Die Kammer probt eine demokratische Debatte ohne politische Optionen und heißt die Beschlüsse des Euro-Rats im Voraus gut

Hätt Dir gär haut de belsche Frang erëm?

d'Lëtzebuerger Land vom 10.03.2011

Kaum war Diane Adehm am Dienstag als neue Abgeordnete vereidigt, hatte die christlich-soziale Wirtschaftsprüferin in ihrer Antrittsrede gleich erneut Grund zur Freude: Darüber, dass Luxemburgs internationale Kreditwürdigkeit „ein Triple A als Rating“ wert sei. Das traf sich gut. Denn wenig später hatte die Kammer über die geplante Wirtschaftsregierung in Europa zu reden, mit der der Euro gerettet und das nationale Sozialstaatsmodell umgebaut werden soll.

Die Aktualitätsdebatte beantragt hatte der sozialistische Fraktionssprecher Lucien Lux. Was sich eben­falls gut traf. Denn bei dem Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag 2005 hatten laut Meinungsumfragen 46,2 Prozent der LSAP-Wähler die Wahlempfehlung ihrer Partei missachtet und mit Nein gestimmt. Aufgeschreckt von dem knappen Abstimmungsergebnis, hatten auch die anderen Parteien versprochen, keine Europapolitik mehr über die Köpfe der Bürger hinweg und ohne breite demokratische Debatte zu betreiben. Dieser guter Vorsatz wurde nun akut, da die deutsche Kanzlerin, der französische Präsident, die Europäische Kommission und der Europäische Rat als Antwort auf die Schuldenkrise in der Euro-Zone eine einheitliche Haushalts- und Wirtschaftspolitik durchzusetzen versuchen, die eher das Wohlgefallen der „Märkte“ genannten Kapitalbesitzer und hierzulande einflussreichen Banken als das der Wählermasse finden soll.

Also beriet das Parlament, unterstützt vom Regierungschef und drei Tage vor dem Euro-Gipfel, im Rahmen einer Orientierungsdebatte darüber, wie es diese Widersprüche politisch unter einen Hut bekommt. Für Lu­cien Lux geht es dabei um nichts weniger als einen „Machtkampf um das herrschende Wirtschafts- und Sozial­modell“, um „(Neo-)Liberalismus versus soziale Marktwirtschaft, rheinischer versus Manchester-Kapitalismus“. Und Premier Jean-Claude Juncker warnte mit der Autorität des Euro-Gruppensprechers, dass es darauf ankomme, was „wir in den nächsten zwei bis drei Jahren, zwei bis drei Monaten oder den nächsten vier Wochen tun, um das System am Leben zu erhalten“. Dass trotzdem gerade sechs Deputierte das Thema in nicht einmal anderthalb Stunden abhandelten, zeigt, wie vertrackt das Problem ist.

Selbstverständlich führen die unterschiedlichen Interessen der Parteien zu unterschiedlichen strategischen Ansätzen. Ohne Hoffnung, demnächst in eine Regierung zu kommen, leistete sich nur die ADR eine grundlegende Ablehnung. Ihr Sprecher Fernand Kartheiser, Berufsdiplomat im einstweiligen Ruhestand, beklagte in stramm rechten Tönen die Untergrabung der nationalen Souveränität und der Budgethoheit, eher er Premier Jean-Claude Juncker vorwarf, für seine europapolitische Karriere die Landesinteressen aufs Spiel zu setzen.

In den ihm gewährten 150 Sekunden Redezeit fand André Hoffmann von déi Lénk dagegen, dass es, ähnlich wie für den sportlichen Wettbewerb, auch für den wirtschaftlichen Wettbewerb strenge Regeln geben soll. Lucien Lux und François Bausch sahen einen Wettbewerbspakt kaum anders.

Alle sich für eine nächste Regierungskoalition bewerbenden Parteien wussten, dass es in europapolitischen Fragen weder eine Opposition geben darf, noch diese angesichts des Kräfteverhältnisses im erweiterten Europa zu irgendetwas nützte. Entsprechend schwer fällt es ihnen deshalb, den Wählern die versprochene demokratische Debatte zu liefern, wenn in Wirklichkeit keine politischen Optionen verfügbar sind. Doch wenn sich Mehrheit und Opposition so gut wie einig sind, kann die euroskeptische Hälfte der Wählerschaft dies schnell als demokratische Mogel­packung empfinden.

Lucien Thiel für die CSV und Claude Meisch für die DP stellten sich in ganz ähnlichen Worten hinter die Regierungspositionen. Nur dass der DP-Präsident den Unterschied zwischen Staatsräson und Regierung suchte und Letztere aufrief, nicht in Europa bei den Strukturreformen ganz vorne zu sein und zu Hause bei ihrer Umsetzung „auf die Bremse zu treten“. Lucien Lux für die LSAP fügte sich ebenfalls in den Konsens. Obwohl die Gewerkschaften in der Ausrichtung der europäischen Wirtschaftsregierung einen Vorwand vermuten, um den traditionellen Sozial­staat auszuhebeln.

