Seit fast drei Jahrzehnten gibt es im Süden des Landes ein Cheerleading-Team. Die jungen Frauen machen sich dafür stark, als eigenständiger Hochleistungssport wahrgenommen zu werden

„One, three, five, seven!“

d'Lëtzebuerger Land vom 10.10.2025

Um die Sweet Devils zu finden, muss man erst den riesigen Anbau der Sporthalle Henri Schmitz in Esch-Lallingen durchqueren, an trainierenden Volleyballspieler/innen entlang, deren Ball hinter den Glasfenstern stumm auf und ab hopst. Vor einer Tür sitzen zwei Dutzend junge Frauen, die meisten in schwarzen oder grauen Sportanzügen und unterhalten sich, schauen auf ihr Handy. Dann geht die Tür zur Turnhalle auf, Kinder strömen heraus, die jungen Frauen hinein. Sie kommen aus unterschiedlichen Ecken des Landes und der Großregion, manche fahren mehr als eine Stunde mit dem Auto zum zweistündigen Cheerleading-Training, das zwei Mal die Woche stattfindet.

Chrissi Welter steht bereits auf der Matte: 30 Jahre alt, mit langem blondem Haar, das über ihren blauen Trainingsanzug fällt. Die Trainerin ist seit zwölf Jahren Cheerleaderin. Wie etwa die Hälfte der anderen kommt sie aus dem Turnen, war mehrere Jahre Teil der Nationalmannschaft. Dann ging sie zum Film-, Theater und Fernsehstudium nach Wales und England, hörte jedoch mit dem Cheerleaden nie auf. Vergangenes Jahr pendelte sie jedes Wochenende nach Köln, um dort zu mit einer Mannschaft zu trainieren, im Jahr davor jede Woche nach Paris. Hauptberuflich spricht sie Werbungen für IP ein.

„Get on the mat, we’re going to start!“, ruft sie. Englisch ist hier Umgangssprache, weil einige kein Deutsch oder Französisch verstehen. Schnell wird klar, dass hier nicht lange rumgequatscht, sondern ernsthaft trainiert wird. Das Training dürfen die Cheerleaderinnen pro Jahr nur fünf Mal verpassen. „Als Trainerin muss ich wissen, wann sie einfach keine Lust haben und wann sie tatsächlich Schmerzen haben.“ Oft seien Blockaden jedoch Kopfsache. Die Frauen setzen sich in einen Kreis und dehnen ihre Beine, dann ihre Arme, wärmen sich langsam auf. Sie sind derzeit auf Level drei – das Maximum im Cheerleading ist Level sieben.

Die Sweet Devils sind Teil des Escher Turnvereins Espérance. Drei Altersgruppen trainieren dort, die Minis ab sieben Jahren, die Junior ab zwölf, und ab 17 Jahren zwei Erwachsenengruppen – in einer gibt es zwei Jungs. Weitere Teams haben sich in den Turnvereinen von Beles und Differdingen gebildet. „Die meisten denken, wir seien Pom-Pom Girls“, sagt Chrissi Welter. In Wirklichkeit treten die jungen Frauen selten für andere Sportarten oder Events auf. „Das tun wir, um die Teilnahme an Meisterschaften zu finanzieren.“ In der Vergangenheit unterstützten sie die Sportler/innen etwa beim Walfer Vollekslaf, beim Beach Open und beim Postlaf. Zu diesen Veranstaltungen kommen die Pom-Poms zum Einsatz, sonst kaum.

Cheerleading hat sich gleichsam zum Hochleistungssport entwickelt, den man als Mischform des Turnens, des Tanzes und der Akrobatik verstehen kann. Während des Höhepunkts des Trainings, als meterhoch durch die Luft gewirbelt wird, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, wie intensiv und fordernd diese Sportart ist. Dieser Umstand ist der Öffentlichkeit, vor allem in Luxemburg, noch relativ unbekannt. Das Anfeuern von anderen nahm seinen Anfang im frühen
20. Jahrhundert in Amerika. Die „yell captains“ waren damals ausschließlich Männer. Tatsächlich waren drei US-amerikanische Präsidenten – Dwight D. Eisenhower, Franklin Roosevelt und Ronald Reagan – in ihrer College-Zeit Cheerleader. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis sich Frauen den Vereinen anschlossen. Irgendwann waren es fast nur noch Frauen. Nach Europa schwappte das Cheerleading in den 80er- und 90er-Jahren. Heute ist es ein anerkannter olympischer Sport, doch bei den Olympischen Spielen wurde bisher noch nicht „gecheert“.

