Die Verdoppelung der Militärausgaben unter Blau-Rot-Grün

Solarzellen für den Herrenberg

d'Lëtzebuerger Land du 22.03.2019

„Wenn ein Grüner eine grüne Truppe übernimmt, kann das kein schlechtes Zeichen sein“, hatte Verteidigungsminister François Bausch gescherzt. In seiner ersten Ansprache vor der Truppe hatte der neue Verteidigungsminister versucht, das Eis zu brechen. Dem zum Weihnachtsfest auf dem Herrenberg versammelten Militär hatte er versichert, dass „die Übernahme der Verteidigung für mich eine ganz edle Aufgabe“ sei, und sich eingeschmeichelt, dass er den Wünschen nach neuen Anlagen und Gefährten schneller nachkommen könne als seine Vorgänger, weil er auch Infrastruktur- und Transportminister sei und gute Beziehungen zur Umweltministerin unterhalte.

Aber ganz sicher schien sich der grüne Politiker in seiner neuen Rolle noch nicht gefühlt zu haben. Denn er zählte in der Aufregung die Armee statt zu den selbstlosen Garanten von Frieden und Freiheit zu den „Repressionsorganen“ und beklagte, dass das Munitionslager Waldhof „im größten Natura-2000-Gebiet“ des Landes liege. Manche Offiziere durften ihren Ohren nicht getraut haben, als ihr neuer Minister ihnen erzählte, die neuseeländische Armee habe nicht den Russen, sondern den Klimawandel zum obersten Ennemi erklärt und der Herrenberg werde mit „seiner phantastischen Lage, seinen riesigen Gebäuden“ ganz viele Solarzellen erhalten.

Vielleicht sollen die Solarzellen auch ein Trostpflaster für die grünen Wähler und Parteigänger sein, die sich mit dem für sie „atypisch“ genannten Ressort etwas schwertun. Denn im Allgemeinen gibt es zwei Lesarten für die Geschichte der Grünen Partei. Die eine ist die vom Aufstieg vom ungestümen Bürgerschreck in kurzen Hosen zur kompetenten und verantwortlichen Regierungspartei. Das ist ihre eigene Lesart. Die andere ist die vom Abstieg idealistischer Natur- und Friedensfreunde zu einem Haufen Karrieristen in Maßanzügen. Das ist die Lesart ihrer Gegner.

Dass Luxemburg nun den ersten grünen Verteidigungsminister des Landes oder der Nato oder der Welt hat, lässt sich mit der einen oder anderen Lesart interpretieren. Auf dem Parteitag zur Ratifizierung des Koalitionsabkommens Anfang Dezember hatte Justizminister Félix Braz Kollege Verteidigungsminister als Beweis für den Mut und die Vielseitigkeit seiner Partei gefeiert: „Ich wünschte, jede Armee auf dieser Welt hätte einen grünen Minister. Aber den Fränz behalten wir lieber für uns!“

Immerhin war die grüne Partei am Nationalfeiertag 1983 von Aktivisten der Anti-Atombewegung und der Friedensbewegung auf der Grundlage von fünf Prinzipien gegründet worden, zu denen die Gewaltfreiheit gehörte. Und in ihrem Programm von 1988 hatte es geheißen: „Die militärische Aufrüstung hat in den vergangenen Jahren auch nicht vor Luxemburg haltgemacht. Unter dem Vorwand unserer Nato-Verpflichtungen und dem erpresserischen Argument der Schaffung von Arbeitsplätzen haben alle führenden Parteien und Gewerkschaften die Militarisierung Luxemburgs vorangetrieben.“ Deshalb seien die Grün-Alternativen „gegen bestehende oder geplante Militärlager, Lazarette und andere militärische Infrastrukturen“ und „für den sofortigen Austritt aus der Nato“.

Als die deutschen Bündnis 90/Die Grünen es dann 1998 in die Regierung geschafft hatten und gleich Belgrad bombardieren ließen, wollten die hiesigen Grünen den offenen Widerspruch mit der Schwester- und Mutterpartei vermeiden. Sie hatten aber auch gelernt, dass sie der Nato einen Vasalleneid abzulegen hatten, bevor sie selbst einmal an einer Regierung beteiligt würden. Also kam 2001 ein Parteitag unter dem Motto „An de Fridden investéieren“ seiner Pflicht nach und sagte einstimmig den Nato-Austritt ab, weil er „nicht ohne weiteres möglich“ sei. Damit die Wähler und Mitglieder den Meinungswandel schluckten, versprach das neue Grundsatzpapier für den Fall einer Regierungsbeteiligung, auf die Anschaffung eines Militärflugzeugs auf auf eine weitere Aufstockung der Armee zu verzichten.

Zwölf Jahre später war es dann so weit: Die Grünen zogen in die Regierung ein. Zu den wenig beachteten Leistungen der blau-rot-grünen Koalition gehörte, dass sie nicht auf die Anschaffung eines Militärflugzeugs und auf die Aufstockung der Armee verzichtete, sondern im Laufe einer einzigen Legislaturperiode die Militärausgaben verdoppelt und den Ausbau einer nationalen Rüstungsindustrie gefördert hatte.

