Macht die Regierung ernst mit der „Bestrafung“ von Nachtflügen? Im Koalitionsvertrag steht das so, aber wer danach fragt, erhält keine klare Antwort

Schluss mit Lustig?

d'Lëtzebuerger Land vom 17.01.2020

Unterwegs auf dem so genannten Instanzenweg ist ein Entwurf für eine großherzogliche Verordnung, der interessant scheint. Um die Gebühren für Flugnavigationsdienste geht es darin. Das sind einerseits Gebühren für den Überflug des Luxemburger Territoriums, andererseits für Navigationsdienste am Flughafen, in Fachenglisch Terminal Navigation Charges. Transportminister François Bausch (Grüne) hatte am 9. März 2018 erklärt: „Le calcul des TNC (Terminal Navigation Charges) pourrait être revu en pénalisant plus particulièrement le bruit émis par les aéronefs et l’horaire des vols.“ Das gab er damals den LSAP-Abgeordneten Marc Angel und Franz Fayot auf eine parlamentarische Anfrage hin schriftlich. Geht die Regierung nun also auf diesem Weg gegen die Nachtflüge vor?

Nein, antwortet Bauschs Sprecherin Dany Frank per E-Mail. In dem Entwurf stehe „nichts Neues“. Flieger, die mehr Lärm verursachen, bezahlen schon heute höhere Terminal Charges, und für Nachtflüge wird mehr Gebühr fällig als am Tag. „Bisher aber ist das nicht in einer großherzoglichen Verordnung festgehalten“, so Frank. Die Nachfrage, weshalb der Minister davon absah, Fluglärm durch weiter erhöhte Gebühren zu „bestrafen“, wie er das vor knapp zwei Jahren für denkbar hielt, ließ seine Sprecherin unbeantwortet.

Politisch delikat sind Maßnahmen gegen Fluglärm immer. Einerseits hängen rund 20 000 Arbeitsplätze direkt und indirekt von Luftfahrt, Flughafenbetrieb und Frachtlogistik ab und fünf Prozent Beitrag zum BIP. Andererseits liegt der Findel-Airport derart nah an den nächsten Siedlungen, dass rigorose Maßnahmen sich aufdrängen. 2012, als die EU-Umgebungslärmrichtlinie die Mitgliedstaaten zwang, „strategische Lärmkarten“ zu zeichnen und „Lärmschutz-Aktionspläne“ aufzustellen, konnte man die Verhältnisse um alle großen europäischen Flughäfen vergleichen. Es zeigte sich zum Beispiel, dass kein einziger Anrainer des Flughafens Frankfurt einem 24-Stunden-Schallpegel von mehr als 70 Dezibel (A) ausgesetzt war. In Luxemburg waren es um die 1 800. Ebenso fiel kein Frankfurt-Anrainer in den Acht-Stunden-Nachtschallbereich von mehr als 60 Dezibel (A), in Luxemburg dagegen rund 2 300 (d’Land, 5.10.2012).

Fluglärm und Nachtflüge durch Gebühren einzuschränken, ist keine neue Idee. Alex Nicola und Fernand Diederich vom Lokalen Interessenverein Fetschenhof-Cents in Luxemburg-Stadt wissen, dass in der Beratenden Flughafenkommission, in der auch Bürgervertreter sitzen, diskutiert wurde, einerseits die Flughafengebühren anzuheben, die die Findel-Betreibergesellschaft Lux-Airport einnimmt, andererseits die Terminal Navigation Charges, die von der Flugnavigationsverwaltung Ana erhoben werden. „Wir haben den Regierungsvertretern in der Kommission damals gesagt, passt die Gebühren zeitgleich an, macht bloß keine Phasierung.“ Nun sieht es so aus, als werde es nur über die Flughafengebühr eine Lärmstrafe geben. Das steht auch im Koalitionsvertrag: „Landegebühren mit einer starken Umwelt-Komponente“ würden eingeführt und „besonderes Augenmerk“ werde auf eine Tarifgestaltung gelegt, die zu einer „substanziellen Reduzierung der Nachtflüge“ führt.

