal kritisierten Spitzenkandidaten. Und sie hofft, dass die Wähler auch daran glauben werden. Im Kleingedruckten kann man manchmal nachlesen, wer zahlen soll. Wenn etwa der Mindestlohn nicht um 100 Euro brutto, sondern netto erhöht werden soll.
Dass nun die Stunde des sozialen Fortschritts schlagen soll, begründet die LSAP mit der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der Produktivitätsgewinne aus der Digitalisierung der Wirtschaft. Da aber selbst der unverbesserliche Optimist Jeremy Rifkin diese Produktivitätsgewinne in fernerer Zukunft jenseits der nächsten Legislaturperiode sieht, geht die LSAP, wie die DP, wohl eher davon aus, dass bei fünf Prozent Wirtschaftswachstum kein Grund zur Knauserigkeit besteht – und hofft, dass die gute Konjunktur noch etwas anhält. So dass sogar das Versprechen der „Vollbeschäftigung“ eingehalten werden könnte: „In der nächsten Legislaturperiode soll die Arbeitslosenquote auf unter 4 Prozent gesenkt werden, das Erreichen dieses Eckwerts gilt als Vollbeschäftigung“ (S. 56).
In Absprache mit der Parteiführung und dem Spitzenkandidaten hatte der zur Parteilinken zählende Innenminister Dan Kersch einen Änderungsantrag der Sektionen Schifflingen und Käerjeng vorgebracht. Darin „befürwortet die LSAP eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf ein gesetzlich festgelegtes Maximum von 38 Stunden pro Woche“. Mit dem gleichen Antrag wurde auch noch eine sechste gesetzliche Urlaubswoche ins Wahlprogramm geschrieben, wenn „der Jahresurlaub im Privatsektor während einer Fünf-Jahresperiode jährlich um 1 Tag verlängert“ wird (S. 57). Allerdings gehört die Arbeitszeitverkürzung nicht zu den „roten Linien“ bei Koalitionsverhandlungen. Die Jungsozialisten hatten in einem Antrag die 35-Stundenwoche vorgeschlagen, aber Wirtschaftsminister Etienne Schneider rechnete vor, dass dies einer Lohnerhöhung um 12,5 Prozent gleichkäme, die gegenüber den Sozialpartnern nicht durchsetzbar sei. Die JSL zog ihren Antrag zurück.
„Für die LSAP gibt es keine Notwendigkeit, den Unternehmenssteuersatz weiter zu senken“, heißt es im Wahlprogramm (S. 75). Dafür wird sie aber „im Rahmen einer weiteren Steuerreform die mittleren und unteren Einkommen entlasten und dabei verstärkt Alleinerzieher, Mindestlohnbezieher und Verwitwete berücksichtigen“, auch als Gegenleistung für eine Erhöhung der Grundsteuer durch die Neubewertung aller Immobilien. Die Steuerklasse 1a für Verwitwete und Alleinerziehende, deren Steuergutschrift „deutlich angehoben“ wird, soll nicht abgeschafft, sondern „im unteren Bereich günstiger gestaltet“ und so „an die Steuerklasse 2 angenähert“ werden (S. 74). Die Individualbesteuerung soll lediglich langfristig, das heißt nicht während der kommenden Legislaturperiode, eingeführt werden. Die 2013 versprochene Wiedereinführung der Vermögenssteuer wird nicht mehr erwähnt, das Wort „Erbschaftssteuer“ fällt auf den 109 Seiten nicht.
Die Partei plädiert für „ein angemessenes Wirtschaftswachstum“ zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Finanzierung des Sozialstaats (S. 64) und will Luxemburg auch nach dem Rückzug der geplanten Steinwolle-Fabrik als „Produktions- und Industriestandort erhalten“ (S. 63). Durch ihre Herkunft aus der Arbeiterbewegung bleibt die LSAP „produktivistisch“, dabei ist sie wie kaum eine andere Partei zu einer Beamtenpartei geworden. Sie hatte nun das Glück, mit Dan Kersch den großzügigen Minister zu stellen. Deshalb verspricht sie ausführlich „die Stärkung des öffentlichen Dienstes, eine gut ausgebildete Belegschaft und ein kohärentes Personalentwicklungskonzept“ (S. 9).
