Mitte Mai hatte die Exekutive der Grünen ihren Entwurf des Wahlprogramms für den 14. Oktober verabschiedet. Bis Mitte Juni waren dann laut Angaben der Partei über 330 Änderungsanträge eingegangen, viele von der Nachwuchsorganisation Jonk Gréng und einigen besonders diskussionsfreudigen Einzelkämpfern. Nach einer ersten Aussonderung waren 238 Anträge übrigblieben, mit denen sich die Exekutive weitgehend einverstanden erklärte, weil es sich meistens um technokratische Detailverbesserungen handelte, der grüne Programmkongress winkte die letzten am Samstag im Dutzend durch. Nur wenige Anträge, die von der Exekutive abgelehnt worden waren, gaben Anlass zu einer kurzen Vorstellung durch ihre Autoren und zu einer Einzelabstimmung. Die Möglichkeit einer politischen Diskussion blitzte nur einmal kurz auf, als über eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns und damit über die Frage entschieden werden sollte, ob sich die Grünen noch zu den Linksparteien zählen.
Zuerst stand im Programmentwurf der Exekutive, dass die Grünen „den Mindestlohn regelmäßig an die Entwicklung der Kaufkraft anpassen“, womit den Lesern Sand in die Augen gestreut werden sollte, da Artikel 222-2 des Arbeitsgesetzbuchs eine solche Anpassung alle zwei Jahre vorschreibt. Dann hatten die jungen Grünen vorgeschlagen, dass die Partei den Mindestlohn nicht bloß an die Kaufkraftentwicklung anpassen, sondern darüber hinaus auch „den Mindestlohn erhöhen“ soll. Schließlich wollten sie eine OGBL-Forderung ins Programm schreiben, eine „strukturelle Erhöhung des Mindestlohns um 10 Prozent. Diese Regelung soll am 1.1. 2019 in Kraft treten“. Auf diese Weise brächte man „die Working Poor aus der Armut heraus“, meinte Joël Back im Namen der jungen Grünen und erklärte, die Nennung eines präzisen Datums solle zeigen, dass die Mindestlohnerhöhung eine Priorität der Grünen bei künftigen Koalitionsgesprächen sein soll.
Doch Parteipräsident Christian Kmiotek strengte sich an, die Gewerkschaftsforderung aus dem Parteiprogramm herauszuhalten. Man sei nicht prinzipiell gegen eine Mindestlohnerhöhung, aber man solle im Interesse „einer gewissen Ernsthaftigkeit“ auf Prozente und auf ein Datum verzichten, das sei schließlich „kein Schönheitswettbewerb“ unter „Meistbietenden“. Während eine Mindestlohnerhöhung von den Unternehmern gezahlt wird, fielen Christian Kmiotek eine Steuerbefreiung, eine Verbilligung der Wohnkosten und das in Revis umgetaufte garantierte Mindesteinkommen ein, um den Working Poor anders zu helfen. Am Ende lehnten drei Viertel der Kongressteilnehmer eine Erhöhung mit Datum und Prozenten ab, so wie sie in den Wahlprogrammen der Linksparteien LSAP, Linke und KPL steht.
Bestand die Gründergeneration der grünen Partei zu einem guten Teil aus Gewerkschaftern, enttäuschten LSAP-Mitgliedern, ehemaligen Trotzkisten und Maoisten, so kommen heute der Präsident, die gerade zurückgetretene Präsidentin und andere Exponenten aus dem mittelständischen Unternehmertum. Die neue Ersatzspitzenkandidatin im Nordbezirk, die selbstständige Textilwindelberaterin Stéphanie Empain, versichert dem Wirtschaftsmagazin Paperjam: „L’entrepreneurat est une chance pour la société.“ Schon 2004 hieß das Wahlprogramm Neit Kapital fir Lëtzebuerg, um liberale „Wirtschaftskompetenz“ zu demonstrieren; seit 2013 enthält das grüne Wahlprogramm ein Kapitel „Auch Arbeitgeber unterstützen“. Dabei erscheint der nationale Mittelstand als das gute, das internationale Kapital als das böse Unternehmertum, mit dem man sich aber durch Green Washing des Finanzsektors abzufinden bereit ist.
