An einem Mittwoch im Juli 2017 hat die Universität Luxemburg in der Überschrift einer Pressemitteilung verkündet, sie habe eine Partnerschaft „mit Ferrero“ abgeschlossen. Ferrero? Ist das ein Forschungsverbund, eine Stiftung oder eine gemeinnützige Organisation? Nein, mit Ferrero ist tatsächlich der italienische Süßwarenhersteller gemeint, in dessen „Kinder Riegel“ die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch im vergangenen Jahr die höchste Zahl gesundheitsgefährdender Mineralöle aller getesteten Schokoladen fand. In den Neunzigerjahren verwendete Ferrero für seine Produkte Milchschnitte, Kinder Pingui, Kinder Bueno und Kinder Maxi King sogar Alkohol als Zusatzstoff. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Derweil kam Ferrero schon 1973 nach Luxemburg, 1998 wurde die hiesige Präsenz verstärkt. Man schätzt das multikulturelle Umfeld, nahe an den für das Unternehmen wichtigen Absatzmärkten Frankreich, Deutschland und Belgien, hieß es. Im Jahr 2013 sprach das Unternehmen von 500 Mitarbeitern im Großherzogtum. Da wird guter Nachwuchs immer gesucht, und insofern vermag die Universität ein sinnvoller Rekrutierungsmarkt für die Nutella-Hersteller zu sein. Für Ferrero macht eine solche Partnerschaft also Sinn – ist jedenfalls zu vermuten, denn in die abgeschlossene Vereinbarung selbst kann man nicht schauen, die ist geheim.
Bedeutend scheint die Vereinbarung aber auch für die Universität zu sein, da sie von ihr wahlweise als „Abkommen“, „Vereinbarung“ und „Grundsatzvereinbarung“ bezeichnet wird, dahinter, in Klammern, der englische Fachbegriff „Memorandum of Understanding“. Das Abkommen sei „ein echter Mehrwert“ und der Partner „wichtig“, denn „Ferrero gehört zu den Marktführern des Süßwarensektors und ist der drittgrößte Konzern weltweit auf dem Markt der Schokoladenerzeugnisse“, sagt – nein, nicht das Unternehmen selbst, sondern Eric Tschirhart, der es wissen muss, denn er forscht als Professor in Belval über Pharmakologie und Toxikologie, aber vermutlich nicht über Mineralöle in Kinderriegeln. Nebenbei leitet er das „Technology Transfer and Fundraising“-Büro, das, wie die Universität in ihrer Mitteilung unbedingt erwähnenswert findet, „im Rektorat angesiedelt ist“, also dort, wo vor kurzem Rainer Klump gescheitert ist. Ob sein Nachfolger wird präzisieren können, welchen Technologietransfer sich die Universität vom Ferrero-Küsschen-Hersteller erhofft?
Denn zum Thema Fundraising erklärt die Hochschule auf Anfrage: Geld fließe keines, jedenfalls nicht an die Universität, lediglich an bis zu fünf Studierende, die als Stipendiaten ausgewählt würden und bei denen der Finanzzuschuss die Wohnkosten decken solle. Unter der großzügigen Annahme, dass ein Studentenzimmer 1 000 Euro Miete im Monat kostet, wird das Unternehmen also maximal 60 000 Euro jährlich in das „Ferrero Fellowship Programme“ investieren. Viel billiger ist recruitment heutzutage wirklich nicht zu haben. Die profitierenden Nachwuchskräfte müssen allerdings aus den Fachbereichen Recht, Wirtschaft und Finanzwissenschaften stammen oder den „Master in Entrepreneurship and Innovation“ absolvieren; alle anderen sind ausgeschlossen, darunter Historiker, Geografen oder auch die Studierenden unseres Pharmakologen Eric Tschirhart. Wenn die Universität also schreibt, es sei „ein echter Mehrwert für Studenten“, gilt das nur für eine Minderheit derselben, aber, trotz der Wortwahl, vermutlich auch für Studentinnen.
