Horesca-Generalsekretär François Koepp war der erste, der sich öffentlich beschwerte. In der Juli-Ausgabe des Verbandsorgans der Gastronomenvereinigung schrieb er, nach der Mehrwertsteuererhöhung auf alkoholische Getränke habe die Regierung nun eine weitere Möglichkeit gefunden, „um unsere Branche zu belästigen und den Verbrauchern die Taschen zu leeren: die so genannte Zuckertaxe“. Dabei habe Finanzminister Pierre Gramegna (DP) der Horesca versprochen, nach der TVA-Erhöhung komme nichts mehr. Stattdessen sei er mit Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) übereingekommen, eine Steuer auf Limonade und Cola einzuführen. Besser gesagt, auf den Zucker, der darin steckt.
Zuckersteuern sind an sich keine neue Idee. Großbritannien führte schon 1733 Zölle auf Melasse, ein Nebenprodukt bei der Verarbeitung von Zuckerrüben und Zuckerrohr, für seine damaligen Kolonien in Nordamerika ein. Preußen schuf 1841 eine Zuckersteuer, nachdem ein Jahr zuvor der Würfelzucker erfunden worden war. Verbrauchssteuern auf Zucker kamen auch in Belgien, Frankreich und Russland auf. Die deutsche Zuckersteuer wurde erst 1993 abgeschafft, um „Marktverzerrungen“ innerhalb der EG abzubauen.
Doch um Verbrauchssteuern oder Zölle auf das süße Pulver geht es weder bei der „Zockersteier“, von der in Luxemburg die Rede ist, seit das Tageblatt vergangene Woche schrieb, die Regierung habe „konkrete Pläne“ dafür, noch in den zwölf EU-Ländern, in denen eine solche Steuer schon gilt oder ihre Einführung beschlossene Sache ist, wie in Großbritannien oder Estland. Vielmehr sollen die Steuern auf sprudelnde Softdrinks mit Zuckerzusatz zum Verzicht auf diese anhalten. Sagen jedenfalls die jeweiligen Regierungen. Sagt auch Lydia Mutsch: „Von Kindern unter elf Jahren nehmen 16 Prozent der Mädchen und 20 Prozent der Jungen täglich mindestens einen gezuckerten Softdrink zu sich. Bei den bis 15-Jährigen sind es 35 Prozent der Mädchen und 47 Prozent der Jungen.“
Bedenklich ist das nicht nur deshalb, weil in Zucker viele Kalorien stecken. Werden die nicht verbrannt, kann das dick und damit später vielleicht herzkrank machen. Sondern auch, weil, wer mehr Kalorien aus Zucker zu sich nimmt als aus anderen Quellen, sich einem erhöhten Diabetes-Risiko aussetzt. Das haben Wissenschaftler der Stanford University festgestellt, als sie den Zuckerkonsum in 175 Ländern ins Verhältnis zur Häufigkeit von Diabetes Typ-2 setzten: Zucker-Kalorien können einen bis zu elf Mal schneller zum Typ-2-Diabetiker machen als andere Kalorien. Weil laut Weltgesundheitsorganisation WHO in einer durchschnittlichen Limonaden- oder Cola-Dose 40 Gramm Zucker stecken, was rund zehn Teelöffeln Tafelzucker entspricht und dem Äquivalent von zwölf Teelöffeln Zucker nahe kommt, das die WHO als tägliches Limit für Erwachsene empfiehlt, sieht Lydia Mutsch bei den Süßgetränken „Handlungsbedarf“. Das erklärt sie dem Land wie schon vergangene Woche dem Tageblatt und am Dienstag im RTL-Fernsehen. In einem Punkt allerdings sei der Tageblatt-Artikel „ein bisschen irreführend“ gewesen: „Konkrete Pläne“ für die Steuer gebe es noch nicht. „Wir prüfen noch, was machbar ist.“
Das ist natürlich auch eine politische Frage, gerade jetzt, da die Dauerwahlkampfphase naht und die Regierungskoalition kein Interesse daran haben kann, die Wähler mit neuen Steuern zu irritieren. Schon Ende Februar kamen Lydia Mutsch und Pierre Gramegna überein, eine Zuckergetränkesteuer solle her. Aber nur „prinzipiell“, wie Lydia Mutsch jetzt betont. „Beträge können wir noch keine nennen.“ Und auf keinen Fall solle die Steuer von den Leuten als „schon wieder eine neue Steuer“ verstanden werden oder als „Einmischung“ in ihre Ernährungsgewohnheiten. Deshalb will die Gesundheitsministerin sie „einbetten“ in eine Neuauflage des Zehnjahres-Präventionsprogramms Gesond iessen, méi bewegen. Das Update will sie noch vor den Wahlen in den Regierungsrat bringen. Neben neuen Aufklärungskampagnen, Kochkursen in Schulen, Beihilfen für gesunde Kost in Schulkantinen und Maisons relais sowie noch anderem mehr wäre die Limonadensteuer „ein zusätzliches Instrument“. Eingeführt aber würde sie natürlich nicht über den Aktionsplan, sondern ein Gesetz. Durch die nächste Regierung.
