Seit knapp einem Jahrzehnt gehört die Kunstfigur Jonn Happi zum Luxemburger Humor-Inventar. Porträt von Marc Strasser

Nichts ernst nehmen und doch ernst sein

d'Lëtzebuerger Land vom 26.07.2024

Auf dem Camping Fuussekaul herrscht reges Treiben. Zahlreiche Holländer reisen an, um den Sommer im für sie außerordentlich hügeligen Norden Luxemburgs zu verbringen. Ein Waggon fährt mit lauter Musik durch die Anlage, Kinder und ihre Familien steigen ein. Kein Sommerurlaub ohne Kinderbespaßung. Auf der anderen Seite des Campings hat Marc Strasser, besser bekannt als Jonn Happi, sein großes blaues Zelt, den Jonn Happi Zirkus, aufgebaut. „Mein Tempel“ entgegnet der grau-gelockte Mann bei der Ankunft. Welchem Gott wird hier gehuldigt? Dem des Fehlers und der Gleichgültigkeit, antwortet Marc Strasser. Im Hintergrund läuft luftiger Pop, auf einem schwarzen Trapez hängt ein etwa siebenjähriger Junge und streckt die Arme durch, daneben schaukelt ein Mädchen auf einem seidenen roten Tuch herum. Marc Strasser erklärt ihr, wie sie am besten ihre Beine anwinkelt, um in die Pose zu kommen. Weitere Kinder probieren sich auf Fässern, mit Dynamos und Jongliertüchern aus, in der Ecke stehen zwei sogenannte Slacklines, Balancier-Seile, dem Seiltanz ähnlich. Marc Strasser arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten im Bereich des Zirkus, jeden Sommer bietet er mit seiner Maach keen Zirkus asbl. Ateliers für Kinder und Jugendliche an, um ihnen diese Kunst näher zu bringen. Die Nachfrage ist groß.

2015 erfand Marc Strasser Jonn Happi, aus einem Bestreben, eine nachhaltige Kunstfigur zum Leben zu erwecken. Die Haare lose, ein Stirnband um den Kopf, ein Sacko oder eine Toga, die Brille auf der Nase, so sieht Jonn aus. Mittlerweile hat Marc Strasser zwischen 700 und 800 Interventionen und Spektakel als Jonn Happi hinter sich, die er alle selber produziert. „Am Anfang wusste ich gar nicht richtig, worum es mir eigentlich dabei geht. 50-60 Mal bin ich aufgetreten, nur, um zu begreifen, wer die Figur wirklich ist.“ Er bedauert, dass Theaterstücke in Luxemburg oft nur wenige Male aufgeführt werden – bevor sie richtig aufleben können. Wie definiert er seine Figur? Jonn Happi will perfekt sein, ein Ding der Unmöglichkeit, doch eins, das einem die Gesellschaft als erstrebenswert vorgaukelt, sagt er. Fehler sollen möglichst vertuscht werden. Jonn Happi stehe für viele, die auch einfach mal hinfallen wollen. „Ich scheitere gerne und mache weiter.“ Dieses Zitat erinnert nicht nur an Samuel Becketts Kredo, man solle weiter und besser scheitern, die Lebenseinstellung ist auch ein Hauptmerkmal von einem Clown. Dieses Label zieht sich Marc Strasser jedoch ungern an.

