Wird sein 100-jähriges Jubiläum im Jahr 2027 das Ende für den britischen Sender BBC bedeuten? Laut den Ankündigungen der britischen Medienministerin Nadine Dorries könnte nach Dezember 2027 die Rundfunkgebühr abgeschafft werden. Dorries präzisierte aber, darüber werde noch verhandelt. Derzeit wird der Sender mit Einnahmen in Höhe von umgerechnet 4,5 Milliarden Euro pro Jahr aus der Fernsehsteuer (TV-License Fee) – pro Haushalt liegt sie derzeit bei umgerechnet 190 Euro pro Jahr – finanziert. Diese Summe deckt Dreiviertel der derzeitigen Kosten der BBC.
Die Ankündigung, die Rundfunkgebühr bei einer Inflationsrate von derzeit 5,4 Prozent für zwei Jahre einzufrieren und die staatliche Unterstützung nach 2027 zu beenden, fielen jedoch genau in jene Zeit, in der alle Welt über die Partys in 10 Downing Street sprach. Somit waren die Ankündigungen mit Sicherheit ein taktisches Ablenkungsmanöver der Johnson-Regierung. Die Berichterstattung der BBC über Partygate wurde von einigen konservativen Beobachter:innen wie dem Unterhausabgeordneten Andrew Bridgens – er ist einer von denen, die öffentlich Johnsons Rücktritt forderten – als unausgewogen und gegen die Tories gerichtet bezeichnet.
Doch der Vorwurf, die BBC sei nicht unparteiisch, besteht schon seit längerem. Er kam zuletzt im Dezember, als Muriel Gray, eine ehemalige Moderatorin einer Musikshow der 1980er Jahre, dem BBC-Vorstand in Schottland beigetreten war. Sie hatte über sich selbst einmal gesagt, dass sie nie konservativ gewählt habe. Auf Twitter hatte sie mehrmals die Politik Johnsons kritisiert. Dass die BBC während der Brexit- und der Corbyn-Jahre als für zu rechts orientiert gehalten wurde, und die Ernennung von Intendant Tim Davie 2020 als konservativer Coup beanstandet wurde, scheinen viele bereits vergessen zu haben. Davie versprach sogar am Anfang seiner Amtszeit, dass die Unparteilichkeit der BBC sein Hauptanliegen sei, was damals eher als Botschaft an das linke politische Spektrum gedacht war.
Doch hinter Dorries Maßnahmen steckt mehr, als politische Taktik. Die Rundfunkgebühr – im Vereinigten Königreich muss nur fürs Fernsehen gezahlt werden – ist strafrechtlich geschützt. Unter den im Jahr 2017 wegen einer nicht bezahlten Rundfunkgebühr verurteilten Personen waren 74 Prozent Frauen. Insgesamt gehen ein Drittel aller strafrechtlichen Verurteilungen wegen nicht-gezahlter Rundfunkgebühren auf Frauen zurück. Auch Renter:innen werden dadurch oft kriminalisiert, ein Punkt den Dorries direkt ansprach.
Des Weiteren stellen sich Fragen dazu, was die BBC mit den öffentlichen Geldern finanziert, denn es sind nicht nur fesselnde Radio- und Fernsehprogramme. Nach viel Lärm um zu hohe Löhne in den letzten Jahren wurde beispielsweise das Gehalt der Radiomoderatorin Zoe Balls um 27 Prozent gesenkt; nun verdient sie jährlich „nur noch“ umgerechnet 1,17 Millionen Euro. Der ehemalige Fußballstar Gary Lineker erhält für seine Moderation inzwischen umgerechnet 1,62 Millionen Euro, 478.000 Euro weniger als zuvor. Ob der beliebte Ex-Fußballer als Stimme gegen die Maßnahmen Dorries auf viel Sympathie stoßen wird? Obendrauf gibt es anhaltende Diskussionen zu diskriminierenden Unterschieden in den Löhnen nach Geschlechtern.
Dorries prangert zudem mangelnde soziale und kulturelle Vielfalt bei der BBC an. Ihrer Meinung nach rekrutiert der Sender nicht genügend Mitarbeiter aus der britischen Arbeiterklasse und Menschen mit regionalen Dialekten. Änderungen in diesem Bereich versteht sie als Teil des Wiederaufbauprogramms der Johnson-Regierung für den verarmten Norden Englands. Bei der BBC haben fünfmal so viele Menschen eine private Erziehung genossen als im nationalen Durchschnitt, der bei sieben Prozent liegt. Dorries selbst ist laut eigenen Aussagen auf den härtesten Straßen Liverpools aufgewachsen, worüber sie übrigens in ihrem Roman Four Streets berichtet hat. Auf der anderen Seite wurde die BBC 2020 im Ranking der Unternehmen mit den besten Aufstiegschancen von der Social Mobility Foundation auf Platz 21 gewählt und fungiert seit vier Jahren als einziges britisches Medienunternehmen in diesem Ranking.
Dorries sprach zudem den generellen Abwanderungstrend in Richtung Abonnentendienste wie Netflix und Amazon-Prime an und so wurde die BBC vor dem Hintergrund der hohen Inflation, dem Anstieg der Energiepreise und zusätzlichen Steuern für das Gesundheits- und Sozialhilfesystem ein leichtes Opfer.
Die Nicht-Erhöhung der Rundfunkgebühr könnte vorerst nicht nur das Ende verschiedener Programme bedeuten, sondern auch dazu führen, dass bis zu 3 000 der insgesamt 22 000 Arbeitsstellen bei der BBC abgebaut werden. Labours Schattenministerin für Medien, Lucy Powell, bezeichnete die Ankündigungen als Attacke auf die BBC, weil der Johnson-Regierung deren Journalismus nicht gefalle. Philippa Childs, Gewerkschaftsführerin der Mediengewerkschaft Bectu, bezeichnete die Schritte als kulturellen Vandalismus.