Unklug ist die Verbindung von Steuer und Präventionsprogramm bestimmt nicht. Auch die WHO meint, solche „taxes can be powerful tools when associated with adequate information for consumers through nutrition labeling and responsible food marketing, and with social marketing and promotion of healthy diets and healthy lifestyles“.
Möglich ist aber auch, dass die Idee, die Zuckergetränkesteuer in das Präventionsprogramm einzubetten, neu ist. Oder dass sie Lydia Mutsch und ihren Kolleginnen und Kollegen im Kabinett auch als ein Vorwand dient, um das Projekt der nächsten Regierung zu vermachen. Was Lydia Mutsch nicht sagt, ist, dass am 8. März eine E-Mail ihrer Ersten Regierungsrätin Anne Calteux die Handelskonföderation CLC und den Getränkeherstellerverband Ficeb, die Fédération de l’industrie et du commerce des eaux et des boissons non-alcoolisées, erreichte. Die Mail informierte nicht nur über die Abmachung Lydia Mutschs mit Pierre Gramegna. Sie teilte auch mit, die neue Steuer „dürfte ab 1. Januar 2018 anwendbar sein“.
„Das hat uns nicht nur überrascht, wir fühlten uns ein bisschen hintergangen“, sagt Ficeb-Präsident Max Weber. Er verfolgt aufmerksam jede politische Äußerung rund um den „Gesundheitsfonds“. Einen solchen Fonds durch Sondersteuern auf gesundheitsschädliche Produkte zu speisen, ist eine Idee der LSAP seit ihrem Wahlprogramm 2009. 2013 gelangte sie in den Koalitionsvertrag mit DP und Grünen, und Lydia Mutsch erklärte dem Land schon kurz nach dem Regierungswechsel, „es geht dabei nicht nur um Tabak, auch um Limonade oder Süßigkeiten“. Und dass es darüber „sicher spannende Debatten geben“ werde (d’Land, 14.01.2014).
Anfang 2015 schrieb die Ministerin auf eine parlamentarische Anfrage hin, eine wissenschaftliche Studie sei in Vorbereitung, „qui aura comme objectif d’étudier en détail les avantages voire les inconvénients d’une taxe destinée à alimenter ce fonds“. Seitdem, so Max Weber, habe die Ficeb „bis Anfang 2017 fünf Mal“ um Unterredungen mit dem Gesundheitsministerium gebeten. „Stets wurde uns gesagt, wir rufen euch, sobald wir wissen, was wir wollen.“ Offenbar aber sei es „nicht erwünscht gewesen“, die „Studien, Verbesserungsvorschläge und Risikobewertungen“ der Getränkeherstellerlobby zur Kenntnis zu nehmen, ehe der Beschluss fiel, die Steuer komme schon zum Neujahrstag 2018. Erst am 11. April fand ein Treffen statt. Dort habe die Ficeb erklärt, durch welche Maßnahmen sich der „sugar intake“ auch ohne Steuer senken lasse. Die Beamten des Ministeriums dagegen sagten nichts zu womöglich geplanten Zuckersteuersätzen.
