Notizen zu Anstand und Hohngelächter

Haben Sie schon Ihren Fallschirm für den Sprung in den Abgrund?

d'Lëtzebuerger Land du 13.12.2024

Ja, es ist immer wieder schön, wenn sich die Gesellschaft tiefgreifend verändert und rasant entwickelt. In Amerika wurde ein blindwütiger, rachgieriger, dummdreister, großmäuliger, überdrehter, ungehobelter, manipulativer, hochnäsiger, schwafelnder, überheblicher, faktenleugnender, unruhestiftender, selbstbewunderungsgeiler, tobsüchtiger, verlogener, chauvinistischer, engstirniger, volksverhetzender, eitler, destruktiver, unversöhnlicher, giftstreuender, mitleidsunfähiger, geifernder, radebrechender, realitätsverzerrender, starrköpfiger, hinterhältiger, spintisierender, blasierter, aufgedonnerter, geschichtsvergessener, unbelehrbarer, hochstaplerischer, missgünstiger, randalierender, unmanierlicher, hasserfüllter, wutentbrannter, gewaltbesessener, grobschlächtiger, verleumderischer, brachialer, schrankenloser, frauenfeindlicher, betrügerischer, finanzverbrecherischer, behindertenverhöhnender, kulturzerstörerischer, denkfauler, hinterhältiger, verschwörungsgetriebener, naturverwüstender, rüpelhafter, unflätiger, egomanischer, sprachzersetzender, gesetzesbrecherischer, justizverspottender, asozialer, kaltschnäuziger, freiheitsverheerender, menschenrechtsdemolierender, geschmackloser, immigrantenjagender, rassistischer, faschistischer, intriganter, anstandsverachtender, hohlköpfiger, gefühlskalter, übelgesinnter, abgestumpfter und empathieunfähiger Mann zum Präsidenten gewählt. Man sieht, dieser Mensch hat alle erforderlichen Qualitäten für das höchste Amt. Er ist unser neues Vorbild, die Inspirationsquelle schlechthin. Wir Utopisten, Universalisten, Humanisten, Friedensbeseelten und Gleichheitsanhänger sollten uns schleunigst von unseren naiven Träumen verabschieden. Unsere Weltsicht ist nicht mehr gefragt. Wir sind hoffnungslos antiquierte Versager. Höchste Zeit, dass wir uns umschulen lassen.

Distanzieren wir uns beherzt von Einflüsterern, die uns auf den falschen Weg gebracht haben. Werfen wir unseren Bildungsballast über Bord, zum Beispiel diese gefährliche Erkenntnis von Konrad Lorenz: „Ein ganz böser Zwang ist die Vermassung. Wenn viele Menschen dasselbe glauben, kommen sie leicht zu dem Ergebnis: Fresst Scheiße, Millionen Fliegen können sich nicht irren.“ Ignorieren wir Konrad Lorenz und benehmen wir uns wie die Fliegen. Der Wahlsieg von Trump beweist überdeutlich: Hellsichtigkeit und Stringenz beim Argumentieren sind endgültig außer Kraft gesetzt. Seien wir wohltuend dumm. Boykottieren wir unsere grauen Zellen.

Orientieren wir uns an der Zuversicht unserer nationalen Geistesgrößen. Der Luxemburger Kardinal hat sofort Gottes Segen auf den neuen US-Präsidenten herabgerufen. Sein Wunschkandidat hat das Rennen gemacht. Ganz gleich, ob Trump die Welt in den Abgrund reißt, Hauptsache, er ist gegen Abtreibung. Daher lasset uns beten: Domine salvum fac magnum conducatorem nostrum Donaldum. Und der andere katholische CEO, der Staatsmann Frieden, hat öffentlich verkündet: Ich setze auf Donald Trumps Vernunft. Das ist ein bahnbrechendes Statement der Sonderklasse. Wir bedauernswerten Phantasten mögen diesen Wunsch zutiefst kurios finden und uns tausendmal erregen: Welche Vernunft? Bei Trump ist bislang nicht die geringste Spur von Vernunft auszumachen, er ist ganz im Gegenteil der Zerstörer aller vernünftigen Politik. Unser Lamento ist bestenfalls ulkig. Herr Frieden hat die Zeichen der Zeit erkannt. Auch wir sollten endlich einsehen, dass wir mit unseren humanistischen Hirngespinsten schief gewickelt sind.

Da kommt die „New american education attack“ namens Sot (Kürzel von „Spirit of Trump“) gerade recht. Sot ist ein System von schulischen Einrichtungen und Bildungsanstalten, das künftig unser klassisches Erziehungsangebot ersetzen wird. „Seul le SOT saura dominer“, hat neulich der französische Philosoph Jean-Jacques Cassecou mit aphoristischer Schärfe notiert. Sein Merkspruch bringt das Sot-Konzept treffend auf den Punkt. Die Intelligenz wird sozusagen entmachtet. Haben intelligente Menschen quer durch die Weltgeschichte nicht nur Unfug hervorgebracht und Unheil angerichtet? Damit ist nun Schluss. Jetzt schlägt die Stunde der Dummen und Bedenkenlosen. Die Sot-Schulen sind ein Paradies der fächerübergreifenden Stumpfsinnigkeit und Beklopptheit.

