In Mamer wird am Montag über den Generalbebauungsplan abgestimmt. Die Staatliche Planungskommission hatte empfohlen, den Entwurf bei verstärkter Bürgerbeteiligung ganz neu aufzustellen

Gilles Roth und die Taliban

d'Lëtzebuerger Land vom 01.03.2013

Gilles Roth kann ganz schön sauer werden, wenn man ihn auf den Generalbebauungsplan der Gemeinde Mamer anspricht. Eigentlich hatte die Neuaufstellung des Plan d’aménagement général, des PAG, zu einem Meisterstück werden sollen. „Keine andere Gemeinde ist so weit wie wir gemäß der neuen Kommunalplanungsprozedur!“, hatte der Bürgermeister von der CSV am 24. September im Gemeinderat erklärt, als mit den Stimmen aller Räte die Prozedur zum PAG-Entwurf eröffnet wurde. Zehn Tage später begann die vierwöchige öffentliche Auslegung des Dossiers.

Heute sagt Roth: „Wir sind ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht laufen sollte.“ Womit er aber nicht meint, wie der von ihm geführte CSV-LSAP-Schöffenrat den PAG anging. Auch nicht die Bürgerproteste, die sich erhoben, als im Oktober die Einzelheiten zum neuen PAG die Runde machten. Etwa, dass in den Dörfern Mamer, Holzem und Capellen auf einen Schlag 85 Hektar neues Bauland ausgewiesen werden sollen, so dass die Gemeindebevölkerung von heute knapp 8 000 innerhalb von zwölf Jahren auf 12 000 und „à terme“, wenn alles bebaut sein wird, bis auf rund 14 500 anwachsen könnte. Was zu Leserbriefen, Facebook-Kommentaren und zur Gründung einer Bürgerinitiative führte, die Plakate mit dem Aufdruck „PAG Nee!“ verteilte.

Den Bürgermeister regt vor allem auf, was die Staatliche Planungskommission zum Bebauungsplanentwurf geschrieben hat. Das zwölfköpfige Gremium aus Beamten des Innen- und des Nachhaltigkeitsministeriums erstellt laut Kommunalplanungsgesetz zu Bebauungsplanentwürfen ein Gutachten für den Innenminister. Sogar beim Premier haben Roth und seine beiden Schöffen Roger Negri (LSAP) und Luc Feller (CSV) sich über die Kommission beschwert, nachdem sie deren Gutachten zum Mamer PAG-Entwurf Mitte Januar zugestellt bekamen. Denn darin steht an einer Stelle: „Pour avoir la maîtrise de leur développement urbain, les responsables communaux doivent s’accorder sur un phasage en fonction du rythme de croissance observé et donc disposer d’un instrument de planification stratégique permettant de développer le territoire communal aux endroits et aux moments qu’ils jugent opportun au service de l’intérêt général et non dicté par les intérêts privés.“ Das, findet Roth, sei „ehrabschneidend“. Wie die Beamten zu dem Verweis auf „Privatinteressen“ kamen, habe er Jean-Claude Juncker festzustellen aufgefordert. Eine Antwort hat er allerdings noch nicht erhalten. Die Schöffenratsmitglieder behielten sich vor, Klage „gegen jedes einzelne Kommis-sionsmitglied“ zu führen, erklärt Roth dem Land.

Dass der Premier wegen eines PAG bemüht wird, ist vermutlich selten. Aber vielleicht geht es weniger um Ehrenrettung, als um Politik. Und darum, innerhalb der Regierung das Terrain zu bereiten, bevor der Bebauungsplanentwurf aus der aktuel-len Konsultations- in die Genehmigungsphase übergeht. Das soll kommenden Montag Nachmittag geschehen, wenn er zum zweiten Mal im Gemeinderat zur Abstimmung steht, Abänderungen inklusive. Falls der Entwurf nicht durchfällt, was unwahrscheinlich ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat, geht er gemeinsam mit dem Gutachten der Planungskommission an den Innenminister und mit einer Strategischen Umweltprüfung an den delegierten Nachhaltigkeitsminister. Auch Bürgereinwände können dann nur noch an die Minister Jean-Marie Halsdorf und Marco Schank (beide CSV) gerichtet werden.