Wenn Jonn Happi auftritt, spielt er nicht ausschließlich für Kinder – auch Erwachsene amüsieren sich. Denn er bedient auf geschickte Art zwei Ebenen. Wenn ein Kind auf die Bühne gebeten wird, um ihm zu assistieren, etwa beim Konfetti-Schmeißen, und den Anweisungen nicht zufriedenstellend nachkommt, verdreht Jonn Happi die Augen. Mehrmals funktioniert irgendetwas in der Show nicht, das Seilspringen oder der Zauber-Act. Das Publikum reagiert unweigerlich mit Lachen. Nicht immer ist klar, ob etwas improvisiert oder geplant ist. Inspiriert hat ihn etwa das spanische Theater und Pantomime-Trio Tricicle. Aber auch Helge Schneider, der „nichts ernst nimmt und doch ernst ist“. Diese Definition passt sowohl auf Marc Strasser als auf Jonn Happi. Ihre Stimme ist stets ruhig, ein gewisses Understatement wohnt ihnen inne– emotionaler Überschwang scheint fremd. Dennoch bleibt Raum für Gefühle. Wie definiert er lustig? Auf einer Kleinigkeit hängenbleiben und sie vergrößern, das sei witzig. Das, was Kinder ihm mitgeben, baut er aus; außerdem brauche man einen Koffer voller Techniken.

Wissenschaftliche Klarheit, weshalb Menschen lachen, gibt es bisher nicht. Dass sie es gern tun, beweisen der Erfolg von Komödien, Zirkuskunst und Lach-Yoga. Aus evolutionsbiologischer Sicht erfüllt das Lachen die Rolle von sozialem Klebstoff und stellt eine Form der Kommunikation dar. Auch andere Primaten lachen, was darauf schließen lässt, dass diese Fähigkeit uns, lange bevor wir Sprache und andere kognitive Fähigkeiten entwickelten, inne war. Einen Witz als solchen zu erkennen und zu lachen, zeugt von sozialer Kompetenz, fördert das Gruppengefühl und das Wohlbefinden und somit die Kohäsion zwischen Menschen – und entschärft auch potenzielle Gefahr. War ein Gag nicht lustig, wird er es umso weniger, je mehr man ihn erklärt. Doch die Psychologie versucht trotzdem, das Phänomen Humor zu erörtern. Sigmund Freud beschrieb Humor als reifen Abwehrmechanismus; durch Gelächter könnten aufgestauter Stress und „nervöse Energie“ freigelassen werden. Der kanadische Professor Rod A. Martin entwickelte eine vierdimensionale Theorie des Humors: Der kognitive Aspekt, der sich als Präsenz einer Unangemessenheit oder einer Inkompatibilität in einer Aussage äußert. Dieser Aspekt löst die emotionale Komponente des Humors aus, die Heiterkeit – die sich übrigens auch in Gehirntomografien nachweisen lässt. Drittens ist die soziale Komponente für Martin ausschlaggebend, denn Menschen lachen vielmehr, wenn sie zusammen sind als alleine. Das Lachen kommt als vierter, non-verbaler Ausdruck von Heiterkeit hinzu.

Studien zeigen, dass Zirkuskunst sich positiv auf die Kindesentwicklung auswirkt. Wichtig ist dabei, etwas ausprobieren zu können, ohne den mit der Schule assoziierten Leistungsdruck. Mit etwas Unterstützung das zu finden, was einem liegt, sei es Trapez oder Jonglieren. Marc Strasser hat den Eindruck, dass eine Reihe Kinder heute bereits mehr mitbringen als noch vor einem Jahrzehnt, dass sie psychomotorisch äußerst fit seien. In Jonn Happis Zirkuszelt sind mittlerweile die Eltern eingetroffen, die stolz ihre Smartphones zücken. „Alle ins Büro bitte“, ruft Marc Strasser den Kindern zu. Jeder holt sich Jongliertücher. Es gilt, die Tücher in die Luft zu werfen und sich auf die Brust zu klopfen, sich an die Nase und das Ohr zu greifen, bevor das Tuch wieder auf dem Boden landet. Allgemeines Chaos und Gelächter, Foto knipsen, nach Hause gehen. Marc Strasser schlägt den benachbarten Imbiss zum Mittagessen vor.