Die Grünen gehen davon aus, dass nach dem 14. Oktober keine Koalition an der CSV vorbeiführt. Auch wenn der Tod von Staatssekretär Camille Gira und die Fahnenflucht von Parteipräsidentin Françoise Folmer sowie der Rückzug prominenter Abgeordneter die Aussichten inzwischen getrübt haben, wollen sie sich doch mit dem Technokratenfleiß ihrer Minister und einem gemäßigt liberalen Wahlprogramm der CSV als Koalitionspartner zum ökologischen Umbau des Luxemburger Modells andienen. Dazu passt in Zeiten des dumpfesten Nationalismus auch das Wahlkampfmotto: „Zukunft, Zesummenhalt, gutt liewen. Well mer eist Land gär hunn.“ Der neue Staatssekretär Claude Turmes schwärmte am Samstag von „einem schönen Augenblick mit dem Großherzog in Larochette“ und davon, dass „wir in einer globalisierten Welt ein Daheim brauchen“.
Weil ihre Wähler das ähnlich zu sehen scheinen, hat die Partei aus Meinungsumfragen herausgelesen, dass sie besser als ihre Koalitionspartner abschneidet, wenn sie sich auf ihr politisches Kerngeschäft beschränkt und die Wähler mit Straßenbahn und Fuchsjagdverbot bedient. Statt zehn Prozent mehr Mindestlohnerhöhung verkündete Umweltministerin Carole Dieschbourg: „Wir stehen zu 100 Prozent Biolandbau,[...], wir stehen zu 100 Prozent erneuerbarer Energie [...], wir stehen auch zu 100 Prozent Ressourcenschutz“. Im Wahlprogramm kann man dann nachlesen, dass all diese radikal klingende Hunderprozentigkeit zu den „langfristigen Zielen“ gehört.
Begann nach dem Geheimdienstskandal 2013 das Wahlprogramm der Grünen, wie dasjenige anderer Parteien, mit einem Kapitel über die Demokratie und die Institutionen, so kommt man diesmal wieder zum Kerngeschäft zurück, dem Natur- und Umweltschutz: „Durch unser konsequentes Engagement für Schmetterlinge, Feldhasen, gesunde Luft, fruchtbare Böden und sauberes Wasser“ sichere die Partei auch kommenden Generationen eine hohe Lebensqualität (S. 7).
Da das Regieren aber kein Festmahl ist, heißt es zu einem heiklen grünen Thema: „Die Risiken des Tanktourismus wurden erkannt und errechnet“ (S. 11). Deshalb wollen die Grünen bloß „die Abhängigkeit der öffentlichen Finanzen vom Tank- und Tabaktourismus reduzieren“, die nächste Regierung könne diese Abhängigkeit mittels der Studie zum Tanktourismus „mittelfristig zu verringern“ versuchen (S. 73). Diese Studie war schon im Wahlprogramm von 2004 versprochen worden, mit ihr hat man inzwischen 14 Jahre Zeit gewonnen.
Die Grünen sind auch „nicht gegen ein weiteres Bevölkerungswachstum“, doch „müssen wir die Geschwindigkeit und die Art und Weise unseres Wachstums in Frage stellen“ (S. 75). Sie unterstützen „die langfristigen Zielsetzungen des Rifkin-Berichts wie zum Beispiel der Umstieg auf 100% erneuerbare Energien und Elektromobilität oder 100% Biolandwirtschaft, die eine ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft anstreben“ (S. 87). Ansonsten schweigt das Wahlprogramm Rifkins Technikfetischismus tot, mit dem LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider den Grünen das Zukunftsthema geklaut und der Handelskammer weitergereicht hatte.
Die Grünen wollen „die Körperschaftssteuer nicht weiter absenken“ (S. 73) – das hatten sie auch 2013 versprochen, die Regierung tat dann das Gegenteil. Sie wollen „sich national und international dafür einsetzen, die Steuervermeidungspraxis international agierender Betriebe zu unterbinden“ (S. 72), „die Stock Options abschaffen“ (S. 73) und die Steuervorteile für Firmenwagen begrenzen. Die gemeinsame Veranlagung von Ehepaaren soll durch eine „Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag“ (S. 72) wie in Belgien ersetzt werden.
Die Partei wiederholt den entsprechenden Absatz aus den Wahlprogrammen von 2009 und 2013, laut dem eine ökologische Steuerreform in den ersten zwei Jahren der Legislaturperiode von einem ausländischen Wirtschaftsinstitut und eventuell der Universität entworfen und danach verwirklicht werden soll. Eine CO2-Steuer und eine Finanztransaktionssteuer sollen nur gemeinsam mit anderen Staaten eigeführt werden.