Letzten Endes steht die gesamte Regierungskoalition vor einem Zielkonflikt: Will sie vor allem einen Gesundheitsfonds speisen, oder will sie das Softdrink-Konsumverhalten der Leute ändern, und das obendrein schnell? Im ersten Fall würde wahrscheinlich eine Zusatzsteuer von ein paar Cent reichen, die kaum weh täte und damit eine stabile Einnahmequelle wäre. Eine verhaltensändernde Steuer dagegen brächte zwangsläufig immer weniger Einnahmen. Letzteres stellt sich die WHO vor, wenn sie empfiehlt, der Steuersatz auf Süßgetränke sollte mindestens bei 20 Prozent liegen und wieso nicht bei 50 Prozent. Im Gegenzug sollten aus den Einnahmen die Obst- und Gemüsepreise zu zehn bis 30 Prozent bezuschusst werden. Der Ansatz bringe der öffentlichen Gesundheit am meisten.
Bezeichnenderweise aber wendet kaum ein Land, das Süßgetränkesteuern eingeführt hat, so hohe Steuersätze an. Frankreich und Belgien zum Beispiel zählen zu den zwölf Limonaden-Steuerländern der EU. In Frankreich werden 7,5 Cent pro Liter erhoben, in Belgien 6,8 Cent – das macht kaum mehr als zwei Cent auf 33 Zentiliter. Nicht ohne Grund: Die Taxe soll vor allem Einnahmen generieren. Wenngleich die dazu dienen sollen, Maßnahmen zum Wohle der öffentlichen Gesundheit zu finanzieren. Der Limonaden-Konsum aber sinkt dadurch nicht. In Belgien sei stattdessen seit Einführung der Taxe Anfang 2016 der Limonaden-Einkauf im Ausland um zwölf Prozent gestiegen, meldete La Libre Belgique am 27. Juli, die Fédération belge des producteurs d’eaux et des boissons rafraîchissantes zitierend. Wie das aus lediglich zwei Cent mehr pro Limonade zu erklären sein soll, erläuterten jedoch weder der Verband noch die Zeitung.
Auch für Luxemburg warnt der Ficeb-Präsident vor Verlusten für die Branche ans nahe Ausland. Max Weber nennt das Beispiel Deutschland, wo es noch keine Zuckergetränkesteuer gibt. Er hat beobachtet, wie „eine deutsche Qualitäts-Supermarktkette mit 14 Verkaufsstellen hinter der Grenze“ in der Woche vor dem Nationalfeiertag „eine Cola einer großen Marke“ für 67 Cent pro Liter anbot. Eine Luxemburger Supermarktkette habe ihrerseits den Preis für dieselbe Cola-Sorte in einem landesweiten Sonderangebot um 30 Prozent gesenkt – auf 1,61 Euro. „Und jetzt stellen Sie sich vor, wir würden eine Taxe einführen wie Estland: bis zu 30 Cent pro Liter. Da würde diese Cola 1,91 Euro kosten. Wie soll ein Luxemburger Händler da noch mit der Konkurrenz mithalten?“
Estland spielt in der Tat eine Art Sonderrolle innerhalb der EU: Das Parlament in Tallinn verabschiedete im Juni eine Softdrink-Steuer, die nach dem Zuckergehalt gestaffelt ist und bis zu 30 Cent pro Liter erreichen kann, das Fünfzehnfache der Taxe in Belgien. Aber die Auswirkungen auf den Getränkemarkt sind anscheinend komplexer, als sich aus der Weitergabe von Steuern an die Käufer erklären ließe: Wo eine solche Taxe eingeführt werden sollte, gab es verständlicherweise immer Konflikte mit Getränkeindustrie und -handel. Aber in Frankreich zum Beispiel stellten, kurz bevor die Steuer zum 1. Januar 2012 in Kraft trat, die Limonadenhersteller Preiserhöhungen in Aussicht, die deutlich über die Weitergabe der Taxe an die Käufer hinausreichen sollten. Le Monde meldete am 29. Dezember 2011, große Marken wie Coca Cola oder Orangina-Schweppes planten Preiserhöhungen um zehn bis 40 Prozent. Allenfalls zehn Prozent seien durch die Taxe zu begründen, der Rest sei eine „revalorisation du prix de leurs produits en rayon, en intégrant l’augmentation du coût des matières premières“. In anderen Worten: Den Herstellern kam die Taxe womöglich gar nicht so ungelegen, um ihre Margen aufzubessern.