Die alten Lehrpläne haben ausgedient. Schulen bereiten fortan die Kinder auf eine dauerhaft unerschütterliche Verzerrung der Realität vor. Im Mittelpunkt der Sot-Bildungsoffensive steht nicht mehr der autonom denkende Mensch, sondern die Instinktbestie, das innere Raubtier sozusagen. Das animalische Geschöpf wird rehabilitiert. Wer nachdenkt, hat schon verloren. Nur wer das Denken konsequent und beharrlich verweigert, wird zu den Gewinnern zählen. Wer gezielt seinen Kopf ausschaltet und ausschließlich auf primäre Regungen und Reflexe setzt, dem winkt eine wunderbare Schulkarriere und später ein unbegrenzter beruflicher Erfolg.

Fähigkeiten sind nicht länger gefragt. Bescheidenheit und Vorsicht in allen Lebenslagen gelten als lächerlich. Der Sot-Schulabgänger soll sich auf ein solides Fundament berufen: seine einzige Kompetenz ist eigene Unzulänglichkeit und Aufgeblasenheit. Er muss perfekt tricksen, hauen und stechen können. Er muss ein durch und durch falscher Hund sein, unzuverlässig, unglaubwürdig und verdorben. Er soll immer und überall wie ein inkarnierter Lügenautomat auftreten, ganz nach dem leuchtenden Beispiel von Trump. Schulische Leistungen erbringen heißt ab jetzt: Den maßlosen Angeber markieren, mit Unbedarftheit protzen, alle Mitschüler zu Minderwertigen und Abschussreifen erklären, mit großer Geste die Unwahrheit verbreiten. Nicht zu vergessen: Ich bin der alleinige wertvolle Mensch. Alles dreht sich um mich. Wenn ich rede, haben alle andern zu schweigen. Mir kann keiner. Ihr werdet mich noch kennenlernen. Ich werde euch das Fürchten lehren.

Wir sollten vorbereitet sein. Es wird nicht lange dauern, bis auch in Luxemburg die ersten Sot-Schulen den Betrieb aufnehmen. Seit die Amerikaner uns befreit haben, genießen sie hierzulande den Status von unumstößlichen Heiligen. Seien wir keine „tiny cowards“. Let’s make it happen. Worauf sollte unser Unterrichtsminister bei der Umsetzung des Sot-Bildungskonzepts unbedingt achten? Zuallererst muss der Religionsunterricht wieder eingeführt werden. Die auf Kindesmissbrauch spezialisierte katholische Sekte muss ihr verlorenes Schulmonopol erneut geltend machen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass Gott der zuverlässigste Komplize des Sot-Gründers Trump ist. Gott – nicht etwa die Wählerschaft – hat den Potus an die Macht gebracht. Das bescheinigen ihm alle untergeordneten Sekten in den USA. Es stimmt: Trump ist alles in allem ein Fingerzeig Gottes. Das verpflichtet. Wir sollten schon mal die Kruzifixe für die Klassensäle polieren. Und in jedem größeren Schulgebäude ein paar Seelenfolterkammern (lies: Beichtstühle) vorsehen.

Das Fach „Vie et société“, dieses Sammelsurium hehrer Absichten und edler Ansprüche, wird kurzerhand durch die stramme, nebulöse „Doctrine chrétienne“ ersetzt. Wenn Religion wieder die Oberhand gewinnt, landen wir beschwingt im Trumpschen Obskurantismus. Vertiefen wir uns in die Lektüre der Bibel, Trumps Lieblingsbuch. In diesem heiligen Schmöker lernen wir, wie mit Ungläubigen und Gottlosen – also Trump-Gegnern – umzugehen ist. Wer sich Gewalt aneignen will, muss in der Bibel nachschlagen. Nicht umsonst wedelt Trump publikumswirksam mit diesem göttlichen Leitfaden für Herrenmenschen. Um wissenschaftliche Erkenntnisse müssen wir uns nicht länger kümmern. Fakten sind nur ein Sammelbegriff für lästiges Zeug. Die Sot-Schule fußt auf innovativem Unterrichtsmaterial: Die Auszubildenden sollen lernen, geschickt mit unbeweisbaren Behauptungen zu jonglieren.

