Die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) sind stolz auf ihre Kultur der parteiinternen Debatten und Diskussionen, etwa dann, wenn es darum geht, den Neuanfang zu definieren, Positionen in der Haushaltspolitik zu finden oder das Spitzenpersonal in seine Schranken zu weisen. Dazu wird ein Diskurs geführt, um am Ende zu einem Ergebnis zu kommen, das möglichst viele Standpunkte berücksichtigt und die innerparteiliche Disziplin herzustellen oder abweichende Meinungen und Genossen einzunorden. Kürzer formuliert: Es wird gemosert und gestänkert.
Größter Kritikpunkt an der sozialdemokratischen Debattenkultur ist dabei, dass sie selten parteiintern bleibt. Jüngstes Beispiel ist die Russlandpolitik von Bundesaußenminister Heiko Maas. Er war mit seiner kremlkritischen Haltung vorgeprescht und hat mit markigen Sprüchen in Richtung Moskau vielen in der Partei vor den Kopf gestoßen. So warf der Außenminister Russland „Aggression“ in der Ost-
ukraine vor und „zunehmend feindseliges Verhalten“. Die Parteibasis murrte. Am Montag wurde nun eine Vorstandssitzung in der Berliner SPD-Zentrale einberufen, von dem viele Parteikenner befürchteten, dass es zu einem Tribunal werden könne oder zum für das Lavieren der Partei in wichtigen Fragen.
Nach der Vorstandssitzung beschwichtigte SPD-Parteichefin Andrea Nahles und betonte die Bedeutung der gemeinsamen Haltung gegenüber Moskau. Alle wollten einen Dialog mit Moskau, zitiert Die Welt Nahles, entscheidend aber seien Ergebnisse, nicht also ein Dialog mit dem Kreml um des Dialogs Willens. Dabei kann Maas in seiner kurzen Zeit als Außenminister bereits Erfolge vorweisen: Ihm ist es etwa gelungen, das sogenannte Normandie-Format mit Frankreich, Russland und der Ukraine wiederzubeleben und seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow von einem Treffen in dieser Runde zu überzeugen, um die Situation in der Ukraine zu deeskalieren. Darüber hinaus sprächen Berlin und Moskau in Sicherheitsfragen wieder auf Ebene der Staatssekretäre miteinander und auch der Nato-Russland-Rat soll tagen. Beim Antrittsbesuch von Maas in Moskau Mitte Mai wurde zudem eine Kooperation der Hochschulen und Wissenschaft vereinbart.
Wenn Maas in der Vorstandssitzung mit seinen Erklärungen auch Manuela Schwesig, seine größte Kritikerin im russlandpolitischen Kurs, beschwichtigten konnte, rumort es an der Basis weiterhin. Vor allem ostdeutsche Politikerinnen und Politiker sind mit dem politischen Kurs unzufrieden und forderten den Parteivorstand auf, den Außenminister enger an die Partei zu binden. Die ostdeutschen Bundesländer dringen seit Längerem auf eine Lockerungen der Sanktionen, vor allem wegen wirtschaftlicher Einbußen. Besonders hart getroffen seien die Land- und Ernährungswirtschaft, argumentiert etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken. Die Konflikte in der Ukraine löse man nicht durch „Symbolpolitik auf dem Rücken unserer Betriebe“, so Ramelow weiter. Inzwischen stellen auch mehrere EU-Mitgliedsstaaten die Sanktionen in Frage, darunter Österreich, Bulgarien, Ungarn, Italien und Griechenland. Die vor vier Jahren verhängten Embargos wurden bis zum 31. Juli 2018 verlängert. Ende Juni soll nun in Brüssel darüber beraten werden.
In Deutschland holen Genossinnen und Genossen bei ihrer Kritik am Außenminister ganz weit aus: Verrat an der Ostpolitik Brandts werfen viele Sozialdemokraten Maas vor. Sie übersehen dabei, dass die Politiker in Moskau heute, anders als diejenigen in der ehemaligen Sowjetunion, weder berechenbar noch verlässlich sind. Und auch in der eigenen Parteigeschichte müsste längst die Russland-Nostalgie und der verklärte Blick auf die eigene Ostpolitik entstaubt werden. Denn in der zweiten Phase der Ostpolitik opferte die damalige sozialdemokratische Bundesregierung unter Helmut Schmidt die Menschenrechte der Stabilität, während Gerhard Schröder alle Handlungen und Entscheidungen dem Primat der Ökonomie unterordnete. Maas beharrt darauf, dass es eine Lockerung der Embargos nur dann geben kann, wenn Moskau das Minsker Abkommen einhält – in ihm ist unter anderem ein Waffenstillstand in der Ostukraine vereinbart.
Generalsekretär Lars Klingbeil versucht, beide Positionen auf einen Nenner zu bringen. Selbstredend bekenne sich die SPD zu einer „strategischen Partnerschaft“ mit Russland. Die Beziehungen hätten historisch und aktuell eine „sehr hohe Bedeutung“, so Klingbeil in einer Pressekonferenz. Das gelte auch in schwierigen Zeiten wie jetzt, in denen das Verhältnis sehr stark „herausgefordert“ wird. Die Annexion der Krim und Russlands Rolle in Syrien seien für die SPD kritische Punkte, die auch in Zukunft angesprochen werden sollen. Gelegenheit dazu wird es im September geben, wenn Lawrow zu politischen Gesprächen nach Berlin kommt.
Bis dahin muss es der SPD gelingen, auch Gerhard Schröder einzufangen, der im angespannten Verhältnis zwischen Europa und Russland gerne von sich reden macht, vor allen Dingen dann, wenn es um die Ostsee-Pipeline „Nord Stream Zwei“ geht. Hier wittert Schröder vor allem US-amerikanischen Widerstand gegen das Projekt, was er gerne – gefragt wie ungefragt – zu Protokoll gibt. Lob bekommt der umtriebige Schröder dafür vom christdemokratischen EU-Kommissar Günther Oettinger. Schröder sei kein Geheimagent, so Oettinger. Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin hätten über viele Jahre hinweg ein Vertrauensverhältnis entwickelt: „Er kann für Deutschland und Europa auch positiv wirken.“