Ob das in Luxemburg ähnlich verlaufen könnte, „kann ich nicht kommentieren, wir kennen ja die Höhe der Steuer nicht“, sagt der Ficeb-Präsident. Horesca-Generalsekretär François Koepp traut dem Frieden nicht und kann sich gut vorstellen, am Ende würden mehr als „ein, zwei Cent pro Getränk“ genommen. „Andernfalls könnte der Verwaltungsaufwand für die Taxe zu hoch sein.“ Die Gesundheitsministerin erklärt dem Land, die estnische Taxe finde sie gut: „Die Esten machen überhaupt viele innovative Sachen.“ Den Zielkonflikt zwischen „Einnahmen sichern“ zum einen und „Verhaltensänderung bewirken“ zum anderen kann Lydia Mutsch sich vorstellen zu lösen, indem „zunächst eine Steuer eingeführt wird, die den Gesundheitsfonds speist, wohlgemerkt eingebettet in die neue Präventionsstrategie“. In einer „zweiten Phase“ könne eine Verhaltensänderung bezweckt werden. „In dieser Reihenfolge.“
Doch darüber wird die aktuelle Koalition nicht mehr endgültig entscheiden. Dass es entweder noch kein ausgegorenes Konzept dafür gibt, oder man kurz vor den Landeswahlen den Konflikt darüber vermeiden will und der Koalition dieses Thema eher lästig ist, darauf deutet auch hin, dass die Information, die Steuer sei „verschoben“, am 25. Juli nur auf Nachfrage erteilt wurde: Bei einem Treffen mit Patronatsvertretern und Beamten von Gesundheits- und Sozialministerium zum Thema Zahnmedizin hatte CLC-Direktor Nicolas Henckes wissen wollen, wie das mit der Zuckersteuer denn sei. „Wir sind“, sagt Henckes zum Land, „natürlich sehr zufrieden, dass sie nicht schon am 1. Januar kommt. Aber dass ich das ohne Nachfragen wohl nicht erfahren hätte, ist erstaunlich.“
Eine sicherlich nicht unwichtige Stimme zum Thema dürfte die der Gewerkschaften sein. Noch wurden sie nicht konsultiert, genauso wenig wie etwa der Diabetikerverband, der Ärzteverband AMMD oder die Fachgesellschaft der Kinderärzte. Laut Gesundheitsministerin kommt die Konsultation ja erst noch. Carlos Pereira, Exekutivmitglied des OGBL, aber gibt schon mal eine Warnung aus: „Wir werden einer solchen Steuer nicht zustimmen, wenn sie beim Käufer ankommt. Wenn man sie einführt, dürfte sie nur die Produzenten belasten.“ Wie man dafür sorgen wollte, ist natürlich die Frage. Aber dass neben Auseinandersetzungen mit den Branchenlobbyisten auch noch eine mit der größten Gewerkschaft drohen könnte, und das zu Wahlkampfzeiten, dürfte der Regierung und der LSAP-Gesundheitsministerin auch ohne Konsultationsphase vermittelt worden sein. Zumal, wenn ausgerechnet Krach drohen könnte um das „Gesundheitsziel“ der Steuer.