In Luxemburg fragte man sich in den 90er-Jahren, was Kunstturnerinnen nach einer erfolgreichen Karriere mit 16 oder 17 Jahren machen könnten. Als etwa Juliette Caputo-Johanns mit dem Kunstturnen aufhörte, fühlte sie sich ein wenig verloren, erzählt sie im Gespräch mit dem Land. Daraus entstand der Wunsch, neue Perspektiven für die jungen Frauen zu eröffnen. Es fiel ihr Cheerleading ein. Gemeinsam mit Tessy Alesch bauten sie um die Jahrtausendwende ein erstes Team in Esch/Alzette auf. Nach der Gründung war der erste Auftritt eine Show in der Pause eines Basketballspiels. „Danach wuchsen wir immer weiter.“ Und es war harte Arbeit. Zu Beginn dauerte es ein Jahr, bis sie eine richtige Pyramide zustande brachten.

Seit 2013 fahren die Sweet Devils auf internationale Wettbewerbe, die sie durch Sponsoring und Auftritte finanzieren. Vergangenen April ging es auf den „Summit“, die Weltmeisterschaft ihrer Disziplin, in Orlando, Florida. Sie wurden prompt Vize-Weltmeisterinnen in der Kategorie IASF Open Level 4, hinter Kanada, und setzten sich gegen Berlin, Norwegen und Salzgitter durch. Die Sweet Devils nahmen stolz Fotos am Strand Orlandos auf, posierten unter Palmen. Ein Traum ging für sie in Erfüllung. Anastasia, eine der Cheerleaderinnen, nennt die Erfahrung „unbeschreiblich“. Sie ist 20 und seit elf Jahren dabei. Juliette Caputo-Johanns ist „mega houfreg“ auf das gesamte Team, betont sie mehrmals.

Wie keine andere Figur verkörpert die Cheerleaderin das amerikanische Ideal der hübschen jungen Frau, mit der man zur Prom gehen will. Das sexy, aber auch brave Mädchen – personifiziert durch Menschen wie Britney Spears. (Madonna, Jennifer Lawrence und Megan Fox waren übrigens auch Cheerleaderinnen.) Dieses Klischee bringt allerlei Probleme mit sich, wie die Dokumentationen Dallas Cowboys Cheerleaders und Cheer die letzten Jahre zeigten. Zum einen der hohe Schönheitsdruck, zum anderen der Hungerlohn. Manche finden das Anfeuern-Cheerleading aus der Zeit gefallen: 2019 verkündete der Geschäftsführer von Alba Berlin, einem Basketballverein: „Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr in unsere Zeit passt.“ Es gab Kritik, auch von Cheerleaderinnen. Immerhin entschied hier einmal wieder ein Mann, was Frauen zu tun haben. In den USA wird zwischen dem Sideline-Cheerleading, dem Anfeuern, und dem All Star Cheerleading, wie es die Sweet Devils hauptsächlich trainieren, unterschieden.

Auf der Matte in Esch/Alzette bewegen sich unterschiedliche Körper, dünnere genauso wie rundere. Gibt es bei den Sweet Devils ein gesundes Körpergefühl? „Wir achten sehr darauf. Bodyshaming geht gar nicht“, sagt Chrissi Welter. Auf Kommentare, ein Flyer sei zu schwer, laute die Antwort: Du musst mehr Kraft aufbauen. Es sei bei solch intensivem Training sehr wichtig, gesund und genug zu essen und ausreichend zu schlafen.

Rund die Hälfte der Frauen auf der Matte hat vorher geturnt. Die Dienstälteste, Steffi, turnt seitdem sie drei Jahre alt ist und „cheert“ seit zwanzig Jahren. Man sieht es ihrem Körper an: Er ist ein einziger Muskel. Als sie zum Flickflack ansetzt, überschlägt sie sich so lange über der Matte, bis die Teammitglieder ihr zurufen: „Stopp! Stopp!“ Doch es ist schon zu spät: Sie ist in die Wand geknallt. Zum Glück ist nichts passiert. Das ist nicht immer so. Zwischen 1980 und 2001, als das Cheerleading begann, Stunts und Pyramiden in die Routinen einzubauen, schnellten die entsprechenden Notfallbesuche in den Vereinigten Staaten um 500 Prozent in die Höhe. Im gleichen Zeitraum war die Anzahl der sogenannten catastrophic injuries von Frauen, die „cheeren“, höher als in allen anderen Sportarten zusammen. Erst 2006 verbot die International Cheer Union die basket tosses, die charakteristischen Würfe in die Höhe, auf festem Boden. Das half, die Rate hat sich verbessert. Trotzdem treten Verletzungen regelmäßig auf, allen voran Gehirnerschütterungen.