Die Offensive der DP für eine unentgeltliche Verlängerung des Elternurlaubs hat die LSAP mit einer vorsichtigen Ergänzung zum Wahlprogramm beantwortet, um „ein Recht auf Teilzeitarbeit aus familiären Gründen“ bis zum 12. Lebensjahr eines Kindes zu schaffen, bei der „der Staat die Beiträge zur Rentenversicherung für eine Reduzierung von bis zu 30% pro Elternteil“ übernehmen soll (S. 21). Nachdem die DP den kostenlosen Personentransport versprochen hatte, reichten die Jungsozialisten einen fast einstimmig gutgeheißenen Änderungsantrag nach, der nach einigen zusätzlichen Änderungen festhält, dass die LSAP sich während der nächsten Legislaturperiode „für kostenlosen, öffentlichen Nahverkehr“ einsetzen und gleichzeitig das Angebot verbessert wird. Auch die LSAP will eine schnelle Trambahn zwischen Luxemburg und Esch/Alzette. Um die CSV auf dem familienpolitischen Terrain zu schlagen und Kritiken an der Kindergeldreform von 2016 abzublocken, will die Partei „ab 2019 das Kindergeld strukturell erhöhen und anschließend wieder regelmäßig an die Preisentwicklung anpassen“ (S. 22).
Die langfristige Finanzierung der Rentenversicherung könne durch „alternative Einnahmequellen (z.B. eine Finanztransaktions- oder eine Robotersteuer)“ (S. 45) gewährleistet werden, aber das Wort „langfristig“ steht in Wahlprogrammen stets für „unverbindlich“. Doch wie die meisten Parteien zeigt die LSAP sich etwas vorsichtiger in ihrer Begeisterung für die Finanzbranche. Sie schreibt skeptisch über Schattenbanken und andernorts von der Regierung geförderte Kryptowährungen und will die Sanktionsmöglichkeiten gegen Finanzakteure „verschärfen“ (S. 67). Die LSAP hält auch am Tanktourismus fest, den selbst die Grünen nur noch „mittelfristig verringern“ wollen. Denn „höhere Spritpreise“ würden zwar „den Tanktourismus tendenziell verringern und den Treibstoffverkauf zunehmend in unsere Nachbarländer verlagern“, die globale CO2-Bilanz verbessere dies aber nicht und es schade den Staatseinnahmen.
Die Immobilienpreise sollen durch eine nationale Spekulationssteuer auf ungenutzten Immobilien, eine Wertschöpfungsabgabe auf umklassiertes Bauland, Enteignungen, eine Mietpreisbreme und einen staatlichen Baulandfonds gebremst werden. Der Bëllegen Akt soll um 10 000 Euro pro Kind und der Höchstbetrag für Bauarbeiten, auf dem lediglich drei Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden, von 50 000 auf 60 000 Euro erhöht werden.
Im Bildungswesen verspricht die LSAP „den landesweiten Ausbau von öffentlichen Ganztagsschulen“ (S. 49) und eine „Ausweitung der Ausbildungspflicht auf 18 Jahre“ (S. 51). „Cannabis-Verkauf und -Konsum auch für rekreative Zwecke ab 18 Jahren“ (S. 17), und „Anpassung des legalen Alters für den Kauf von alkoholischen Getränken von derzeit 16 auf 18 Jahre“ (S. 41). Die LSAP lehnt ein nationales Referendum über Zwangsfusionen von Gemeinden ab. Nach der aus dem privatwirtschaftlichen Managerismus übernommenen Mode der Audits und der in Frankreich beliebten nationalen Kommissare entdeckt die LSAP nun die diejenige der Observatorien: Sie will „ein unabhängiges Observatorium für die Evaluierung öffentlicher Politiken“ (S. 11) und ein „Observatoire de laïcité et du fait religieux“ (S. 18).