Bei den Koalitionsverhandlungen vor einem halben Jahr, so erzählte François Busch Reporter.lu, hätten DP und LSAP den Grünen nun gesagt: „Ihr bekommt eure Wunschressorts, aber dann auch die Verteidigung und die innere Sicherheit.“ So wurde die Grüne Partei gezwungen, endgültig als DP mit Chlorophyllgeschmack zu kapitulieren.

Der Entwurf des Staatshaushalts für das laufende Jahr sieht Militärausgaben von 279,7 Millionen Euro vor. Das ist deutlich mehr als der Haushalt des Gesundheits-, des Wohnungsbau-, des Landwirtschafts- oder des Kulturministe­riums. Eine Legislaturperiode zuvor, 2013 waren es noch 145,8 Millionen Euro. Der sprunghafte Anstieg ist vor allem auf die Erhöhung der Kapitalausgaben der Direction de la défense zurückzuführen, mit denen der Fonds für militärische Ausrüstung gespeist wird. Diese Ausgaben für größere Anschaffungen wurden vergangenes Jahr von 64,2 Millionen Euro auf 123,7 Millionen Euro verdoppelt und sollen bis 2022 auf 191,1 Millionen Euro steigen. Sie stellen somit einen kaum erwähnten Beitrag zu der von Finanzminister Pierre Gramegna in seiner Haushaltsrede gefeierten weitsichtigen Investitionspolitik der Regierung dar.

Kleinere Anschaffungen wie Waffen- und Munition (0,5 Millionen Euro) und Übertragungsmaterial (0,7 Millionen Euro) werden über die Kapitalausgaben des Ministeriums, Ausgaben für die Cyber-Kriegsführung (0,3 Millionen Euro) über seine laufenden Ausgaben bezahlt. Die Investitionen zum Ausbau und zur Modernisierung der Kaserne werden vom Infrastrukturminister über den Bautenfonds bestritten.

Aus dem Militärfonds sollen dieses Jahr 12,5 Millionen Anzahlung für das glücklose, 200 Millionen Euro teure Militärflugzeug A400M gezahlt werden, 15 Millionen Euro Anzahlung für zwei Helikopter NH-90, 11,7 Millionen Euro für Übertragungskapazitäten auf dem ersten Militärsatelliten Govsat, 48,0 Millionen Euro Anzahlung für den Aufklärungssatelliten Naos, 3,8 Millionen Euro für das Programm AGS zur Steuerung von Dronen und zwei Millionen Euro Beitrag für MRTT-Tankflugzeuge. Während dieses Material in den nächsten Jahren mit ähnlichen Beträgen weiter abgezahlt wird, kommen neue Ausgaben hinzu für einen zweiten Militärsatelliten Govsat, für das PRV-Spionagesatellitensystem und weiter für gepanzerte Aufklärungsfahrzeuge.

Die nach einer Säuberung in der Armeeführung durchgesetzte und in den verteidigungspolitischen Richtlinien bis 2025 definierte Politik „consacre la continuité des missions de l’Armée, assure la participation du secteur privé, s’oriente sur les priorités des lacunes capacitaires européennes et prend en compte les capacités à double-usage civile et militaire“, heißt es im Koalitionsabkommen vom vergangenen Dezember (S. 228).

Vielleicht ist es François Bausch selbst noch nicht voll bewusst. Aber die Strategie verlangt stets den richtigen Mann zur richtigen Zeit, den geeigneten Verteidigungsminister mit den nötigen Nebenressorts. Als die Armee nicht mehr der Landesverteidigung dienen, sondern plötzlich in Asien und Afrika eingesetzt werden sollte, durfte Verteidigungs- und Entwicklungshilfeminister Charles Goerens (DP) die Armee als Heilsarmee und Kriege als humanitäre Einsätze tarnen. Als die lokale Industrie verlangte, an den steigenden Militärausgaben mitzuverdienen, war es Verteidigungs- und Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP), der große Pläne für eine nationale Rüstungsindustrie vom Diekircher Malermeister bis zu SES-Satelliten entwarf.

Wer könnte nun die Unvermeidbarkeit der in den verteidigungspolitischen Richtlinien bis 2025 vorgesehenen Aufrüstung samt Militarisierung ziviler Bereiche überzeugender erklären als ein antimilitaristischer Verteidigungsminister, wer Transport- und Tankflugzeuge, Helikopter, Satelliten, Dronen und Truppenfahrzeuge reibungsloser beschaffen als der Infrastruktur- und Transportminister? Und um nicht vom Generalstab und seinen Nato-Kollegen in Brüssel als grüner Spinner abgetan zu werden, muss er sogar jedes Mal ein Übersoll erfüllen.

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Romain Hilgert
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