Bei dem Referendum 2005 sollen laut Umfragen 47,4 Prozent der grünen Wähler gegen die Empfehlung ihrer Partei mit Nein gestimmt haben. Die grüne Fraktion brachte deshalb einen Entschließungsantrag ein, der die von Jean-Claude Juncker so heftig beworbenen Euro-Bonds lobte, gleichzeitig aber auch eine umweltfreundlichere und sozialere Europapolitik verlangte. Die Motion gefiel dem Premier so gut, dass er seinem Parteikollegen Kammerpräsident zuvorkam, um sie vor dem parlamentarischen Fallbeil zu retten und an einen Ausschuss zu verweisen.

Zum Glück gab es den von der deutschen Kanzlerin und dem französischen Präsidenten in Umlauf gesetzten Entwurf eines Pakts für Wettbewerbsfähigkeit, der den europäischen Volkswirtschaften eine Radikalkur binnen zwölf Monaten vorschreiben wollte. Dieses Unpapier erlaubte es am Dienstag allen koalitionsfähigen Parteien auf wunderbare Weise, sich im Voraus mit den Beschlüssen des Euro-Rats am heutigen Freitag einverstanden zu erklären.

Dazu verteufelten die Redner zuerst das deutsch-französische „non-paper“ und bedienten so die 43,48 Prozent der von Europa enttäuschten Wähler, die 2005 mit Nein gestimmt hatten. Mit patriotischem Unterton befürchteten mehrere Redner, dass Europa wieder am deutschen Wesen genesen soll. Statt Harz IV für Europa, so François Bausch, sollte Deutschland lieber zu Hause einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, so Premier Jean-Claude Juncker. Gemessen am abschreckenden Beispiel aus Berlin und Paris war es dann ein Leichtes, der diplomatischer formulierten Variante Enhanced economic policy coordination in the euro area. Main features and concepts von Ratspräsident Herman Van Rompuy allerlei Vorzüge abzugewinnen und sich so ins Unausweichliche zu fügen, den erwarteten Beschluss des Euro-Gipfels als kleineres Übel.

Zudem beruhigten sich die Mehrheitssprecher, dass Luxemburg von einem Wettbewerbspakt nichts zu befürchten habe, weil der europäische Musterschüler alle darin vorgeschlagenen Reformen schon längst aus eigenem Antrieb begonnen habe. Das Neue ist nach den Belehrungen durch den Premierminister auch gar nicht so neu, vieles habe man selbst schon immer verlangt. Für jene, die es noch immer nicht kapierten, knöpfte sich Jean-Claude Juncker die ADR vor und stellte sie vor die Alternative: „Hätt Dir gär haut de belsche Frang erëm?“ – als Luxemburg ohne Mitspracherecht die belgische Währungspolitik erdulden musste, die in der Finanzkrise sang- und klanglos untergegangen wäre?

Dabei hatte Van Rompuy weitgehend die deutsch-französischen Vorschläge übernommen, nur um sie etwas versöhnlicher umzuformulieren. Was beispielsweise im deutsch-französischen Papier „Abschaffung der Lohn­indexierung“ heiß, nennt Van Rompuy „improve the indexation mechanism“. Wobei Lucien Lux die Mehrheitsredner darauf hinwiesen, dass das Luxemburger Indexsystem mit den „Warnleuchten“ im Indexgesetz und mit der im November beschlossenen Manipulation schon längst „verbessert“ sei.

Die „einheitliche Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage“ der Bundeskanzlerin übersetzte Van Rompuy wortgetreu in „a common consolidated corporate tax base“. Jean-Claude Juncker sah darin nichts Bedrohliches, sondern entlarvte den Vorschlag sogar als langjährige eigene Forderung.

Die von Berlin und Paris geforderte „Anpassung des Rentensystems an die demographische Entwicklung (z.B. Renteneintrittsalter)“ nennt Van Rompuy „aligning the retirement age with life expectancy; reducing early retirement schemes and using targeted incentives to employ older workers and promote lifelong learning“. Wie der Igel zum Hasen konnte Lucien Lux auch hier melden, dass „die Regierungskoalition gerade eine Reform zur langfristigen Absicherung unseres Rentensystems“ vorbereite.

Merkel und Sarkozys „Verankerung einer ‚Schuldenbremse’ in die Verfassung aller Mitgliedstaaten“ nennt Van Rompuy „specific national legal vehicle to be used, but should make sure that it has a sufficiently strong bending nature (e.g. constitution or framework law)“. Für den Premier war es ganz und gar ausgeschlossen, dass ein solches Defizitverbot in die Luxemburger Verfassung käme; im gleichen Atemzug kündigte er aber an, dass die deutsche „Schuldenbremse“ durch Gesetz oder Verordnung übernommen werde.

Und die „Einführung nationaler Krisenbewältigungsregime für Banken“ aus dem deutsch-französischen „non-paper“ heißt in der van-rompuyschen Übersetzung „national legislation for banking resolution, in full respect of the acquis“. Auch da kommen die Merkel, Sarkozy und Van Rompuy anscheinend zu spät. Denn ein entsprechendes Arbeitspapier der Luxemburger Zentralbank liege, so Lux, „bereits auf dem Tisch und wurde schon vom Finanz- und Haushaltsausschuss des Parlaments begutachtet“. Diesmal zum Entsetzen der Banken.

Romain Hilgert
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