Seit fünf Jahren bereiten sich Splitterparteien von Rechtsliberal bis Rechtsextrem auf die Kammerwahlen vor – die meisten vergebens

Phantomparteien

d'Lëtzebuerger Land du 13.07.2018

Außerhalb winziger Zirkel Unbekannte tun sich seit dem Antritt der DP/LSAP/Grünen-Koalition zusammen, um neue Parteien zu gründen und am 14. Oktober bei den Landeswahlen zu kandidieren. Ihre Beweggründe sind oft dieselben: ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, der europaweit grassierende Nationalismus und Protektionismus, Unmut über die zu liberale oder ungenügend liberale Regierungskoalition, mangelnde Anerkennung in bisherigen Parteien, ein nächtelang über Facebook aufgeblähtes Geltungsbedürfnis. Die austauschbaren Namen ihrer Vereinigungen, die aus den ewigen hohlen Phrasen rechter Parteien zusammengeklaubten politischen Bekenntnisse, die oft fehlerstrotzenden Grundsatzerklärungen drücken vor allem eine Sprachlosigkeit gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen, undurchschaubaren politischen Bewegungen aus.

Sämtliche dieser Parteigründungen kommen von rechtsliberal bis rechtsradikal, keine neue Splitterpartei will links sein. Einzelne Protagonisten kommen aus anderen Parteien, von ADR über CSV und DP bis KPL, manche fühlen sich nicht von einer Weltanschauung, sondern von Extremen angezogen. Was sich Partei nennt, ist meist ein Parteivorstand ohne Partei, ein Stammtisch von Häuptlingen ohne Indianer. Und so bleiben sie meist Phantomparteien, die nach einer Web-Seite und einigen Pressemitteilungen als Höhepunkt ihrer Existenz erleben, wie RTL über eine Pressekonferenz von ihnen berichtet. Kaum eine dieser Phantomparteien schafft es, die Hürden des Wahlgesetzes zu überwinden und zu kandidieren.

Déi Liberal Nach der Koalition der DP mit der LSAP und den Grünen spalteten sich im Juni 2015 einige neoliberale Mitglieder ab und gründeten déi Liberal. „Déi Liberal setzen sich“ laut ihrer Grundsatzerklärung „für die absolute Freiheit und Würde jedes Individuums ein.“ Sie „wollen einen freiheitlichen Rahmen schaffen, in dem die Wirtschaft sich frei entwickeln kann, ohne permanent von Krisen erschüttert zu werden“, und befürworten, ähnlich wie die Gründer der Alternative für Deutschland, „ein System des freien Geldes, denn nur freies Geld kann größere Wirtschaftskrisen langfristig vermeiden“. Dazu gehört auch ein „Minimalstaat, welcher sich auf einige Kernaufgaben (Diplomatie, Sicherheit, Justiz) beschränkt“, um „den Menschen aus der staatlichen Knechtschaft zu führen“.

Geistiger Vater der Liberal ist der ehemalige DP-Staatsrat, Regierungsrat und DP-Schatzmeister Claude A. Hemmer. Er hatte nach der Wahlniederlage der DP 2009 auf einem Parteitag vorgeschlagen, dass die DP gegen die Konkurrenz der als Kaufhäuser auftretenden Volksparteien „nicht als kleiner Supermarkt, sondern nur als Feinkostladen“, als radikalliberale Sekte überleben könne. Aber die Parteimitglieder wollten ihm nicht folgen. Deshalb kündigte als Sprecher der Liberal der Rechtsanwalt und ehemalige Vizepräsident der Jungdemokraten, Laurent Heisten, im Mai 2016 im Luxemburger Wort an: „Falls wir uns aber so positiv weiterentwickeln wie in den vergangenen Monaten, ist die Parteigründung natürlich auch ein Ziel. Um an Wahlen teilzunehmen, und 2018 ist da durchaus realistisch, müssen wir zunächst aber genügend Kandidaten aufstellen.“ Allerdings zeigte sich binnen weniger Monate, dass der platte Dogmatismus von déi Liberal nicht einmal der DP Angst einjagte. Déi Liberal seien „keine Partei, sondern ein Think Tank“, erklärte Laurent Heisten diese Woche gegenüber dem Lëtzebuerger Land, deshalb würden sie „nicht bei den nächsten Parlamentswahlen kandidieren“. Allerdings planten sie, die Wahlprogramme der einzelnen Parteien zu analysieren und „sie aus liberaler Sicht zu beleuchten und kurz zu kommentieren“.

