Frauen zur Fußball WM

Frauen schauen

d'Lëtzebuerger Land vom 20.06.2014

Die Herren werden unseren Erwartungen nicht gerecht. Sie wälzen sich zu wenig im Gras, sie bekreuzigen sich nur hin und wieder, niemand hat bisher den Gebetsteppich ausgerollt, und gespuckt wird auch nicht mehr so viel. Es scheint, sie werden gecoacht, Urmännliches wird ihnen ausgetrieben, es ist nicht mehr zivilisationskompatibel.

Ist das jetzt eine Diskriminierung? Wir haben doch Artenschutz!

Es gab mal eine Zeit, in der die Frauen seufzend jener endlosen Zeitsteppe im Frühsommer gedachten, die vor ihnen lag. Es war eine Zeit der Einsamkeit, der langen Abende, an denen sie vielleicht ein bisschen im Garten wühlten. Dann griffen sie zum Telefonr, riefen die beste Freundin an, seufzten in den Hörer, aus dem es zurückseufzte. „Meiner auch.“ Hin und wieder betraten sie mit umgebundener Schürze die Stube oder den Living Room, in dem eine gespannte, von einer dunpfen Geräuschkulisse möblierte, von jähen Schreien unterbrochene Atmosphäre herrschte. Sie stellten Bierflaschen und Salzstangen auf den Tisch. Dann zogen sie sich in ihr Sommerloch zurück, zu ihrem Schnittlauch und den Geranien, und blätterten ein wenig im Quelle-Katalog.

Diese Zeit ist gottlob lange vorbei. Die Damen sind dabei. Hin und wieder strampeln sie sich sogar selber auf dem Rasen ab, bestreiten Weltmeisterinnenschaften, die sogar von so genannten Männern angeschaut werden. In den Logen nehmen sie Platz, nicht

nur als Dekoration. Auf den unteren Rängen, in den Wohnlandschaften. Im veganen Café, neben den freundlichen Herren mit Knödeln auf dem Kopf. Im Bopebistro, und natürlich in aller Öffentlichkeit. Sie geizen nicht mit Kommentaren, sie haben den erweiterten Blick, das große Herz, Hormone auch noch.

Die Frauen sprechen darüber, wie Frauen Fußball schauen. Nämlich anders als Männer. Sie regen sich über alptraumgiftrote Schuhe auf dem giftgrünen Rasen auf wie in bösen Märchen, über die froschgrünen OP- Trachten. Sie bemitleiden blasse Mannschaften in farblosen

Trikots. Den Australiern, die es eh schon schwer haben, sie kommen von einem Erdteilchen, das es gar nicht gibt, und wenn, am anderen Ende der Welt, jenseits, das sie sich mit ausgestorbenen Tieren teilen, begegnen sie mit Wohlwollen. Sie schauen so verstört drein, und alle reden nur darüber, wie sie vernichtet werden.

Welche Mannschaft ist die attraktivste? Die Frauen sind natürlich sexistisch, das ist auch ihr Recht, jedenfalls hier auf der Couch. Die Frauen sind für die Coolen, für die Schönen und Schnellen und Schnittigen, die mit den Irokesenfrisuren. Aber schon brechen Gefechte aus, weil die eine Frau einen anderen schön findet als die andere Frau, und die dritte schüttelt den Kopf und findet beide kindisch. Die Spanier sind schön, tragisch schön, einer schaut wie Camus aus. Das findet die andere nicht, außerdem will sie keinen Camus über einen Rasen rasen sehen. Es geht doch nicht um Schönheit.

Doch.

Um Wildheit. Um was sonst? Habt ihr die Hymne der Chilenen gehört, besser sogar als die Alzette, die durch die Wiesen fließt, die wir hier leider nie hören. Zuerst Zirkus, dann Krieg. Ja, aber wenn die Schönen und Schnellen und Wilden übertreiben, wenn sie treten und hauen, müssen die Frauen dazwischen gehen. Sie spucken aufs Knie und trösten den armen Jungen, der am Boden liegt. Sie reichen das Schweißtuch, sie trocknen Blut und Tränen. Sie machen einen Schwenk und sind jetzt für die Armen, Alten und Gebrechlichen.

Manche Frauen finden aber, dass Frauen überhaupt nicht wie Frauen schauen. Sondern einfach geschlechtsneutrale, kompetente Zuschauer_innen sind, die über Fouls und Abseits fachsimpeln statt über Kriegsinsignien, Schweiß und Blut und Tränen. Sie bestreiten vehement, unkontollierten, ekstatischen, hormongesteuerten Schüben zu unterliegen, oder, L' art pour l'art, unter rein ästhetischen Gesichtspunkten Hüftschwünge und Wadenmuskulaturen zu begutachten. Sie wehren sich gegen die Zuschreibung, orgiastisch aufzuschreien, psychedelisch inspirierte Diagnosen zu erstellen, zu psychedelirieren.

Bis die Männer zu einem Schweigemarsch mit ihren Bierdosen aufbrechen und den Rückzug antreten. In geschützte Gefilde, in Reservate, Höhlen. In denen sie unter Artenschutz grölen.

Michèle Thoma
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