Die Grünen wollen, wie 2013, zur Finanzierung der Renten notfalls Beiträge auf Kapitaleinkommen erheben, die Renten im öffentlichen Dienst wie in der Privatwirtschaft zu je einem Drittel von Beschäftigten, Staat oder Gemeinden und Staat finanzieren, und die Rentenversicherung von Ehepaaren individualisieren, einschließlich einer Mindestbeitragspflicht „bei einer beruflichen Auszeit“. Bis es so weit ist, wollen sie das „Renten-Splitting als Übergangslösung einführen“ (S. 49). Sie wollen „die Dauer des Congé parental erhöhen“ als Urlaub nach der Geburt und als Arbeitszeitverkürzung nach der Einschulung (S. 21), machen aber, anders als die DP, keine Angaben zum Ersatzeinkommen. Auch die Grünen versprechen eine „kostenlose Kinderbetreuung“ (S. 28), wollen in den Grundschulen hauptamtliche Direktoren einführen und die Orientierung in drei postprimäre Bildungsgänge verzögern.
Nach zwei Abstimmungsversuchen beschloss der Parteitag, dass die öffentliche Hand nicht bloß Mietwohnungen, sondern auch Eigentumswohnungen bauen soll. Nicht grundsätzlich anders als die CSV verspricht das Wahlprogramm, als „Priorität die 2 700 ha innerhalb der ausgewiesenen Bauzonen zu mobilisieren, bevor neue Flächen ausgewiesen werden“ (S. 81). Ein Änderungsantrag zur "schrittweisen" Verallgemeinerung des Drittzahlers in der Krankenversicherung war von dem Medizinphysiker Carlo Back und dem Arzt Jean-Marc Cloos eingebracht worden, nach der Annahme eines gemeinsam mit dem Apotheker Marc Hansen und anderen verfassten Alternativvorschlags zogen sie den Antrag zurück. Mehr Gehör findet der esoterische Flügel in der Partei, da sie „den Einsatz von Musik-, Klang-, Kunst-, Aroma- und Bewegungstherapien in den staatlich konventionierten Einrichtungen fördern und unterstützen“ will (S. 41). Cannabis soll „unter strengen Auflagen“ legalisiert werden, wenn er „aus fairem und biologischem Anbau“ stammt (S. 65).
Die Grünen wollen „den Ausgang des Referendums respektieren“ (S. 44), das heißt das legislative Ausländerwahlrecht ist für sie kein Thema mehr, aber sie wollen die Wahlpflicht, die sie noch 2004 abschaffen wollten, bei Gemeindewahlen auf Ausländer ausweiten. Unter „bestimmten Bedingungen (Kinder, berufliche Integration, Ausbildung...)“ (S. 47) sollen befristete Aufenthaltserlaubnisse für Asylsuchende endgültig werden.
Nachdem die Regierung über das Parteifinanzierungsgesetz Geschlechterquoten bei Kammer- und Europawahlen einführte, sollen „die paritätischen Wahllisten auch bei den Kommunalwahlen“ erreicht werden (S. 51). Das 2013 versprochene allgemeine Verbot von Doppelmandaten wird nun nach einer Kongressabstimmung auf die Abschaffung „des Doppelmandates für Bürgermeister und Schöffen größerer Gemeinden“ (S. 92) beschränkt. Die Grünen wollen Gemeindefusionen fördern, aber, anders als die CSV, nicht erzwingen. Schließlich wollen sie weiterhin einen einzigen Wahlbezirk; die 2013 angekündigte beratende Regionalkammer ist aber aus dem Wahlprogramm verschwunden.
Der öffentliche Transport soll nicht kostenlos werden, stattdessen soll ein Pauschalabonnement zum Preis von 365 Euro jährlich eingeführt werden. Die Elektromobilität soll weiter gefördert und eine schnelle Straßenbahn zwischen Luxemburg und Esch-Alzette gebaut werden. Die Grünen versprechen den „Ausbau der A3“ und der B7, den Bau der N3, des Boulevard de Cessange und de Merl sowie der Umgehungsstraßen von Hosingen und Bascharage: Sie wollen „Straßen bauen für das 21. Jahrhundert“.