En marche Mit einer anonymen Anzeige im Luxemburger Wort hatte der Hausarzt und Präsident der Jägerföderation, Georges Jacobs, Mitte Mai dieses Jahres dazu aufgerufen, eine „überparteiliche Bewegung“ nach dem Vorbild von La République en marche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu gründen; fünf Monate vor den Parlamentswahlen sei ein exzellenter Zeitpunkt dafür. Die Bewegung wollte unter Berufung auf die Wertecharta der französischen En marche freudig und selbstbewusst für die Gemeinschaft, für Europa sowie für die Werte eintreten, die die Gesellschaft ausmachten. Ihr Ziel hieß: „Ofséchere vun eisem Wuelstand duerch e progressivt Iwwerwanne vun der Wuesstëmsspiral.“

Doch in einer ebenfalls anonym im Luxemburger Wort inserierten Replik eines Jagdkollegen musste sich Georges Jacobs vorwerfen lassen, sein heimliches Vorbild sei eher die rechtsradikale „Chasse, pêche, nature et traditions de Jean Saint-Josse“. Schließlich habe er im Jägerverband dazu aufgerufen, „de s’engager dans le parti di Gréng ou, à défaut, de voter pour eux, vous avez en­suite démissionné du comité de l’ADR et été refusé par le CSV de figurer sur leur liste“. Kurz darauf erklärte ­Georges Jacobs in einer Anzeige, die abzudrucken das Luxemburger Wort ablehnte, dass „net genuch Leit sech gemellt“ hätten, um „bei de Parlamentwale vum 14. Oktober matmaachen ze kënnen“.

Déi Konservativ Schweren Herzens hatte die ADR im März vergangenen Jahres ihren von dem Abgeordneten Fernand Kartheiser protegierten und 2011 in den Petinger Gemeinderat gewählten Hoffnungsträger Joe Thein ausgeschlossen. Seine allzu rechten Positionen und zuletzt seine Zustimmung zu einem Facebook-Kommentar, der zu einem Mordanschlag auf Außenminister Jean Asselborn (LSAP) ermunterte, drohten der Partei zu schaden. Daraufhin gründete der Geschichtsstudent wenige Tage später mit Unterstützung von Familienangehörigen seine eigene Partei, déi Konservativ.

Vor zwei Wochen stellte er ein 40-seitiges Manifest für die Kammerwahlen vor, das unter der Losung „Méi Demokratie a Fräiheet fir Lëtze­buerg“ die „chrëschtlech-kathoulesch Prägung“ des Landes gegen Multikulturalismus und Asylsuchende verteidigen, Wanderzirkusse verbieten, eine Monorail-Bahn und Hundeführerscheine einführen soll. Bei dieser Gelegenheit stellte Joe Thein, der vergangenes Jahr die Rückkehr in den Petinger Gemeinderat verfehlt hatte, erst einmal zwei von 23 Kandidaten im Südbezirk vor.

PID Nach seinem Austritt aus der ADR hatte der damalige Abgeordnete und Arzt Jean Colombera versucht, sein Parlamentsmandat im Norden zu retten, und nach dem Vorbild der Integralen Politik Schweiz die Partei für integral Demokratie gegründet. Die vor allem für einen holistischen Naturschutz eintretende Partei hatte noch im Frühjahr ein eigenes Wahlprogramm ausgearbeitet, das von der Legalisierung des Cannabis bis zum bedingungslosen Grundeinkommen reichte.