Wohl um deutlich zu machen, für wie fundamental die Universität ihre Zusammenarbeit mit dem Süßwarenhersteller vom Findel Business Center erachtet, findet sich in der Pressemitteilung auch ein Satz, der jeden Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin erschrecken lassen müsste: „Die Vereinbarung bildet den Rahmen für die Zusammenarbeit bei Stipendien, Praktika, PhD-Forschung und Lehre.“ Also eine Zusammenarbeit bei fast allem, was eine Universität macht und was sie einzigartig macht – und das, wie es bei einer Partnerschaft üblich ist, wohl auf Augenhöhe: „Multilingual. Personalised. Connected“ neben „Hanuta. Duplo. Tic Tac“. Es wirkt trumpesk, soll aber von der „Mission“ der Universität abgedeckt sein, auf die auf Anfrage verwiesen wird: „Die Universität entwickelt Tätigkeitsfelder in Bereichen weiter, die für die nationale gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung von vorrangiger Bedeutung sind.“
In der Tat kann die vorrangige Bedeutung von Schokolade für die nationale gesellschaftliche Entwicklung vom Autor dieser Zeilen, Vater eines Achtjährigen, nur bestätigt werden. Wenn der Sohn Schokolade genießt, kann gearbeitet werden, was (vielleicht) die „Wettbewerbsfähigkeit des Landes stärkt“, einem weiterem Ziel in der „Mission“ der Universität. Einer Universität, die schon im zweiten Satz ihrer offiziellen Selbstdarstellung die Bedeutung verschiedener Gruppen durch Erst- und Zweitnennung richtig einzuordnen vermag: „860 Finanzexperten, Juristen, Unternehmer und andere Praktiker unterstützen die etwa 241 Professoren, Assistenzprofessoren und Dozenten.“ In diesem Satz ist es ein weiter Weg vom Finanzexperten zum Dozenten, und zwar von ganz vorne nach ganz hinten, und in der Quantität von oben (exakt 860 Experten) nach unten („etwa“ 241 eigenen Leuten, so genau scheint man es nicht zu wissen). Vielleicht wegen hier angedeuteten Bedeutung von Finanzexperten vergaß die Universität in ihrer Mitteilung nicht zu erwähnen, dass die Partnerschaft ebenfalls vom „Ferrero Chief Financial Officer“ unterschrieben wurde, wohl der angemessene Gegenpart zu einem Professor, der ein Fundraising-Büro leitet. Einen Doktortitel hat selbstredend keiner der anwesenden Ferrero-Manager.
Trotzdem ist in der Vereinbarung auch ein PhD-Partnerschaftsprogramm vorgesehen. Es soll Doktoranden industrienahe Forschung ermöglichen, heißt es in der Mitteilung, und: „Durch das Programm wird es geeigneten Kandidaten von Ferrero ebenfalls ermöglicht, an der Universität Luxemburg zu promovieren“. Sind damit – und in der betroffenen Fakultät zum ersten Mal – Tür und Tor geöffnet für Industriepromotionen? Das sind Promotionen, die in einem Unternehmen statt an einem Lehrstuhl gefertigt werden. Luxemburg hat das nicht erfunden, sondern springt nur auf einen Zug auf, der sich etwa in Deutschland gerade zum Fundamentalproblem für die Wissenschaft entwickelt. So umwirbt ein bayerischer Automobilhersteller auf seiner Webseite mögliche Nachwuchskräfte mit folgenden Worten: „Unser Doktorandenprogramm bietet Ihnen die Möglichkeit, Ihre Leidenschaft und Ihre wissenschaftliche Kompetenz auf ganz reale Herausforderungen anzuwenden und die Zukunft der Mobilität mitzugestalten. Als Doktorand haben Sie die Chance, sich mit Ihrer praxisbezogenen Dissertation für eine Laufbahn in unserem Unternehmen zu empfehlen, Ihr gewähltes Fachgebiet im Unternehmen zu fördern – und sich für Ihre angestrebte Karriere zu positionieren.“ Das Unternehmen fasst sein eigenes Programm in 15 Bausteinen zusammen, von denen sich nur ein einziger auf die Hochschule und den betreuenden Professor bezieht. Die Hochschulen aber wollen, so verkündet ihr Interessenverband in Deutschland, als allein verantwortlicher Träger des Promotionsverfahrens wahrgenommen und gewürdigt werden. So weit sind wir schon, dass man sich zu dieser Klarstellung veranlasst sah. Man muss es jungen Menschen einfach mal erklären: Nicht Unternehmen vergeben akademische Titel, sondern Universitäten, und diese nicht in Partnerschaften mit Unternehmen, sondern in eigener und alleiniger Verantwortung.