Weshalb im Januar schon absehbar gewesen sein sollte, dass Halsdorf und Schank auf den Mamer PAG-Entwurf sonderlich kritisch reagieren könnten, ist natürlich eine Frage. Schließlich ist die Konsultationsphase schon von Gesetzes wegen dazu gedacht, auf Kritiken und Einwände zu rea-gieren und Entwürfe abzuändern. Doch die Staatliche Planungskommission fand an dem Entwurf aus Mamer nicht nur sehr viel Kritikwürdiges, wie dem 25-seitigen Gutachten zu entnehmen ist, das dem Land vorliegt. Sie ist vor allem der Meinung, bei all den Mängeln gehöre der Entwurf ganz neu aufgestellt. Und sie schreibt, es sei „souhaitable que le projet ainsi remanié fasse l’objet d’une nouvelle enquête publique en vue de garantir un niveau de transparance satisfaisant pour la population concernée“. Dies, fährt sie fort, würde dem Politikziel Nummer IV aus dem Leitprogramm zur Landesplanung gerecht, „qui revendique d’assurer une large participation des différents acteurs et groupes sociaux au développement local“. Gut möglich, dass Gilles Roth vor allem dieses Verdikt aufregt, denn er sieht „Rechthaber“ und „Umwelt-Taliban“ in der Kommission an Werk und findet: „So eine Empfehlung hat die Kommission gar nicht zu machen.“ Das sei „kein rein urbanistisches Gutachten“, sondern „schon politisch“.

Lokalpolitisch ziemlich desaströs für die Mamer CSV-LSAP-Koalition sind die Kommissionsbefunde allemal. Denn die Empfehlung, den PAG bei breiter Bürgerbeteiligung ganz neu zu entwerfen, ist quasi deckungsgleich mit der Forderung der grünen Opposition im Gemeinderat. „Seit 2007 wurde an dem neuen PAG gearbeitet, doch Opposition und Öffentlichkeit bekamen es nicht mit“, sagt der grüne Rat Jean-Paul Weydert dem Land. Die Grünen hätten immer wieder für eine Neuaufstellung des PAG plädiert, dessen letzte Neufassung von 1984 datiert. Der Bürgermeister habe jedoch stets geantwortet, dafür sei noch Zeit, die anderen Gemeinden seien noch nicht so weit. Und seit Gilles Roth im Amt ist, habe er den PAG 28 Mal für Bauvorhaben punktuell abändern lassen. Vor allem die „intransparente Art und Weise“ findet Weydert beklagenswert und meint, die verstünden auch die Bürger nicht: In einer Bürgerversammlung im Oktober habe Roth bald erklärt: „Zu viel Widerstand ist zwecklos!“, bald angekündigt, die Neuausweisung von 85 Hektar sei „nur hypothetisch“ und werde sowieso noch weiter reduziert. „Was soll man davon halten?“

Die Befunde der Planungskommission haben aber noch einen anderen Aspekt. Ob darin beschrieben wird, der PAG-Entwurf sehe einen Landverbrauch vor, dessen Umfang nicht konform zum nationalen Nachhaltigkeitsplan sei. Ob vorgerechnet wird, bei mehr als 1 600 neuen Haushalten beziehungsweise 4 200 neuen Einwohnern bis zum Jahr 2025 stiegen die täglichen Autofahrten auf dem Territorium der Gemeinde derart an, dass das Straßennetz kaum ausreichen werde, um dieses Mehr an Verkehr „auf akzeptablem Leistungsniveau“ zu absorbieren. Oder ob die Planungskommis-sion darauf verweist, dass die Speicherkapazitäten der beiden Wassertürme in Mamer und Capellen bei hohem Verbrauch schon jetzt zu klein sind und dass an der Mamer Kläranlage die installierte Reinigungskapazität schon heute „regelmäßig überschritten“ wird: Jedes Mal klingt dabei an, dass Mamer, Holzem und Capellen für das geplante Einwohnerwachstum infrastrukturell gar nicht gerüstet sind.

Da wird dann auch plausibel, dass die Kommission meint, eine „Phasierung“ der Bauland-Neuausweisung müsse her, gekoppelt an die Entwicklung des Bedarfs und den Infrastrukturausbau – sonst provoziere man eine „spontane und unkontrollierbare“ Entwicklung. So gelesen, ist es nur logisch, dass sich die Gemeinde dann Privatinteressen von Bürgern, aber auch Grundstücksbesitzern und Bauunternehmern ausgesetzt fände, zwischen denen sich schwer vermitteln lassen könnte. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich gar nicht, dass der Schöffenrat mit dem PAG einem Promoteur gefallen will, sondern eher, dass er offenbar tollkühn genug ist, dem Chaos entgegenzusteuern.

Darauf angesprochen, wiegelt der Bürgermeister ab. Natürlich werde man die Entwicklung nicht sich selbst überlassen, zum Beispiel werde ein Besiedelungsplan erstellt. Den Kritiken der Planungskommission habe der Schöffenrat in dem überarbeiteten PAG-Entwurf, der am Montag im Gemeinderat zur Abstimmung gestellt wird, „zu 95 Prozent Rechnung getragen, aber nur den inhaltlichen“. Von 85 Hektar neuem Bauland sei keine Rede mehr, erklärt Gilles Roth, man habe um an die 40 Hektar gekürzt. Die Verkehrsprognosen der Planungskommission seien übertrieben, und selbstverständlich werde ein Trinkwasserkonzept erstellt und die Kläranlage ausgebaut. Dass die regelrecht überlastet sei, stimme übrigens nicht: „Im Jahresbericht 2011 des Wasserwirtschaftsamts wird sie als in jeder Hinsicht konform genannt.“ Eines komme nicht in Frage: Ein neuer PAG mit Diskussion mit den Bürgern von Anfang an.