Trotz ihres Hangs zur Esoterik ist die Partei nach einem Fiasko bei den Wahlen 2013 nun realistisch genug, auf eine eigenständige Kandidatur zu verzichten. Sie beschloss, im Oktober mit 15 Mitgliedern eher unauffällig unter der Flagge der Piratenpartei zu kandidieren. Auch die gegen das Referendum 2015 geschaffene nationalistische ­Facebook-Seite „Neen 2015“ will nun als Wee 2050 weitermachen, der Erdkundelehrer Fred Keup und fünf weitere Protagonisten kandidieren aber nicht selbstständig, sondern auf Listen der ADR.

Biergerpartei Zehn Tage nach dem gescheiterten Referendum von 2015 hatte der Frührentner Daniel Rinck im Namen seiner Facebook-Seite „Groupe Neiwahlen“ eine Unterschriftensammlung auf der Internetseite des Parlaments eingereicht, um „d’Demissioun vun der aktueller Regierung, der sougenannte Gambiakoalitioun“ zu fordern. Gleichzeitig taufte er zusammen mit Vivi Bononi und Nadia Renkens die Gruppe um in Lëtzebuerger Bierger Partei. Sie sollte laut ihrer ersten Erklärung „fir eng Politik fir den Bierger an mam Bierger zesummen“ stehen und selbstverständlich für „Transparenz, Solidari­téit“ und die Luxemburger Sprache, gegen jede Form von Ungerechtigkeit und für eine sozial gerechte Familien- und Steuerpolitik. Deshalb wollte sie Kandidaten in allen Bezirken suchen, damit nach den Wahlen keine Partei an der Bürgerpartei vorbeikomme, aber „Memberen vun eiser Partei stinn am Virfeld net fir en Ministermandat zur Verfügung“.

Anfang 2017 begleiteten Daniel Rinck und seine Parteikollegin Vivi Bononi dann Lucien Welter ins Parlament, um ihn bei der Vorstellung der Petition zu unterstützen, die Luxemburgisch zur Amtssprache erklären wollte. Nun kandidiert ­Daniel Rinck als einer der sechs sehr rechten Vertreter von Fred Keups Wee 2050 Neen 2005 auf der Nord-Liste der ADR. Das war das Ende der Biergerpartei.

Biergerlëscht Statt der Biergerpartei will nun eine Biergerlëscht im Oktober kandidieren. Sie begann als Biergerinititiativ Demokratie mit der Losung „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn, fräi an onofhängesch“ und forderte Referenden über eine Rücknahme von Steuererhöhungen der letzten Jahre, über Einwanderungsmaßnahmen, über die Ausweisung von Flüchtlingen, die die öffentliche Ordnung gefährden, über die Staatsbürgerschaft, das Eherecht, Bildungsreformen, über das Bevölkerungswachstum und die Europapolitik.

Inzwischen nennen sich die Initiatoren Méi Demokratie fir Lëtzebuerger Biergerlëscht –­Demokratie 2018 und wollen Listen für die Parlamentswahlen im Oktober aufstellen. Koordinationsleiter sind die Anlageberaterin einer lokalen Bank, Sonja Holper, und der vorbestrafte Lee Michel Baseggio, der sich nach verschiedenen anderen Berufsbezeichnungen als Psychotherapeut ausgibt und Anhänger eine Unabhängigen Katholischen Kirche ist. Assistent der Koordinationsleitung ist der Barbier Mike Treinen, der auf Facebook für die Luxemburger Sprache wirbt. Sekretärin ist die Hausfrau ­Pauline Raach, die 2009 für die Kommunistische Partei im Osten kandidiert hatte. Ob sie bis Mitte nächsten Monats Listen zustande bekommen, ist nicht abzusehen.