Steffi, 32 Jahre alt, musste sich vergangenes Jahr zum wiederholten Mal operieren lassen. Eine Verletzung der Kreuzbänder machte ihr zu schaffen. Als eine der wenigen kann sie alle Positionen in den Stunts einnehmen. Nach der Weltmeisterschaft in Orlando wollte sie eigentlich nach 25 Jahren Hochleistungssport aufhören. Doch obwohl sie mehr Zeit für ihre Familie hatte, habe ihr etwas „gefehlt“. Sie ging wieder zum Training. Sie schloss sich dem Cheerleading an, weil ihrer Weiterentwicklung dort keine Grenzen gesetzt waren, erzählt sie am Rande der Matte. Der Sport habe sich enorm entwickelt, doch es fehle immer noch an Sichtbarkeit. Salomé, eine weitere Cheerleaderin, spricht Steffi auf ihre blauen Flecken an ihrer Wade an: „Ce sont mes pouces. Tu vois, je t’ai bien tenue!“

Die Auftritte gelingen nur, wenn alle am selben Strang ziehen. Jede hat ihre Rolle, eine ohne die anderen würde nicht funktionieren. Die Zuschauer fühlen, wie gut sich die Frauen kennen, und dass sie sich gegenseitig unterstützen. „Bauch fest, Hënner fest, control!“, ruft Chrissi Welter in die Runde. Nachdem Handstände, Flick-Flacks und Araber gemacht wurden, bilden sich Gruppen von vier Personen, um die eindrucksvollen Würfe und Pyramiden, die Stunts, zu trainieren. Die Musik wird sehr laut. „Vertrauen ist das Wichtigste in diesem Sport“, sagt die Trainerin. Bei den Stunts stehen unten im Dreieck zwei Bases und ein Back. Dann gibt es einen Flyer, die Person, die hochgehoben wird und dort Schrauben und ähnliche Übungen vollzieht, bevor die drei unteren sie wieder auffangen. Das Ganze mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Wenn der Flyer herunterfällt, müssen die Base und der Back zwanzig Liegestütze machen, sagt Chrissi Welter.

„Kurz vor dem Wettkampf wird es stressiger, weil dann alle ihr Bestes geben wollen. Der Druck ist höher“, sagt Lynn, eine 21-jährige Flyerin. Von den 28 stehen am Ende nur 24 beim Wettkampf auf der Matte. Das Training wird vorher intensiviert, denn zwei Mal die Woche reicht nicht aus. Die Choreografien, die eingeübt werden, sind zwei bis drei Minuten lang, mit personalisierter Cheermusik: „One, three, five, seven. With power and passion, no we won’t stop – Sweet Devils, watch us take it to the top!”

In den Gruppen laufen die Stunts mal besser, manchmal rutscht jemand ab. Allgemeines Gelächter folgt darauf, dann versuchen die jungen Frauen es erneut. An den Cheer-Schuhen gibt es Einkerbungen, für besseren Halt. „Not too high, not too low!“, ruft die Trainerin.

Ein bisschen Geld verdienen die Trainerinnen. Doch für große Projekte sind sie auf Sponsoren und Crowdfunding angewiesen, wie das bei der WM etwa der Fall war. Davon, ordentlich etwas mit ihrem hohen Niveau zu verdienen, sind alle Meilen weit entfernt – wie viele semi- und professionelle Sportlerinnen. Aber wie so oft läuft das Cheerleading vor allem aus der Leidenschaft heraus. Um Geld in die Kasse zu bekommen, werden auch mal T-Shirts auf der Braderie verkauft. Eine personalisierte Cheer-Uniform samt Glitzersteinen kostet um die 250 Euro.

Es dürfte weniger als 120 Cheerleader/innen im Land geben. Im Vergleich dazu gibt es rund 5 900 Kinder und Jugendliche, die Kunstturnen. Einen eigenen Cheerleading-Verband gibt es in Luxemburg im Gegensatz zum Ausland aus diesem Grund auch nicht. Es entstehen wenig neue Teams in den Turnvereinen. Die Turnföderation FLGym, der die Kunstturner/innen unterstützt, dürfte daran wenig Interesse haben. Für Juliette Caputo-Johanns ist es eine Frage der Trainer: „Die ersten Erwachsenen haben nun genug Erfahrung, um das Cheerleading hier im Land in die Zukunft zu führen. Manche trauen sich jedoch nicht heran, weil es ein schwieriges Unterfangen ist.“ Ein deutsches Coach-Paar trainierte die Sweet Devils, bevor Chrissi Welter und Sarah Halsdorf, die andere Trainerin, übernahmen. Sie wollen die Sweet Devils dieses Jahr wieder in drei internationalen Wettbewerben zum Erfolg führen: unter anderem bei der Europameisterschaft. Juliette Caputo-Johanns würde sich freuen, irgendwann einen nationalen Wettbewerb zu sehen, damit das Cheerleading auch hier zu mehr als einer Show wird.

Sarah Pepin
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