Was von dem überarbeiteten Entwurf zu halten ist, ist schwer zu sagen für die Gemeinderäte, die die letzten Teile des dicken Dossiers erst am Mittwochmorgen zugestellt bekamen, gerade noch innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Minimalfrist von fünf Tagen vor einer Abstimmung. Trotz „dieses Zeitdrucks“ ist dem grünen Rat Weydert aber schon aufgefallen, dass in der neuen Version des Entwurfs von den ursprünglichen 85 Hektar neuen Baulands 18,84 Hektar gestrichen und 22,69 Hektar in eine „Zone differée“ überführt wurden. Einer Kürzung um rund die Hälfte entspreche das aber nicht: Die knapp 23 Hektar seien mit dem Vermerk versehen, dass sie ab 2017 mobilisiert werden können, wofür der PAG punktuell abgeändert werden müsste. „Letztlich hat der Schöffenrat nur um 22 Prozent nachgelassen“, sagt Weydert.

Skeptisch macht ihn auch, dass die Strategische Umweltprüfung über den Bebauungsplanentwurf zu dem Schluss kommt, durch die Abänderungen gegenüber der ersten Fassung seien „keine erheblichen Auswirkungen“ auf das Natur- und Vogelschutzgebiet Mamer- und Eischtal „zu erwarten“. Dadurch ist nun doch keine tiefer gehende Extrastudie gemäß EU-Habitatrichtlinie nötig; das einzige Papier, das bisher im Dossier zum PAG noch fehlte. Aber sollten die „Auswirkungen“ womöglich Ansichtssache sein? Im Bericht zur Umweltprüfung steht auf Seite 49, „erhebliche Auswirkungen“ werde es doch geben, falls die Mamer Kläranlage nicht „in den kommenden vier bis fünf Jahren“ ausgebaut wird. Eine Seite weiter vorne wiederum ist zu lesen, die Kläranlage gelte „mindestens seit 2009 als überlastet“. Wenn der Bericht resümiert, „bei längeren Realisierungszeiträumen von fünf bis zehn Jahren“ für die Erweiterung der Kläranlage „kann eine tiefere Verträglichkeitsprüfung erforderlich werden“, dann kann durchaus der Eindruck entstehen, es seien rhetorische und rechnerische Kunstgriffe bemüht worden, um eine „tiefere“ Prüfung gerade jetzt, da alles entschieden wird, zu vermeiden.

Angesichts solcher Unklarheiten und des hohen Zeitdrucks – in der zweiten Phase der PAG-Prozedur wird das Dossier nur halb so lange öffentlich ausgelegt wie in der ersten –, mag man sich gern an die Empfehlung der Planungskommission nach verstärkter Bürgerbeteiligung erinnern. Dass sie auf das Leitprogramm zur Landesplanung und dessen Politikziel IV verweist, hat geradezu etwas Nostalgisches. Denn darin heißt es: „[P]our permettre à la société luxembourgeoise de renforcer activement la cohésion sociale, il s’agira, par des méthodes appropriées, de faciliter la participation aux débats concernant le développement local et régional des différents groupes sociaux et de la société civile dans son ensemble.“

Das klingt zwar nach „Zukunftswerkstätten“ mit Moderatoren aus Deutschland. Doch was im Leitprogramm steht, ist seit zehn Jahren die politisch verbindliche Richtlinie zur Landesplanung. „Ihr Inhalt ist schwarz!“, freute sich der damalige CSV-Landesplanungsminister Michel Wolter 2003 bei einer Parlamentsdebatte zum Leitprogramm. Könnte die Planungskommission also ganz in ihrer Rolle argumentiert haben, als sie nach der so weitreichenden Kritik am Mamer PAG-Entwurf verstärkte Bürgerbeteiligung empfahl? Das ist wahrscheinlich. Doch zehn Jahre nach Verabschiedung dieses Leitprogramms und neun Jahre nach dem viel bejubelten IVL-Konzept stehen bei Planungen, ob von Gemeinden, ob vom Staat, die Zeichen immer weniger auf mühsamer Konsensbildung mit dem Bürger als auf rascher Top-down-Administration. In Zeiten, da das Versprechen nach einem Eigenheim für jeden immer mehr zur Illusion wird und jeder Gemeinde erlaubt wird zu wachsen, gilt das als Simplification administrative. Wofür der Mamer PAG einen Modellfall darzustellen scheint.

Peter Feist
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