FÖDP, SLP, FSA Die Anfang September 2016 in Esch-Alzette gegründete Fräi ökologesch demokratesch Partei, die sich als „déi gréng Alternativ“ zu den Regierungsgrünen ausgab, hatte es von allen Phantomparteien am weitesten gebracht: Vor zwei Monaten hatte sie eine halbe Kandidatenliste im Südbezirk fertig und ein fünf Seiten langes Wahlprogramm, das vom Religionsunterricht über den Austritt aus der Nato und den Tierschutz bis zur Radhelmpflicht reichte. Präsident war der Briefträger Ronald Mordiconi, der 2013 im Zentrum auf der Liste der Kommunistischen Partei kandidiert hatte, Vizepräsident der Kampfsporttrainer Steve Melmer, der von der kurzlebigen Sozialdemokratesch Vollekspartei des vorbestraften Geschäftsmanns Nico ­Castiglia (zuvor ADR und Piratenpartei) kam, die sich zum französischen Front national bekannt hatte. Doch über der Frage, wie weit rechts die FÖDP stehen sollte, spaltete sie sich Mitte Juni. Ronald Mordiconi gründete Ende Juni eine Sozialliberal Partei Lëtzebuerg, die „oppen, fair, innovativ“ und für ein modernes Luxemburg sein will. Steve Melmer kündigte die Gründung einer Fräi ­sozial Alternativ an, die in ihrem Logo die vom Front national bekannte Flamme trägt und sich „wirtschaftspolitisch linksradikal und gesellschaftspolitisch rechtsmoderat“ nennt.

Möglicherweise gelingt es nur einer oder keiner der sich bei der Kandidatensuche um die gleichen verbitterten Rentner, frustrierten Hausfrauen und wütenden Jugendlichen streitenden Phantomparteien, eine Kandidatenliste für den 14. Oktober aufzustellen. Denn mit der Reform des Wahlgesetzes im Jahr 2003 wurde die Zahl der für die Hinterlegung einer Wahlliste vorgeschriebenen Unterschriften vervierfacht. Laut Artikel 135 des Wahlgesetzes muss eine Kandidatenliste nun pro Wahlbezirk 100 Unterschriften von Wahlberechtigten sammeln, um sich zur Wahl stellen zu dürfen. Dadurch sollte, so seinerzeit der Motivenbericht zum Gesetz, „le développement excessif de groupuscules fantaisistes“ verhindert werden. Als Folge der Zersplitterung der Grünen und des Aufkommens rechtsradikaler Listen hatte die Zahl der Listen 1989 mit 16 einen Nachkriegsrekord erreicht, von denen allerdings nur fünf in sämtlichen Bezirken kandidierten. Bei den folgenden Wahlen war die Zahl der Listen wieder gesunken, weniger wegen der Reform des Wahlgesetzes, als wegen der Vereinigung der Grünen und dem Scheitern der rechtsradikalen Listen. So dass von einer exzessiven Entwicklung keine Rede sein konnte.

Aber der Motivenbericht zum neuen Wahlgesetz hatte auch gefunden, dass „le nombre de signatures actuellement exigé (au nombre de 25) est insuffisant pour garantir le sérieux nécessaire aux listes concernées”. Mit der notwendigen Seriosität war vielleicht gemeint, dass mit einer wachsenden Zahl von Listen die parlamentarischen Mehrheiten von CSV, LSAP und DP kleiner wurden, weil sie lange Zeit weder ADR, noch Grüne als koali­tionsfähig ansahen. Etablierte Parteien brauchen allerdings keine Unterschriften zu sammeln, weil ersatzweise auch die Unterstützung durch einen Abgeordneten oder drei Gemeinderäte pro Bezirk ausreicht. Das hatte der Staatsrat kritisiert als Wiedergeburt der „notion de notables que leurs prétendues sagesse ou perspicacité feraient sortir de la masse des citoyens ordinaires“. Eine Vorstellung, gegen die immer wieder wild entschlossene Bürger Phantomparteien gründen.

Romain Hilgert
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