Dem Kutter seng Gesiichter, so lautet der vielversprechende Name der neuen Ausstellung im MNAHA. Den Künstler verbindet eine lange Tradition mit dem Museum. Bereits fünf Kutter-Monografien hat das Luxemburger Nationalmuseum am Fischmarkt seit 1946 gezeigt.
Die neue Schau präsentiert Kutter im frischen Gewand. Erkennbar ist der Wille, ihn gewissermaßen zu entstauben, vom Sockel zu heben, greifbar zu machen. Und wer weiß, vielleicht erschließt sich der enigmatische Kutter durch diesen frischen Look ja auch jüngeren Generationen ... Anknüpfungspunkte gibt es in der neuen Ausstellung jedenfalls genug.
Der mehrdeutige Titel ist programmatisch zu verstehen. So werden in der Ausstellung fast ausschließlich seine emblematischen Porträts gezeigt, die typischen Kutter-Gemälde, verzerrte Gesichter mit übergroßen Nasen – ironisch stilisiert, jedoch nie ins Karikaturhafte kippend.
Bis heute prägte der in Luxemburg lange abgelehnte und verkannte Kutter, der in Frankreich und Belgien weit mehr geschätzt und dessen Werke von den Nationalsozialisten als Entartete Kunst gebrandmarkt wurden, Generationen von Malern und findet bis heute Nachahmer. So nimmt etwa der zeitgenössische luxemburgische Maler Roland Schauls mit seiner figurativen Malerei und seinen Clown-Porträts unverkennbar Bezug auf ihn.
„Die Figuren sind die wichtigsten Werke in Kutters Schaffen. In ihnen kommt sein expressionistischer Stil voll zum Ausdruck“, erklärt Lis Hausemer, Co-Kuratorin der Ausstellung. „Man findet diese übergroßen Oberkörper, die kleinen Köpfe mit den kleinen Augen und der großen Nase, einen archetypischen, fast karikaturistischen Ansatz. Sie sprechen Körperhaltungen an, als würden sie vor einer Kamera posieren: eine Referenz, die bei Kutter sehr präsent ist, da sein Vater selbst Fotograf war.“ Oft waren Kutters Auftraggeber mit ihrer Darstellung unzufrieden, heißt es. Denn Kutter malte expressionistisch, nicht naturgetreu; in starken Farben, klaren Kontrasten, mit düsteren Hintergründen und kantigen Linien.
Dank der vorausgehenden Crowdfunding-Kampagne Klammt mat an d’Course! hat das Museum Kutters berühmtes Porträt Le Champion akquirieren können: ein Porträt des berühmten Luxemburger Radrennfahrers Nicolas Frantz, der gleich zweimal in Folge (1927 und 1928) die Tour de France gewann, und der das Porträt nicht sonderlich gemocht haben soll. Die Kampagne wurde von prominenten Fahrradprofis getragen: Christine Majerus und den Brüdern Andy und Fränk Schleck. Das Werk, das nun in die nationalen Sammlungen aufgenommen wurde, ist laut Museumsdirektor Michel Polfer von „extremer Bedeutung“. Es ist das Herzstück dieser Ausstellung. Wie bei großen internationalen Sportwettkämpfen wird es umgeben von den Namen der 557 Spender/innen in den Kutter-Sälen gezeigt. Davor steht das Fahrrad des ehemaligen Radrennfahrers aus Mamer, eine rostende Reliquie direkt neben der Staffelei des Künstlers.
Erstmals beleuchtet diese Schau auch den Schaffensprozess Kutters. So gibt es einen Bereich, der der Maltechnik des Künstlers gewidmet ist, mit der sich „noch nie jemand wirklich beschäftigt hat“, so Co-Kuratorin Muriel Prieur. Dies sei nun geschehen, insbesondere durch eine pädagogische Power-Point, die zeigt, dass Joseph Kutter keineswegs ein so „instinktiver“ Maler war wie bisher angenommen.
Die Genese lässt sich vor allem an seinem Gemälde Der Fischer, einer Kohlezeichnung, ablesen, an der er mehr als ein Jahr zwischen 1932 und 1933 gearbeitet hat. Man sieht alte Rahmen und Skizzen, die Aufschluss darüber geben, wie lange und akribisch er an seinen Werken schliff. An transparenten Fahnen wehen den Besucher/innen aus dem Kontext gerissene Zitate des Künstlers entgegen, so etwa: „Das Frische an meinen Bildern, das, was als zufällig erscheint, kommt daher, weil die Bilder zuletzt in einem guten Augenblick, der von selbst kommen muss, auf einmal zu Ende gemalt werden.“ (Joseph Kutter, 1934)
Dank seiner Frau, der bayrischen Industriellentochter Rosalie Sedlmayr, war Kutter finanziell relativ abgesichert. 1927 erwarb er ein Grundstück auf Limpertsberg und ließ sich dort ein Herrenhaus im Bauhaus-Stil in blassem Rosa errichten. Die avantgardistische, in Luxemburg noch ungewöhnliche Bauhaus-Architektur, die provokativ aus der Reihe der bürgerlichen Villen auf dem Limpertsberg tanzte, erregte seiner Zeit die Gemüter. Derzeit wird die Villa Kutter (im Privatbesitz) aufwändig restauriert. (Die Architektin Diane Heirend wird dazu am 29. Februar einen Vortrag im MNAHA halten.)
Die Kuratorinnen Lis Hausemer und Muriel Prieur setzen dezidiert auf eine „nachhaltige“ Szenografie. „Diese Ausstellung ist auch deshalb innovativ, weil wir die Kutter-Säle des Museums neu bespielt haben, aber die Museografie, die für die vorherige Sonderausstellung installiert war, beibehalten“, unterstrich auch Museumsdirektor Michel Polfer anlässlich der Pressevorbesichtigung. „Diese Ausstellung ist also eine Gelegenheit für uns, neue, nachhaltigere Gewohnheiten für das Museum zu entwickeln, und zwar auf verschiedenen Ebenen, sei es bei der Vorbereitung, dem Transport, bei der Auswahl der Werke oder auch bei ihrer Hängung.“
Am Ende des Rundgangs stößt man auf historische Ausstellungsplakate sowie Zeitungsartikel. Ganz ohne Sockel und nationalen Heldenkult geht es wohl bei Kutter doch nicht.
Verzerrt und fast entrückt wirken seine Familienporträts – zumal in der Retrospektive. Ganz so, als hätte Kutter in den letzten Jahren und bedingt durch seine rätselhafte Krankheit, die ihn früh dahinraffte, seiner Familie den Rücken gekehrt. Aber eben auch entrückt und verloren, so wie es im Expressionismus Usus war.
Dem Kutter seng Gesiichter knüpft so an die vorherigen Schauen im MNAHA an, wirkt jedoch unprätentiös und vor den blauen Wänden eindrucksvoll. Insbesondere das Gemälde seiner Frau Rosalie, Die Frau des Malers von 1924, sticht in seinen grünlichen Pastellfarben deutlich entrückt heraus (es erinnert an den Einfluss Cézannes auf Kutter) und überstrahlt alles. So erweist sich die schlichte blaue Szenografie als Glücksfall.