Alles andere wird sich von selbst ergeben. Lesen, Schreiben, Rechnen? Nicht nötig. Unser aller Trump liest nur selbstverliebt die eigenen Kurznachrichten. Er schreibt nur vertrottelte, aggressive Satzfetzen im Staccato. Rechnen kann er gar nicht, seine zahlreichen Pleiten sind ein einziges Fiasko der mathematischen Kunst. Geschichte und Geografie? Überflüssig. Nationalismus und Protektionismus brauchen keine Rechtfertigung. Die pure Behauptung genügt, der Wille zur Egomanie ist oberstes Gebot. Machen wir uns vertraut mit dem Sot-Lehrplan. Wir werden entdecken, dass Sanftmut, Zugewandtheit und Menschenfreundlichkeit nichts als Attribute schwacher Menschen sind. Werden wir stark wie Trump. Bekennen wir uns dringend wieder zu unserem Wesenskern: der allumfassenden Brutalität und Grausamkeit. Seien wir hart und gnadenlos. Trampeln wir auf Andersdenkenden herum. Verhöhnen wir Unangepasste. Schlagen wir aufsässige Freiheitsaktivisten in die Flucht. Bringen wir uns bei, wie wir Unbotmäßige wegstoßen, einkesseln, ausgrenzen, vertreiben, einsperren und notfalls eliminieren können. Überschätzen wir uns selbst. Schreiben wir uns hinter die Ohren, dass nur den wild entschlossenen Unfähigen die Macht gehört. Inability first. Instability forever.

Machen wir uns nichts vor. Alle Alarmglocken werden verstummen, alle moralischen Appelle verhallen. Dann regieren die Brandstifter. Kommen wir nicht zu spät. Seien wir gelehrige Schüler. Fangen wir einfach an. Ohne Ladehemmung und ohne Rücksicht auf Verluste. Auch für alte weiße Frauen und Männer mit leicht überschrittenem Verfallsdatum ist in Trumps Irrgarten ein Plätzchen frei. Die Erwachsenenbildung, das heißt die Hirnwäsche für Volljährige, ist ein wichtiger Stützpfeiler des Sot-Programms. Beweisen wir, dass wir auch im fortgeschrittenen Alter noch erziehungstauglich und unterordnungsfähig sind. Suchen wir nicht das Weite. Tauchen wir ein in den ideologischen Sumpf des Hochleistungslügners Trump.

Eifern wir dem Meister nach. Er wird uns Rückendeckung geben. Werfen wir unsere kindischen Prinzipien über Bord. Sehen wir endlich ein: Alles Moralisieren ist sinnlos und grotesk, wenn der Meister jeden Appell zur Moral mit Hohngelächter quittiert. Korrigieren wir unser Menschenbild. Der Anständige hat keine Zukunft. Der Gütige, Verständnisbereite, Hinterfragende ist nur mehr eine lächerliche Figur, die auf den Schrotthaufen gehört. Achtsamkeit, Behutsamkeit, Entgegenkommen sind Begriffe aus einer versunkenen Epoche. Es heißt nicht länger: Ich will dich verstehen. Wir müssen sagen: Ich werde dich mundtot machen. Verzichten wir auf anrüchig idealistische Allgemeinplätze. Behaupten wir nicht: Ich will dir helfen. Poltern wir: Ich werde dich vernichten. Falsch ist: Ich will dich beruhigen. Richtig ist: Ich will dir Angst einjagen. Falsch: Ich leide mit dir. Richtig: Was kann ich dafür, dass du in der Scheiße steckst? Falsch: Gemeinsam sind wir stark. Richtig: Jeder für sich, Gott für mich.

Halten wir uns stets den Meister vor Augen. Er macht vor, was wir ergebenst nachzuahmen haben. Make America hate again. So funktioniert die Sot-Alternative: Einer diktiert, alle andern ducken sich und exekutieren die Befehle. Gehorchen ist ein Kinderspiel. Wir müssen nur unser Autonomiegefasel und Freiheitsgebrabbel in die Mülltonne kippen.

Sammeln wir Punkte im neuen Sot-System. Wir könnten ja als Einstiegsübung unsere immer schon höchst verdächtigen Nachbarn beim Heimatschutzministerium denunzieren. Ob sie etwas verbrochen haben oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle. Wenn wir sie nur vehement genug anschwärzen, hört uns der Heimatschutzminister garantiert aufmerksam zu. Erfinden wir munter Vergehen und Fehltritte. Seien wir nicht zimperlich. Je unglaubwürdiger, umso akzeptabler. Behaupten wir ohne mit der Wimper zu zucken: In ihrer Garage feiern unsere Nachbarn schwarze Messen mit kriminellen, illegal eingeschleusten Schamanen aus Afrika. Sonntags in der Nacht fallen sie mit verwandten Pädophilen aus dem linken Spektrum über wehrlose Kinder her. Montags am helllichten Tag schlachten sie Katzen und Kanarienvögel. Wir werden uns beliebt machen bei der Obrigkeit. Vielleicht wird man uns sogar beauftragen, eine Privatmiliz in unserem Viertel aufzubauen. Wir werden uns zu stolzen Rächern aufschwingen. Unnachgiebig werden wir alle Trump-Feinde verfolgen. Das Sot-Bildungsprogramm wird Früchte tragen. Als fleißige Absolventen werden wir Teil der neuen Welt. Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Guy Rewenig
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