„Unser Eindruck ist, dass sich die Grenzen verschoben haben“, sagte jüngst der Präsident der TU Darmstadt, Hans Jürgen Prömel. Zunehmend komme es vor, dass die Industrie selbst Promotionsstellen „ausschreibe“ und so versuche, die Ausrichtung wichtiger Projekte direkt zu beeinflussen. Dies nennt der Verband „Kuckucksei-Promotionen“. Auf Anfrage bezeichnet die Universität Luxemburg den Vergleich mit den Technischen Universitäten in Deutschland als gefährlich, ganz einfach deshalb, weil man keine technische Universität sei. Zugleich stellt sie klar, dass Ferrero „der Universität keine Forschungsthemen, Datensätze oder Studierende zuweisen kann“. Wenn es einen Forschungsbereich gebe, der für einen Ferrero-Mitarbeiter und einen Professor von gegenseitigem Interesse sei, könnten sie diese Forschung gemeinsam durchführen, heißt es aus Belval. Ferrero dürfe aber über seine internen und externen Kommunikationskanäle kommunizieren, wenn PhD-Positionen an der Universität offen sind, die für Mitarbeiter relevant sein können.
Für Ferrero-Mitarbeiter, ihre Lebensläufe und LinkedIn-Profile ist aber noch etwas Anderes interessant: Am Ende der universitären Mitteilung heißt es, dass Ferrero-Mitarbeiter in Zukunft als Lehrbeauftragte einzelne Kurse unterrichten dürften. Auch dieser Punkt lässt staunen. Denn entweder sind externe Kräfte aufgrund ihrer besonderen Befähigung oder Erfahrung geeignet, Kurse zu unterrichten, oder sie sind es nicht. Ob jemand Mitarbeiter von Ferrero ist, sollte bei der Rekrutierung von Lehrbeauftragten keine Rolle spielen, und Ferrero-Mitarbeiter sollten deshalb auch nicht bevorzugt ausgewählt werden. Schon bisher hätten Manager des Unternehmens als Lehrbeauftragte wirken können, wenn sie dafür ausgewählt worden wären. Auf Anfrage präzisiert die Universität, dass auch in Zukunft jeder Ferrero-Mitarbeiter, der Dozent werden wolle, das bewährte Auswahlverfahren durchlaufen müsse. Wozu dient dann aber die neue Vereinbarung, wenn sie keine juristischen oder technischen Veränderungen bewirkt, weder im Vergleich zu früher, noch im Vergleich zu anderen Unternehmen?
Bei all dem fallen die Rechtschreibfehler in der jubelnden Mitteilung der Universität kaum auf: Dass sich beim Wort „Auswahlkomitee“ ein „m“ und ein „t“ zu viel eingeschlichen hat (Original: „Auswahlkommittee“), ist bei einer Partnerschaft dieser Bedeutung wohl ebenso zu vernachlässigen wie die Schreibweise des Wortes „Doktorand“, das man in Belval mal richtigerweise mit einem „d“ enden lässt, mal aber auch mit einem „t“ – innerhalb des gleichen Absatzes der Erklärung. Dass das Abkommen „ebenfalls von Herr Jorge de Moragas unterschrieben wurde“, wird bei ebendiesem wohl kaum Trauer über das verlorengegangene „n“ bei der Umwandlung des Substantivs „Herr“ in ein Anredepronomen auslösen. Denn auch bei Ferrero ist man erfahren im Erfinden neuer Wortschöpfungen, etwa bei „Piemont-Kirsche“, die in „Mon Chéri“ enthalten sein soll. Eine Kirschsorte dieses Namens existiert nicht: „Piemont“ ist angelehnt an die Herkunftsregion der Familie Ferrero. Mit der neuen Partnerschaft hätte man einen „Belval-Apfel“ in Ferrero-Produkten etablieren können, statt mit Mineralölzusatz mit einer Note Stahlgeschmack. Dieser Apfel hätte uns an eine Universität erinnert, die an einem Mittwoch im Juli 2017 erkannte, dass es köstlich ist, von einem süßen Baum zu essen. Die Universität nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihren Studierenden davon, und auch sie aßen. Erst viel später wurden ihnen die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren.