Wieder einmal soll sich knapp ein Jahr vor Wahlen die Zukunft der vier Kilometer langen Bahnlinie Ettelbrück-Diekirch entscheiden. Aber diesmal sind nicht alle Gemeinden für ihren Abbau

Die zweitbeste Lösung

d'Lëtzebuerger Land vom 14.06.2013

„Das können wir natürlich nicht akzeptieren“, sagt Guy Greivelding, der Präsident der Transportgewerkschaft FNCTTFEL. Er sagt das in dem Ton eines Gewerkschaftlers, der schon mehrere Versuche erlebt hat, in Luxemburg Bahnstrecken stillzulegen, und jedes Mal den Widerstand dagegen mitorganisierte: In den 1970-er Jahren gegen die Verlegung der CFL-Südstrecke von Esch/Alzette nach Petingen. 1980 gegen den Abbau der Nordstrecke zwischen Ettelbrück und Ulflingen. 2010 gegen die Stilllegung der Bahnverbindung Noertzingen-Rümelingen. Und zwei Jahre vorher gegen die Schließung der Strecke Ettelbrück-Diekirch.

Um die geht es nun wieder. Am Montag entschied der Ettelbrücker Gemeinderat einstimmig, dem „Ranking“ zuzustimmen, das ein Konsor-tium aus drei Verkehrsplanungsbüros im Auftrag des Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministe-riums aufgestellt hat. Aus dem Ranking ergibt sich, wie die so genannte Zentrale Achse der Nordstad zwischen Ettelbrück, Ingeldorf und Diekirch am besten vom öffentlichen Transport erschlossen werden soll. Fünf Varianten standen zur Bewertung. Auf Platz eins kam mit 6 973 Punkten Va-riante Nummer eins: das „hochwertige Bussystem“.

„Absolut verantwortungslos“ ist die Ettelbrücker Entscheidung für den Bus für die FNCTTFEL. Das ließ sie am Mittwoch Abend in einer Pressemitteilung wissen und sprach sich für „eine sofortige öffentliche Aktion“ aus. Dabei ist Ettelbrück nicht die erste und nicht die einzige der sechs Nordstad-Gemeinden gewesen, die sich mit dem Abbau der Bahnstrecke einverstanden erklärt hat. Die erste war Erpeldingen. Sie nahm schon Ende Mai Stellung zum Ranking, fand aber, wenn man den Zug schon abschaffe, dürfe „nicht nur ein Bus“ als Ersatz her, sondern ein „Tram sur pneus“. Das sei, erläutert der liberale Erpeldinger Député-maire André Bauler, ein „besserer Bus“, einer, „den man für eine Straßenbahn halten könnte“. In Eindhoven würden solche Gefährte verkehren. Am liebsten wäre Bauler eine richtige Tram. „Aber die werden wir uns nicht leisten können, seien wir doch ehrlich.“

Politisch ist die Nuance in der Erpeldinger Argumentation wichtig. 2007, als über den öffentlichen Transport entlang der Zentralen Achse schon einmal diskutiert wurde, fanden alle Nordstad-Gemeinden, die Bahnstrecke müsse weg. Als eine Plattform aus Transportgewerkschaften und Pro-Bahn-Verbänden dagegen zum Sturm blies, der bis 2008 andauerte, vertagte die Regierung die endgültige Entscheidung lieber in die nächste Legislaturperiode. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen.

Doch diesmal sind die Gemeinden sich nicht so einig. Als der Bettendorfer Gemeinderat sich am Dienstag zum Ranking äußerte, sprach er sich noch ein bisschen weniger als der Erpeldinger für den Bus aus: Von Gilsdorf bis Bissen müssten „Korridore“ für den öffentlichen Tranport reserviert werden; genauso, wie es eine andere Varianten für eine Nordstad-Tram vorsieht. „Falls denn“ die Bahnstrecke abgeschafft werde – verantwortlich dafür will man nicht sein. Am stärksten hat der Wind sich in Diekirch gedreht, wo seit den letzten Gemeindewahlen wieder die LSAP mit Bürgermeister Claude Haagen an der Spitze den Ton angibt: „Wenn man uns den Zug wegnehmen will, werden wir uns wehren“, hatte er vergangenen Sommer erklärt (d’Land, 10.08.2012). Heute will er dem Gemeinderat, der kommenden Montag über die Mobilitätsfrage abstimmt, natürlich nicht vorgreifen. Dass die Diekircher LSAP „für ein schienengebundenes Verkehrsmittel“ entlang der Zentralen Achse sei, kann er aber mitteilen, und da die So-zialisten in Diekirch bequem ohne Koalitionspartner regieren, kann man sich unschwer vorstellen, wie das Votum nächste Woche ausfallen wird.

Doch wenn die Gemeinden zu keinem Konsens gelangen, liegt die Entscheidung bei Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV). Zwar beschließt ohnehin er, welche Verkehrswege entlang der Zentralen Achse gebaut werden sollen. Aber ob er einem Konsens der sechs Nordstad-Kommunen seinen Segen gibt oder die politische Verantwortung für oder gegen den Zug ganz allein übernimmt, werde einen Unterschied machen für den Minister, der bekannt dafür ist, ungern politische Risiken einzugehen – so kalkulieren die zehn Mitglieder der Pro-Schiene-Plattform. Und sie richten ihren Druck gleich auf ihn: Wiseler müsse der vier Kilometer langen Strecke „mit einer verlängerten Verbindung nach Bissen und einem annehmbaren Angebot mit durchgehenden Zügen von Diekirch aus zur Hauptstadt eine abgesicherte Zukunft“ geben, verlangt die FNCTTFEL und droht, man werde sich „mit den betroffenen Einwohnern und Einwohnerinnen der Nordstad gegen den Abbau des traditionellen Schienenverkehrs zwischen Ettelbrück und Diekirch“ zur Wehr setzen.

Falsch adressiert ist dieser Druck nicht: Dass um die vier Kilometer Schiene, den Überrest der Sauerstrecke zwischen Ettelbrück, Echternach und Wasserbillig, seit sieben Jahren ein ungelöster Konflikt schwelt, ist das Verdienst der großen Politik. Schon 2006, als die sechs Nordstad-Gemeinden in ihrem Comité politique einstimmig für den Abbau der Strecke plädierten, weil die einer grundlegenden Neugestaltung der Gegend zwischen Ettelbrück und Diekirch im Weg steht und pro Zug im Schnitt nur von 16 Fahrgästen benutzt wird, wünschten sie sich nicht einfach einen Bus als Ersatz herbei. Dass 2007 aus einem Ideenwettbewerb unter Architekten und Stadtplanern ein Entwurf für einen „Boulevard urbain“ zwischen Ettelbrück und Diekirch als Sieger hervorging, lag auch daran, dass die preisgekrönten Pläne vorsehen, die Busse, die anstelle des Zugs auf separaten Spuren fahren sollten, würden „längerfristig“ durch eine Tram ersetzt – falls im Einzugsgebiet des Boulevard urbain genügend Einwohner eine kritische Masse bilden. Wenn die Gemeinden heute eines eint, dann die ungebrochene Vorliebe für eine Schienenlösung – eigentlich. Auch der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV) findet, „die dürfen wir uns nicht verbauen“, obwohl sein Schöffenrat am Montag eine Pro-Bus-Resolution in den Gemeinderat einbrachte.

Wer sich das Punkte-Ranking der drei Planungsbüros genauer anschaut, erkennt, dass die Option „Bus“ vor allem deshalb besonders gut abschneidet, weil sie anscheinend die billigste wäre. 2 150 Punkte erhält der Bus allein für das Kriterium „Kosten“, gefolgt von der Option „die Bahnstrecke bleibt und wird um einen Halt ergänzt“ (1 849 Punkte) und „die Bahnstrecke wird auf zwei Gleise ausgebaut und um zwei Halte ergänzt“ (1 464 Punkte).

Fragt man nach der besonders verkehrsgünstigen Lösung, dann wäre der Bus mit 3 085 Punkten nicht die erste Wahl. Sondern die Tram, mit 3 383 Punkten. Ebenfalls nicht schlecht schneidet die Variante Train-tram ab, mit Zügen à la BTB, die auch die klassischen Bahngleise befahren können (2 897 Punkte). Doch: Wie dieses Ranking überhaupt zustande kam, ist unklar. 58 Einzelkriterien haben die Expertenbüros analysiert und untereinander gewichtet. Wie, geht nicht hervor aus der 67 Seiten langen Powerpoint-Präsentation, die die Räte der sechs Nordstad-Gemeinden vorgelegt bekamen. Auch über die Kosten wird nicht in Euro Auskunft gegeben – nur in Punkten. Lediglich inoffiziell hat der Diekircher Bürgermeister erfahren, dass die Variante „Bus“ mit 48 Millionen Euro Realisierungskosten veranschlagt wurde, „Tram“ mit 139 Millionen. Die Variante „Zugstrecke eingleisig mit einem Extra-Halt“ mit 29 Millionen, die zweigleisige Zugstrecke mit zwei neuen Halten mit 47 Millionen, und mit 145 Millionen ein Einsatz von Train-trams.

Damit wird das Ranking, das alles mögliche bedeuten könnte, zum politischen Punktespiel. Das verwundert nicht. In Wirklichkeit ist allen klar, dass es eine Nordstad-Straßenbahn vermutlich nie geben wird. Zwar könnte in den sechs Gemeinden die Bevölkerung bis 2030 um 50 Prozent oder 11 000 Einwohner zunehmen, die Zahl der Arbeitsplätze um 6 700 oder 36 Prozent. Aber ob sich dieses Wachstum wirklich einstellt, weiß keiner, und ob es eine Straßenbahn rentabel machen würde, wäre noch eine Frage für sich.

Bliebe die Option Train-tram mit Straßenbahnzügen, die auch das klassische Bahnnetz befahren können. Dass sie verkehrspolitisch sinnvoll für das ganze Land wäre, lässt sich im IVL-Konzept nachlesen: Train-trams als Ergänzung zum klassischen Zug empfiehlt das IVL nicht nur im ganzen Landessüden und um die Hauptstadt, sondern auch in der Nordstad von Gilsdorf über Diekirch, Erpeldingen, Ettelbrück bis nach Bissen. Aufgegriffen wurde diese Idee auch jetzt wieder und in ein Modell mit 16 Haltestellen verpackt – um gleich wieder genauso verworfen zu werden wie die Tram-Variante mit 24 Haltestellen.

Aber seit 2006 entschieden wurde, in Luxemburg-Stadt einen Tram léger zu bauen, sind Train-trams politisch tot. Dank einer CFL, die Train-trams auf ihrem Netz nie wollte. Dank der Lobbyarbeit des Busunternehmerverbands Fleaa, der eine Schrumpfung des öffentlich finanzierten Überlandbus-Regimes RGTR verhindern wollte. Aber auch, weil Train-trams nicht möglich wären ohne ein ausgebautes Eisenbahnnetz, einigte die Politik sich auf den Kompromiss „leichte Straßenbahn“ für Luxemburg-Stadt und versucht das vom Nachhaltigkeitsminister letztes Jahr vorgestellte Mobilitätskonzept MoDu das Land nun neben dem Zug als durch Busse erschlossen zu denken: Dazu passen keine Train-trams in der Nordstad, ein Tram sur pneus womöglich schon. Letzten Endes müsste der Minister im Norden lediglich erklären, dass ein Bus entlang der Zen-tralen Achse die zweitbeste Lösung wäre – wie in Luxemburg so oft nicht das Beste realisiert wird. Und dass die Haupstadt-Tram politisch in Gefahr geriete, wenn offiziell plötzlich von einem „Nordstad-BTB“ die Rede ginge.

Allerdings hat Albert Back, der Bettendorfer Bürgermeister, Recht, wenn er sagt, schienengebundene Verkehrsmittel würden von den Nutzern per se um 30 Prozent hochwertiger empfunden als Busse. Claude Haagen aus Diekirch hat ebenfalls Recht, wenn er darauf hinweist, das „große Problem“ für ein Buskonzept seien der aktuelle Verkehr und die Straßenführungen in Ettelbrück und Diekirch: „Wie man da zwei separate Busspuren anlegen will, muss mir erst noch einer erklären.“ Leicht wird auch ein „hochwertiges Bussystem“ nicht zu haben sein in der Nordstad. Ganz gleich wie die Diskus-sion um die Zugstrecke ausgeht, zeichnet sich ein Ende der Direkt-Schnellzüge ab Diekirch in die Hauptstadt schon ab: Mittelfristig sollen sie nur noch als Regionalbahn-Bummelzug verkehren, planen die CFL. Denn zwischen Ulflingen und Luxemburg sollen schnelle Interregios künftig im Haltstundentakt verkehren. Schnellzüge aus Diekirch vetrügen sich damit systemisch nicht. Ihre Einführung 2008 habe die Diekircher Strecke aber ohnehin nur „marginal“ attraktiver gemacht. Ginge es nach der Bahn, wäre die Diekircher Strecke schon lange geschlossen. Aber das darf sie natürlich nicht laut sagen.

Peter Feist
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