Die Postverteilung wird umgestellt. Die Mitarbeiter befürchten Verschlechterungen auf vielen Ebenen. Bei den Arbeitsbedingungen, bei der Servicequalität...

Zwei-Klassen-Post

d'Lëtzebuerger Land vom 21.04.2011

„Das wird ein Riesenchaos werden“, warnen Claude und Paul*, zwei Briefträger, die seit Jahren in Luxemburgs Süden Post zustellen. In drei Wochen, am 16. Mai, soll die Post zum ersten Mal nach dem neuen Zustellungsmodus verteilt werden. Dann sollen erstmals die so genannten Assistenten zum Einsatz kommen, die nach privatem Statut eingestellten Postzusteller. Dass den beiden Briefträgern mit Beamtenstatut vor der Umstellung graut, liegt nicht etwa daran, dass sie prinzipiell die Fähigkeiten der Assistenten anzweifeln. Sie befürchten vielmehr, dass die Firmenleitung mit dem neuen Zustellungssystem Arbeitsbedingungen schafft, die es Briefträgern wie Assistenten unmöglich machen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Sie glauben, die Reform sei schlecht vorbereitet, und das werde auch die Kundschaft spüren.

Im Dezember 2010 hatte der Verwaltungsrat – Personalvertreter inklu­sive – einstimmig der Reorganisation der Postzustellungsdienste zugestimmt. Eine Maßnahme, die unter anderen den ehemaligen Staatsbetrieb für die vollständige Postmarktöffnung Anfang 2013 fit machen soll, wenn die letzten Monopole in der Postzustellung fallen (d’Land, 02.07.2010). Im Gewerkschaftsorgan Postfax N47 rechneten Gewerkschaftsfunktionäre Anfang 2011 vor, 60 Prozent der Kosten in der Postdivision seien Personalkosten, allein 40 Prozent gingen auf das Personal in der Verteilung zurück. Gemeint sind die Gehälter der 468 Briefträger und Ersatzbriefträger, die die Postzustellung auf 360 Touren im ganzen Land sicherstellen. Dass die Gehälter viel höher sind als bei der privaten Konkurrenz, wissen die Briefträger selbst am besten. Deswegen stimmten die Personalvertreter den Reformplänen, durch die die Direktion über kurz oder lang die gut bezahlten Briefträger mit dem Statut des öffentlichen Dienstes durch billigere Arbeitskräfte ersetzen will, unter der Bedingung zu, dass sich ihre Arbeitsbedingungen nicht verschlechtern. So wurde vereinbart, dass bis 2020 maximal 125 Touren von Assistenten übernommen werden.

In der Praxis sollen die Briefträger und Assistenten wie folgt zusammenarbeiten: Die besser bezahlten und qualifizierten Briefträger sollen morgens bei Schichtbeginn um sechs die Sortierarbeit erledigen. Nicht nur für ihre eigenen Touren, sondern auch die der Assistenten, deren Aufgabe sich aufs Austragen beschränkt. Sie übernehmen die Routen, die zu Fuß absolviert werden. Die Briefträger fahren die Auto-Touren.

Doch die Betriebsleitung wolle sich nicht mehr an den im Dezember beschlossenen Kompromiss halten, bemängeln Gewerkschaftsvertreter seit Wochen. Zum Beispiel, was den Einsatz von Leiharbeitskräften betrifft oder auch das zu bearbeitende Postvolumen pro Zusteller.