Wann es soweit sein wird, ist aber noch ungewiss. Fakt ist, dass Lux-Airport nicht daran vorbeikommt, mehr Gebühren zu erheben: Der Flughafenbetreiber braucht Geld für Investitionen. Etwa für die anstehende Renovierung der Landebahn, die wegen EU-Beihilferegeln nur eingeschränkt öffentlich subventioniert werden darf. Lux-Airport-CEO René Steinhaus hatte in einem Land-Interview im Herbst 2018 eine neue Gebührenstruktur für 2019 angekündigt (d’Land, 16.11.2018). Eine Anfrage, wo man Anfang 2020 mit den Überlegungen steht, beantwortete Lux-Airport nicht.

Delikat ist die Gebührenfrage allemal. Im Moment erhebt Lux-Airport lediglich 7,50 Euro für jeden abfliegenden Passagier sowie auf jedes Flugzeug eine Parking Charge, aber nur, wenn es länger als vier Stunden auf dem Flughafen bleibt. Damit ist der Findel sehr wettbewerbsfähig. Dagegen ist es laut Koalitionsvertrag beschlossene Sache, ihn preislich „auf ein mit benachbarten Flughäfen vergleichbares Niveau“ zu bringen. Das ist natürlich etwas Neues. Bisher ließen Regierungen an der Gebührenschraube eher in die andere Richtung drehen. Im Mai 2004 hatte der damalige CSV-DP-Regierungsrat für Nachtflüge einen Aufschlag von 300 Prozent auf die Terminal Navigation Charges beschlossen. Lobbying verschiedener Fluggesellschaften ließ dieses Projekt jedoch sterben.

2008 erließ LSAP-Transportminister Lucien Lux eine Gebührenerhöhung, die jedoch aufgeweicht wurde, nachdem die auf die Bankenkrise folgende Wirtschaftskrise den Luftfrachtverkehr hatte einbrechen lassen: 2012 gewährte die CSV-LSAP-Regierung den Airlines einen „Volumenrabatt“ auf die Terminal Charges für Landungen sowohl tags- als auch nachtsüber und ließ den Rabatt sogar ein Jahr rückwirkend auszahlen. Für neu eingerichtete Frachtverbindungen nach Luxemburg winkte außerdem im ersten Jahr ein Abschlag von 60 Prozent auf die Landegebühren und von 40 Prozent im zweiten Jahr.

Seit Anfang 2015 gibt es gar keine Landegebühren mehr, weil eine EU-Verordnung nur noch erlaubt, für Starts oder Landungen Terminal Navigation Charges zu erheben. Dass die DP-LSAP-Grüne-Regierung dafür optierte, Landungen von der Gebühr auszunehmen, stört Alex Nicola und Fernand Diederich vom Interessenverein Fetschenhof-Cents auch fünf Jahre später noch, denn die meisten Nachtflüge am Findel sind Landungen. Der Interessenverein kann das selber sehen, weil er seit einem Jahr eine eigene Messstation an der Einflugschneise in Cents und Hamm betreibt. Zwischen Januar und November 2019 zählte er 724 nächtliche Starts und 1 043 Landungen. Besonders groß ist die Differenz bei Flügen nach Mitternacht: Da standen 155 Starts 330 Landungen gegenüber. In erster Linie landeten 240 Mal Frachtflugzeuge zwischen null und 5.59 Uhr.

Wie das in Zukunft sein soll, ist eine gewichtige Frage. Luxemburg hat den im Warenumschlag sechstgrößten Frachtflughafen Europas (Stand 2018) nach, in dieser Reihenfolge, Frankfurt, Paris Charles de Gaulle, Amsterdam, London Heathrow und Istanbul. Für ein Regierungsmitglied stellt das eine Herausforderung dar. Als Oppositionsabgeordneter wetterte François Bausch gegen die Frachtflug-Logistik ab Findel. 2007 war das Teil seiner Kampagne, „Weeër aus der Uelegfal“ zu zeigen. Im Februar 2015 kam die Nachtflugstatistik für das Vorjahr heraus, das erste Jahr, in dem er als Transportminister voll im Amt war. Dass sie 62 Nachtflüge mehr auswies als 2013, wurde zum kleinen Politikum. Bausch klagte im Fernsehen, es seien „immer dieselben, die sich beschweren, aber sie haben mir noch nie gesagt, macht die Cargolux zu, macht die ganze Logistik zu, weil natürlich jeder weiß, welche ökonomische Bedeutung das hat“. Pragmatische Amtsvorgänger wie Robert Goebbels von der LSAP oder Henri Grethen von der DP hätten es kaum treffender formulieren können.

