Luc Frieden versuchte sich vergangene Woche als Landwirtschaftspolitiker. Er forderte in der Mercosur-Debatte eine Standardsenkung. Und stieß dabei auf Widerspruch 

„Dat Neit aus mengem Gespréich mat der Landwirtschaft“

Luc Frieden im Gespräch mit Vertretern aus der Landwirtschaft
Photo: SIP
d'Lëtzebuerger Land du 13.12.2024

Die EU-Kommission schloss am vergangenen Freitag ein Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur ab. Mit über 700 Millionen Einwohnern handelt es sich um die weltweit größte Freihandelszone. Um sich die Bedenken der heimischen Landwirte anzuhören, traf CSV-Premierminister Luc Frieden am frühen Freitagnachmittag die Bauerngewerkschaften. Da die Lohn- und Produktions-standards in den Mercosur-Staaten niedriger sind, befürchten europäische Landwirte eine Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Soja, Zucker, Geflügel und insbesondere Rindfleisch könnten durch den Vertrag zu günstigen Preisen auf den europäischen Markt gelangen.

Später am Nachmittag erklärte Luc Frieden auf einer Pressekonferenz, er „verstehe die Sorgen der Bauern“. Zunächst behauptete er, sicherstellen zu wollen, dass es zu keiner Absenkung der Standards komme. Lenkte dann jedoch ein: „(...) dat Neit aus mengem Gespréich mat der Landwirtschaft ass“, dass man die Vorgaben international anpassen müsse. Man könne den europäischen Markt nicht bremsen, „an et a Südamerika erlaben eng massiv Fleeschprduktioun fir den Export ze hunn“. Statt einen strengeren Zugang zum europäischen Markt einzuführen, könne die Politik sich also für niedrigere Standards in Europa einsetzen, um künftig möglicherweise mit südamerikanischen Produzenten konkurrenzfähig zu sein. Ökonomen wie Peter Wehrheim oder Mathias Binswanger warnen davor zu behaupten, Landwirte aus postindustiralisierten Gesellschaften könnten auf dem Welthandel bestehen.  

Der Präsident der Bauernallianz und DP-Bürgermeister von Harlingen, Marco Koeune, scheint sich von Premier Frieden falsch verstanden zu fühlen. Er veröffentlichte am Mittwoch einen Beitrag im Wort, in dem er schrieb: „Umwelt-, Klima- und Tierstandards in besagten Ländern sind Standards aus dem vergangenen Jahrhundert.“ In manchen südamerikanischen Ländern wird der Amazonaswald – ein wichtiger Kohlenstoffspeicher und Habitat für zahlreiche Tiere und Pflanzen - zugunsten von Soja- und Weideflächen abgeholzt, mahnt Koeune. Außerdem käme in den Mercosur-Staaten der Antibiotika- und Hormoneinsatz in der Rindermast nicht zu kurz. Angesichts der Abschottungspolitik der kommenden Trump-Regierung verstehe er, dass ein gewisser Handlungsdruck auf der EU-Kommission lastet. Der Vertrag müsse jedoch auf sozial- und umweltgerechten Regeln beruhen.

Aus dem Agrarsektor war in den vergangenen Wochen zudem zu vernehmen, manche luxemburgischen Landwirte würden die Konkurrenz aus den südamerikanischen Feedlots bisher nicht sonderlich fürchten. Denn das tiefgekühlte Fleisch führe vor allem in deutschen und französischen Großschlachtereien und Discountketten zu Preisdruck. In Luxemburg aber unterstütze die Supermarktkette Cactus mit dem Label Rëndfleesch vum Lëtzebuerger Bauer die hiesigen Produkte. Cactus sei zudem dabei sein Angebot an regionalen Produkten auszuweiten und poche dabei auf hohe Qualität. Insofern werden die Qualitätsstandards den luxemburgischen Bauern möglicherweise einen gewissen Marktvorteil gegenüber Fleisch aus Übersee bieten.

Luc Frieden hatte seine Zustimmung zu dem Abkommen bereits im September geäußert und in einem Schreiben, zusammen mit zehn weiteren EU-Staats- und Regierungschefs, einen raschen Abschluss der Verhandlungen gefordeert. Der CSV-Premier erhofft sich durch neue Handelspartner positive Auswirkungen auf die luxemburgischen Finanzdienstleistungen. Demnach diente das Treffen mit den Bauerngewerkschaften der Beschwichtigung, nicht jedoch dem Ziel, Anregungen an Brüssel weiterzuleiten. Brüssel war allerdings Thema beim zweiten Landwirtschaftstisch, der am gestrigen Donnerstag stattfand. Diskutiert wurde nämlich mit der CSV-Landwirtschaftsministerin Martine Hansen und Vertretern aus der Landwirtschaft unter anderem über den Bericht von dem Politologen und Germanist Peter Strohschneider, auch noch Strategic Dialogue Report genannt. Details über den zweiten Landwirtschaftstisch wurden vor Redaktionsschluss nicht bekannt. Mit 29 Akteuren aus dem Agrarsektor, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft erarbeitete Strohschneider Ratschläge im Auftrag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für den EU-Landwirtschaftskommissar. Christophe Hansen (CSV) muss nun auf Grundlage dieses Berichts in den ersten 100 Tagen seines Mandats eine Vision für die Landwirtschaft und den Lebensmittelmarkt vorlegen.

Strohschneiders Bericht legt nahe, einkommenswirksame Bezahlungen für öffentliche Leistungen einzuführen und Kompensationen für Produktivitätseinbußen abzuschaffen. Statt höhere Steuern zu verlangen, um Umweltschäden auszugleichen, könnte eine insgesamt ökologischere Landwirtschaft höhere Preise rechtfertigen, die gleichzeitig höhere Einkommen für Landwirte mit sich bringen. Um den ländlichen Raum aufzuwerten, sollen laut dem Bericht zudem kleinbäuerliche Strukturen im gesellschaftlichen Interesse unterstützt werden – auch dann, wenn sie kaum profitabel sind.

Wenn Premier Luc Frieden letzte Woche eine Standardsenkung in Aussicht stellte, dürften ihn die Vorschläge aus dem Strohschneider-Bericht womöglich nicht sonderlich interessieren. Außerdem hat er einen anderen Schwerpunkt gewählt: Er habe nämlich wahrgenommen, „datt et eng generell Tendenz gëtt, fir de Bauren mat Reglementatiounen d‘Liewen schwéier ze machen.“ Diese Entwicklung könne er nicht gutheißen, und deshalb werde er sich bei dem neuen Landwirtschaftskommissar Christoph Hansen gegen „eine Überreglementierung“ einsetzen, „déi eis Landwirtschaft futti mécht.“ Das Parlament lehnte ebenfalls eine Motion von Joëlle Welfring (déi Gréng) ab, die forderte, der Landwirtschaftskommissar solle sich an dem vorgelegten Bericht orientieren. Von der DP und der CSV hat niemand für die Motion gestimmt. Marco Koeune stellte am Mittwoch im Wort infrage, ob es Kommissar Hansen möglich sein wird, die Anregungen des Strohschneider-Berichts und das Mercosur-Abkommen gleichzeitig umzusetzen.

Stéphanie Majerus
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