Grand-prix-Gewinnerin Conchita Wurst

Die frohe Botschaft

d'Lëtzebuerger Land vom 16.05.2014

Sie ist Sissi, sie ist Kaiserin und Päpstin und Heilige. Mindestens. Conchita Wurst hat Ikonenaugen und eines der prächtigsten Gebisse, deren je ein Fernseher_innenauge gewahr wurde. Ihre Haare strömen über den zarten Rücken, sie lächelt tränenverschleiert, zugleich überirdisch und zutiefst menschlich. Sie hat Haare schwarz wie Ebenholz, Lippen rot wie Blut, und eine golden getönte Haut. Sie ist die Freiheitsstatue, sie ist aus Gold, sie steht in einer goldenen Aura. Sie steht stocksteif, als habe sie einen Besen verschluckt, aber das muss so sein. Sie singt ein bisschen forciert, das fetzt oder rockt nicht, das ist schwer pompös und glamourös und salbungsvoll. Aber sie singt nicht von Kindesmissbrauch oder schweren, hoffnungslosen Dingen. Sie singt von Auferstehung. Das hören wir gern.

Sie lächelt uns zu und sagt immer das Richtige, auch wenn es ungeplant und spontan ist. Sie scheint einen Draht direkt zum Herzen von uns Menschen zu haben. Sie liebt uns, ganz sicher, das ist nicht so einfach, das wissen wir. Deshalb lieben wir sie zurück. Oder umgekehrt, egal. Love is in the air. Was gibt es Besseres?

Es gibt eben Wunder und Wunderwesen, auch wenn sie (noch) nicht vom Papst erkannt wurden. Wir Menschenkinder erkennen sie. Und während die Expert_innen Expertisen abgeben, die Philosophinnen philosophieren und die Psychonalytikerinnen psychaoanalysieren, die Medienprofis Prophezeiungen abgeben, bilden wir ihr Konterfei auf der Wurst ab und auf Mozartkugeln, die jetzt Conchita-Kugeln werden. Sie, die Verkörperung der Versöhnung der Widersprüche, beherrscht das Netz der Netze, und die Herzen des Volkes, obschon sie keine Herrscherin sein will. Sie will nur Glück bringen, vielleicht sogar Segen. Sie will für die sein, die es schwer haben, die anders sind. Schon wird uns anders, wir liegen zu ihren Füßen, und wollen von ihr bestrahlt werden.

Den Russ_innen hat sie auch gefallen, sogar sehr. Das Russ_innenvolk hat sie zur Zarin auserkoren. Es hat ihre Nummer ins Handy getippt, ohne seinen geliebten Tyrannen um Erlaubnis zu bitten oder die offizielle Jury, die sie nämlich, Ordnung muss sein, Geschlechtsteile bitte melden, und nicht aus der Reihe tanzen, null geliket hat. Auch andere Ostvölker, denen wir gern patriarchale Hörigkeit unterstellen, haben sie auf den Thron gehievt. Vielleicht wegen dem Bart, auch wenn er (noch) keinesfalls orthodox ist.

Wer hätte das gedacht? Die polnischen Traumhausfrauen stampften zwar ausnehmend artig. Aber die schmachtenden Weiber des Ostens, die noch wissen, was das Herz und so weiter des Mannes begehrt, scheinen mit einem Schlag ausgestorben. Wo sind sie geblieben? Sie waren so schön. Sogar die Weißrussen schicken jetzt schmächtige Knaben in den verderbten Westen. Und jetzt ist der schon wieder einen Schritt weiter, Richtung Abgrund, Richtung Fortschritt.

Natürlich sträuben sich viele. Sie schäumen und schämen sich bodenlos. Für das Land, die Welt, die Menschheit. Extrafromme Christ_innen kippen teuflischen Hass über die schöne Erlöserin. Sodom, Gomorrha, mindestens. Babylon die Hure ist auch immer gut. Das schöne Wesen Wurst wird es aber euch verwirrt zwischen Geschlechtsmerkmalen, die nicht mal primär sind, herumirrenden Menschlein verzeihen. Es wird es euch nachsehen, es weiß, ihr kennt euch nicht mehr aus, hinten nicht, vorne nicht. Alles ist so zuunterstzuoberst, daneben.

Bitte, richtiger Mann, richtige Frau, übernimm wieder. Bitte richtige Frau mit richtigem Holz vor der Hütte, oder der Villa, es darf auch aus Plastik sein. Bitte richtiger Mann, der den Colt zückt und den Geldbeutel und Söhne zeugt, die keine Hello-Kitty-Kleidchen tragen. Bitte, richtiger Hirsch, röhre, Sonntagsglocke läute, der Sonntagsbraten duftet schon. Mutti kommt aus der Küche, sie hat schwielige Hände und eine Menge Holz vor der Hütte, dezent hinter einer Schürze gestapelt.

Der holde Knabe, die Diva, das Geschöpf mit dem sehr gepflegten Bart tritt ein, oder auf. Es ist herabgestiegen zu uns Menschheit von seinem Dachboden in einem hinterwäldlerischen Dorf, in dem es sich in langen Jahren der Einsamkeit entwarf. Aus seiner goldenen Kehle dringt ein Lied, das ein bisschen pathetisch ist.

Aber das muss jetzt sein.

Michèle Thoma
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