Weil die Anzahl der Touren reduziert wird, heißt das für die Briefträger, dass sie morgens mehr Post als bisher sortieren müssen, bevor sie mit dem Austragen der eigenen Tour beginnen können. In der gleichen Zeit wie bisher auch schon. Die Assistenten müssen größere Touren absolvieren, als es die Briefträger momentan machen, und dass sie das in der vorgesehenen Zeit schaffen werden, bezweifelt auch die Bréifdréieschgewerkschaft, die vergangene Woche der Direktion einen Forderungskatalog zugestellt hat, über den am heutigen Freitag verhandelt werden soll. Deswegen ist die Lage gespannt, das Thema heikel. Die Vorsicht seitens der Postdirektion ist so groß, dass man die Erlaubnis zur Aufnahme von Fotos im Verteilungszentrum Bettemburg nur geben wollte, wenn auch der Artikelinhalt stimme und ihre Sicht der Dinge darin dargestellt würde – obwohl urlaubs- und terminbedingt niemand Zeit fand, diese darzulegen.

Im Verteilungszentrum Bettemburg ist die Skepsis besonders groß, hier haben die Personaldelegierten einen Brief an ihre Vorgesetzten geschickt. Am 16. Mai werden alle Verteilungszentren auf den neuen Modus operandi umgestellt, außer das in Luxemburg Stadt und das noch zu bauende, neue Zentrum in Bascharage. Dennoch sind damit 50 Prozent der Postkunden abgedeckt, erklärt der Vorsitzende der Bréif-dréieschgewerkschaft, Eugène Kirsch. Allein 40 000 Haushalte hängen am Distributionszentrum Bettemburg. Von den 40 Assistenten, die während der ersten Reorganisationsphase den Dienst aufnehmen, tun dies 19 in Bettemburg, weil in den urbanen Gegenden des Südens, in Düdelingen, Esch, Rümelingen, viele Fußtouren anfallen. Konkret bedeuten die Reorganisationspläne für die Postverteilung ab Bettemburg Folgendes: Die Zahl der vereidigten Briefträger soll von 55 auf 34 reduziert werden. Sieben von ihnen werden Dienst leisten wie bisher. Acht sind so genannte „Springer“, die Touren der Kollegen übernehmen, die planmäßig Urlaub nehmen und die nach dem Vorhaben der Direk-tion von Leiharbeitskräften ersetzt werden, wenn sie ausfallen – wogegen sich die Arbeitnehmer wehren. Die restlichen 19 werden jeweils die Touren der Assistenten vorbereiten, bevor sie ihre eigenen Touren sortieren und austragen.

Was das in der Realität heißt? „Momentan tritt der Postbote morgens um sechs im Büro an. Dann sortiert er seine Tour, die im Schnitt 800 Haushalte umfasst. Dafür hat er zweieinhalb Stunden bis drei Stunden Zeit, dann geht er los“, erklärt PostboteClaude. „Nach der Umstellung kommt der Briefträger um sechs, sortiert dann die Assistenten-Tour von 1 200 Haushalten, Werbung, Zeitschriften inklusive. Dafür hat er auch zweieinhalb bis drei Stunden Zeit. Danach darf er eine halbe Stunde Pause machen, bevor er noch mal die 500 bis 600 Haushalte seiner eigenen Tour vorbereitet, die er dann austrägt.“ „Das heißt, der Briefträger muss 50 Prozent mehr in der gleichen Zeit leisten“, pflichtet ihm Kollege Paul bei.

Die beiden Briefträger halten allerdings nicht nur diese Produktivitätssteigerungen der Postboten für unrealistisch, sondern auch die Vorgaben für die Assistenten für unerfüllbar. „Wir tragen derzeit im Durchschnitt pro Tour 800 Haushalte aus, und dafür haben wir, nach dem Sortieren und der Pause, zwischen fünfeinhalb bis sechs Stunden Zeit. Die Assistenten aber sollen um die 1 200 Haushalte austragen, haben dafür nicht mehr Zeit zur Verfügung. Dabei haben sie noch nicht mal die Routine, wie wir sie uns angeeignet haben“, fügt Paul hinzu. „Bei den Löhnen, die sie erhalten, ist das moderne Sklaverei, für die man sich als staatlicher Betrieb in Luxemburg eigentlich schämenmüsste“, regt sich Claude auf.

