Die Regierung lehnt Akzisensenkungen zur Inflationsbekämpfung ab

Umgekehrter Ratchet-Effekt

d'Lëtzebuerger Land vom 17.03.2011

Der vom Aufschwung der Weltwirtschaft und den Unruhen in Nordafrika und dem Nahen Osten mitverschuldete Anstieg der Erdölpreise wird für die derzeitige Beschleunigung der Inflation verantwortlich gemacht (d’Land, 11.3.). Da die Preise an der Tankstelle aber keineswegs bloß von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, mehren sich die Forderungen, dass die Regierung in ihre Gestaltung eingreift. Der um den Ausfall einer Indextranche fürchtende OGB-L findet es beispielsweise „nicht normal“, dass der Preis an der Zapfsäule heute bei einem Rohölpreis von 105 Dollar fast genau so hoch ist wie vor drei Jahren, als das Fass Rohöl 146 Dollar kostete, und verlangt: „Die Po­litik muss Einfluss auf die Entwicklung der Treibstoffpreise nehmen.“

Der Druck auf die Regierung dürfte zunehmen. Denn sie selbst stellt die Inflation als das größte aller Übel dar und hatte schon einmal auf den Tag genau vor drei Jahren im Kabinett beschlossen, die Inflation durch das Einfrieren der verordneten Preise zu bremsen. Da trifft es sich gut, dass der Preis eines Liters Super-Benzin an der Tankstelle zur Hälfte ein verordneter Preis ist. Denn er besteht zur Hälfte aus Steuern, nämlich aus Akzisen und Mehrwertsteuer. An einem Liter Diesel verdient der Staat immerhin noch zu 40 Prozent und am Heizöl zu 12 Prozent.

Wobei noch ein in anderem Zusammenhang als „pervers“ bezeichneter Effekt dazu führt, dass bei jeder Steigerung des Erdölpreises auch die 15-prozentige Mehrwertsteuerabgabe darauf zunimmt und das Produkt zusätzlich verteuert. Die Akzisen bleiben dagegen unverändert, weil sie auf die Menge und nicht auf den Preis berechnet werden.

Angesichts ähnlicher Verhältnisse in Belgien berät die Brüsseler Regierung derzeit während der Budgetverhandlungen über eine Senkung der Akzisensätze auf dem Treibstoff. Vergangene Woche hatten bereits der belgische Haushaltsminister Guy Vanhengel und, etwas vorsichtiger, Finanzminister Didier Reynders sowie die liberalen Parteien vorgeschlagen, den in den Jahren 2005 bis 2009 mit Unterbrechungen angewandten umgekehrten Ratchet-Effekt (cliquet inversé, omgekeerde cliquet-systeem) wieder einzuführen.

Der umgekehrte Sperrklinkeneffekt entsteht in Belgien dadurch, dass bei jeder Erhöhung des Treibstoffhöchstpreises der Anstieg der Mehrwertsteuer durch eine entsprechende Senkung der Akzisen ausgeglichen wird. Als beispielsweise der Literpreis für Super-Benzin im September 2008 von 1,519 auf 1,561 Euro je Liter steigen sollte, nahm entsprechend die 21-prozentige Mehrwertsteuerabgabe von 0,2636 auf 0,2709 Euro um 0,0073 Euro zu. Da die Akzisen aber um 21 Prozent dieser zusätzlichen Einnahmen gesenkt wurden, stieg der Literpreis nur auf 1,552 statt 1,561 Euro.

In Frankreich war der Ausgleich durch die Taxe intérieure sur les pro­duits pétroliers (Tipp) im Jahr 2000 als Tipp flottante eingeführt worden. Jedes Mal, wenn der Erdölpreis innerhalb eines Quartals um mehr als zehn Prozent stieg, wurde die Tipp proportional zum Anstieg der Mehrwertsteuer gesenkt. Nach den Präsidentschaftswahlen 2002 war die Tipp flottante abgeschafft worden, doch in den vergangenen Wochen machte sich vor allem die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin ­Ségolène Royal für ihre Wiedereinführung stark.

Hierzulande lehnte die Regierung bisher eine Stabilisierung der Erdölbesteuerung ab. Finanzminister Luc Frieden (CSV) erklärte sich vergangen Woche im Parlament „ziemlich retizent“, als er von dem Abgeordneten Gast Gibéryen (ADR) darauf angesprochen wurde. Er stört sich daran, dass eine Akzisensenkung „nicht sozial selektiv“ genug sei. Denn Bezieher niedriger Einkommen würden härter von einem Anstieg der Erdölpreise getroffen als Bezieher hoher Einkommen. Schon während der Tripartite-Verhandlungen vor einem Jahr habe er sich aber dafür eingesetzt, dass alle Maßnahmen zuerst jenen zugute kommen sollten, die sie am meisten benötigten.

Was der Minister genau unter „so­zia­ler Selektivität“ versteht, lässt sich seinem Hinweis entnehmen, dass Luxemburg sich in einer „atypischen Situation“ befinde. Ein großer Teil des verkauften Treibstoffs werde nämlich von Leuten verbraucht, die nicht hier wohnten, sondern bloß auf der Durchfahrt seien. Eine Akzisensenkung würde deshalb nicht unbedingt jenen helfen, „die hier im Land wohnen und arbeiten“, obwohl der Staat auf „substantielle Einnahmen verzichten“ müsste. Beim augenblicklichen Zustand der Staatseinnahmen wäre eine Akzisensenkung also „nicht der richtige Weg“, meinte der Minister.

Zur Verteidigung des Tanktourismus erinnerte der Finanzminister zudem daran, dass die Regierung beim vorherigen Anstieg der Erdölpreise die Heizkostenzulage verdoppelt und in „Teuerungszulage“ umbenannt habe. Die Zulage sei auch nach der Beruhigung der Erdölpreise nicht wieder gesenkt worden, weil ein erneuter Preisanstieg befürchtet werden musste.

Frieden schlug folglich vor, lieber noch zwei bis drei Monate abzuwarten, um zu sehen, ob die Preise nicht wieder „auf ein vernünftigeres Niveau fallen“. Danach sei immer noch Zeit, um gegebenenfalls über weitere soziale Maßnahmen nachzudenken.

Die soziale Selektivität beim Ausgleich der Treibstoffverteuerung soll also, wie bei den Studienbeihilfen, nach dem Prinzip funktionieren, dass die Ausländer an den Steuerstaat zahlen und der Sozialstaat an die Einheimischen umverteilt.

Romain Hilgert
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