Dass Bausch vor zwei Jahren von „Nachtflüge bestrafen“ zu sprechen begann, hat damit zu tun, dass ihre Zahl enorm zugenommen hat. 2015 versprach er, bis 2017 für eine Senkung um fünf Prozent zu sorgen. Stattdessen gab es 23 Prozent Zuwachs. Erst 2018 stellte sich ein kleiner Rückgang um 3,6 Prozent auf 2 145 Nachtflüge ein. Die Zahlen für 2019 sind noch nicht publik. Der Interessenverein Fetschenhof-Cents hat, was er bis November vergangenen Jahres erfasst hat, extrapoliert und kam bei 1 928 an. Bestätigt sich das, entspräche es einem Rückgang um zehn Prozent gegenüber 2018. Doch es wäre noch immer viel: 2014 waren 1 554 Nachtflüge gezählt worden.

Zunehmend überschreiten auch Passagierflüge das Curfew am Findel zwischen 23 Uhr und 5.59 Uhr. Der Interessenverein erkennt das mit seiner Anlage, die den European Aircraft Noise Services angeschlossen ist: 797 der 1 767 Nachtflüge, die sie zwischen Januar und November vergangenen Jahres registrierte, waren Passagierflüge. Interessant ist auch, dass Frachtmaschinen nach Mitternacht in diesem Zeitraum 77 Mal starteten, Passagierflieger 78 Mal. Und: Nach ein Uhr hob in den elf Monaten nur drei Mal ein Frachtflugzeug ab, 59 Mal dagegen eine Passagiermaschine.

Was das zu bedeuten hat, halten Alex Nicola und Fernand Diederich für eine genaue Analyse wert. Sie konstatieren, dass Cargolux sich „Mühe gibt“. Auch auf Betreiben des Transportministers, „der uns gehört hat“, und der Flugnavigationsverwaltung Ana. Sie hat 2018 eine Fluglärm-Charta mit der Fracht-Airline abgeschlossen, auf welche hin diese 46 Nachtflüge weniger tätigte. Dass bis ein Uhr möglichst Schluss sein soll mit Starts, steht darin auch. Die beiden Fluglärmgegner erklären aber auch, Airlines würden „schummeln“. Ihre Messeinrichtung erlaube es, startende und landende Maschinen ihrer jeweiligen Fluggesellschaft zuzuordnen und zu verfolgen, welche Route sie unter welchen Bedingungen nahmen. „Wenn eine Airline behauptet“, sagt Fernand Diederich mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme, „ihr Flug sei wegen schlechten Wetters verspätet in Luxemburg angekommen und müsse als Nachtflug mit Sondergehmigung weiterfliegen, in Wirklichkeit aber war das Wetter gut, dann sehen wir das.“

Dass der Interessenverein über eine so potente Anlage verfügt, hat die Fluglärmgegner ziemlich auf Augenhöhe gebracht in Diskussionen mit dem Transportministerium, der Flugnavigationsverwaltung und den Airlines. Die Stadt Luxemburg habe dabei geholfen, sagt Alex Nicola, und die Anlage bezahlt, nachdem der Interessenverein sie vorfinanziert hatte. In Hamm und Cents stellt sie je ein gemeindeeigenes Gebäude zur Verfügung, auf denen die Sensoren platziert sind.

Ausgerüstet mit belastbaren Daten, verfolgen Diederich und Nicola ein ihnen besonders wichtiges Ziel: Nicht nur Gebührenerhöhungen müssten her. Strafen für von den Airlines selber verursachte Nachtflüge brauche Luxemburg auch. In Frankfurt seien in solchen Fällen schon 40 000 Euro pro Flug verhängt worden. In Paris könnten bis zu 80 000 Euro drohen.

Hierzulande dagegen habe lange Laxheit geherrscht. Das Transportministerium habe sich nicht mal dafür interessiert, welche Sondergenehmigungen für Nachtflüge tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Dabei steht seit 1998 in der Flughafenbetriebsverordnung, dass das Ministerium darüber am Ende jedes Quartals einen Bericht erhält. „Mehr als zehn Jahre lang haben wir immer wieder nach diesen Berichten gefragt, aber nie einen gesehen“, sagt Alex Nicola. „Es stellte sich heraus, dass nie einer geschriebent wurde.“ Mittlerweile sei das anders. Das muss es auch: Im Juni 2018 versprach François Bausch, Nachtflüge „unwirtschaftlich“ zu machen. Ob das noch gilt und ob die ganze Regierung es so sieht, ist weniger gewiss.

Peter Feist
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