Rund zehn Euro die Stunde erhielten die Assistenten, berichtet Eugène Kirsch. Doch weil ihre Verträge vorsehen, dass sie nicht 40, sondern 25 oder 30 Stunden die Woche arbeiten, kommen am Ende des Monats im besten Fall 1 300 Euro zusammen. „Mit solchen Löhnen werden sich die Leute nicht halten lassen, sondern andere Stellen annehmen, sobald sie nur können“, warnt Kirsch. Das würde heißen: Viele Wechsel, wenig Kontinuität. Zwar sollen Firmenleitung und Arbeitnehmervertreter einen Tarifvertrag verhandeln. Wird dabei ein höherer Stundenlohn festgesetzt, soll den Assistenten die Differenz rückwirkend ausgezahlt werden. Doch als Verhandlungsvorgabe gilt der Tarifvertrag aus dem Transportwesen, der nicht unbedingt dafür berühmt ist, besonders großzügig zu sein.

So lautet der Vorwurf der wütenden Arbeitnehmer: Die Post schafft ein Zweiklassensystem. Unter Postzustellern, Postkunden, wie auch bei Auftraggebern. Von Anfang an: Die vereidigten Briefträger verdienen mehr, sortieren Post, fahren die Auto-Touren. Dafür sollen sie zwar wieder Päckchen verteilen, was sie derzeit weniger machen. Um ihr Arbeitsvolumen nicht allzu drastisch zu erhöhen, sollen sie im Gegenzug fast keine Werbung mehr austragen. Die Assistenten hingegen verdienen weniger als die Hälfte der vereidigten Kollegen, gehen zu Fuß. Sie nehmen dafür keine Päckchen mit, sollen aber Werbung austragen. Die soll nach Vorstellung der Direktion von den Briefträgern vorsortiert werden, was nicht dem Abkommen entspricht, das Arbeitnehmer und Postdirektion im Dezember verhandelt hatten.

Demnach sollte nämlich die Werbung, I-mail und weitere unadressierte Zustellungen, von den Zeitungsausträgern mitgenommen werden, die morgens vor Sonnenaufgang die Tageszeitungen zuzustellen. Denn diese Messagerie ist ein verlustreiches Geschäft. 1,6 Millionen betrug das Minus 2009, erklärt Kirsch. Daher der einvernehmliche Vorschlag, der Abteilung durch das Austragen der Werbung zusätzliche Einnahmen zu verschaffen, damit sie irgendwann profitabel werde. Doch die Verleger der Tageszeitungen, die erst vor wenigen Jahren über eine Konvention mit dem Staat diese Verlustgeschäft an die Post übertrugen, wollen nicht, dass die Gratiswerbung gleichzeitig mit ihren Produkten in die Briefkästen kommt. Wer sollte noch teure Anzeigen in der Zeitung schalten, wenn die Werbepost auch zum Frühstück durchblättert werden kann? Erbost, dass die Verleger der Post ihre Wünsche diktieren, weigern sich die Briefträger, die Werbung vor dem Austragen zu sortieren. Im Ergebnis werden das die Assistenten ausbaden müssen, welche die Werbung in die Briefkästen bringen sollen. Und es bleibt ungeklärt, wie diese Art von Werbezustellungen auf den Briefträgertouren zu den Empfängern kommt.

Strittig ist bislang ebenfalls, wer die Depots auffüllen soll, an denen die Assistenten, die zu Fuß unterwegs sind, ihre Wägelchen mit der Post für dennächsten Streckenabschnitt ihrer Tour auffüllen. Die Pläne der Post, soweit bekannt, sehen lediglich vor, wie dieses Depots montags, dienstags und donnerstags gefüllt werden. „Dann, wenn I-Mail und die Zustellungen anderer großen Kunden in der Post sind“, kritisieren die Briefträger, die würden bevorzugt. Was passiert mittwochs und freitags? Das ist, nach Meinung der Briefträger, drei Wochen vor Start nur unzureichend geklärt. Wie auch die Frage, wie die Päckchen zu den Kunden kommen, deren Post von Assistenten zugestellt wird. „Fährt dann doch noch jemand die Assistententouren mit dem Auto ab? Das ist nicht sinnvoll“, sagt Kirsch.

Und die Kunden zweiter Klasse? Das sind nach Auffassung von Claude und Paul, aber auch von Eugène Kirsch, die privaten Haushalte. Die Indus-trie-, Gewerbezonen und Geschäftsstraßen nämlich werden von vereidigten und ausgebildeten Briefträgern beliefert. Die schlecht bezahlten und deswegen voraussichtlich häufig wechselnden Assistenten tragen Post nur in den Wohnvierteln aus.

Das bedauern die Briefträger und ihre Personalvertreter. Auch weil die Postdirektion bewusst die soziale Dimension des Briefträgerberufs reduzieren wolle. „Wir kennen die Kunden auf unseren Touren ganz gut“, sagt Kirsch. „Für ältere, schwächere Menschen sind wir Briefträger oft der einzige soziale Kontakt, den sie tagsüber haben.“ „Sind bei Frau X, die Rollläden hochgezogen, und brennt bei Herr Y Licht in der Küche“, kontrollieren auch Claude und Paul.

Doch dafür wird in Zukunft keine Zeit bleiben. Zwar habe die Firmenleitung bisher nicht offengelegt, auf welcher Grundlage sie das Briefaufkommen für die neuen Touren berechnet hat. Doch die Briefträger haben eigenen Rechnungen aufgestellt. „Es bleiben uns sieben oder acht Sekunden pro Brief. In Belgien und Frankreich sind es aber 18 beziehungsweise 16 Sekunden.“ „Wir haben gefragt, was wir tun sollen, wenn wir bemerken, dass bei einem Kunden etwas nicht stimmt“, sagt Kirsch. „Uns wurde geantwortet, dafür seien andere Dienste zuständig.“

Claude und Paul berichten Ähnliches. „Hier soll nur noch im Akkord gearbeitet werden. Nur das zählt.“ Doch selbst das habe die Direktion schlecht vorbereitet. Drei Wochen bevor sie zum ersten Mal Post austragen sollen, seien zehn der Bettemburger Assistenten in Vorbereitungskursen. Das Zentrum, ihre Routen hätten sie noch nicht gesehen.

Weil sie überzeugt sind, dass es unsinnig ist, die neuen, veränderten Routen der Assistenten zu sortieren, welche sie dann selbst nicht besonders gut kennen, und weil sie nicht daran glauben, dass das neue System unter diesen Bedingungen funktionieren kann, sind die Bettemburger Briefträger bis jetzt der Aufforderung der Betriebsleitung nicht nachgekommen, sich neue Routen auszusuchen. „Jetzt kennt jeder seine Route und seine Kunden. Wenn da mal etwas falsch adressiert ist, merken wir das und stellen trotzdem sofort richtig zu. Das wird in Zukunft, wenn wir Touren sortieren, die wir nicht mehr selbst austragen, nicht mehr in dem Maß klappen wie bisher“, meint Paul. Was auf die Kunden zukommen könnte, beziffern die Postboten mit einem historischen Beispiel. „Bis 2006 wurden 96 Prozent aller Sendungen einen Tag, nachdem sie aufgegeben wurden, zugestellt. 2006 wurde das neue Verteilungszentrum in Bettemburg schlecht vorbereitet in Betrieb genommen. Mit dem Resultat, dass nur noch 66 Prozent in dieser Zeitspanne bei den Kunden ankamen.“ Wählten die Briefträger nicht bald ihre Routen, werde man ihnen das als Befehlsverweigerung auslegen, hätten die Vorgesetzten gedroht. Der Klärungsbedarf ist groß, die Zeit dafür knapp.

* Namen von der Redaktion geändert.
Michèle Sinner
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