Der 48-Jährige ist in Bartringen in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, in der niemand etwas mit Kunst oder Theater am Hut hatte. Als Kind und Jugendlicher spielte er leidenschaftlich Basketball; die Disziplin, diesen Sport professionell weiter zu entwickeln, hatte er jedoch nicht, erzählt er. Stattdessen wandte er sich dem Skateboarden zu. Ihn hätten immer schon Randgruppen der Gesellschaft interessiert, er sei oppositionell gewesen. Mit 16 Jahren schmiss er die Schule, um eine Ausbildung in einer Druckerei zu machen und sich vom ersten Gehalt eine Gitarre und einen Verstärker zu kaufen. Allerdings war auch dieser Lebensabschnitt von eher kurzer Dauer, denn es habe ihm nicht gefallen, Angestellter zu sein. Gleichzeitig ereilte ihn die Erkenntnis, er sei „nicht sonderlich talentiert“, was Musik angeht. Die nächste Station war die Erzieherschule in Fentingen, wo er vor 25 Jahren zum ersten Mal mit Zirkus in Kontakt kam. „Das hat eine regelrechte Euphorie in mir ausgelöst – vor allem, das Gelernte mit anderen teilen zu können.“ Die Suche nach der Berufswahl hatte ein Ende, er ging nach Brüssel in die Zirkusschule um die dazugehörende Pädagogik zu lernen, nach Ibiza in die Clownschule des Holländers Eric de Bont. In Luxemburg kam er dann in der Zirkusgruppe Zaltimbanq unter und begann, sich mit anderen Artisten zu vernetzen. Unter anderem baute er 15 Jahre lang mit Gleichgesinnten die Zirkussektion im Lycée Ermesinde auf.

„In meinem Leben sehe ich vier Säulen: Angst, Sicherheit, Gesundheit und Spaß.“ Das gesicherte Einkommen tat zwar gut, doch die Gesundheit und der Spaß fingen an, zu kurz zu kommen, und Sicherheit gebe es eh nicht. Der Schritt, sich selbstständig zu machen, dauerte. Im kleinen Luxemburg, wo tradierte Wege vielen in die Wiege gelegt werden, fällt schnell auf, wer aus der Reihe tanzt. Was gibt er seinen drei Kindern im Teenageralter mit auf den Weg? „Ich bin genauso ein Spießer wie alle anderen. Den Kindern sage ich, sie sollen ihre Schule sauber abschließen.“ Einen gewissen Ekel in die Gesellschaft sei nötig, um das eigene Potenzial zu entdecken.

Stephan Kinsch hat die Zirkusschule Zaltimbanq mit aufgebaut (und ist Geschäftsführer des Letzebuerger Land). Er erzählt, bei einem gemeinsamen Sketch sei es Marc Strassers Aufgabe gewesen, streng zu sein – doch er konnte nicht. Später erklärte Strasser seinem Artistenpartner, sein kleiner Sohn habe im Publikum gesessen, und der möge das nicht, wenn sein Vater so streng auf der Bühne herumtöne. Mit seiner Familie bewohnt er heute ein Haus in Heiderscheid. So habe es in den 80-er- Jahren auch in in Bartringen ausgesehen, sagt er, und ein solches Aufwachsen habe er sich für seine Kinder gewünscht. Anderthalb Hektar Land gehören dazu, darauf hält seine Frau ein Dutzend Ardenner Fuchskopf-Schafe und ein paar Hühner. Auch dort spielen Kinder eine Rolle, sie werden in saisonalen Workshops spielerisch an die Natur und die Tiere herangeführt.

Vor einem Auftritt versucht Marc Strasser sich zu erden, macht autogenes Training und versucht das Vorher und Nachher auszublenden. Die Show sei dann stabiler. Aber auch Soundchecks oder Pannen können mal ungeplant mit in das Spektakel einfließen. Jonn Happi mag das Spiel mit den Erwartungen. Aber vor allem mag er die Gegenwart. „Wenn du im Moment überlegst, ist der Moment tot.“ Auf seiner Homepage findet sich ein Link für eine zweiminütige Übung im Nichtstun. Er benutzt Worte wie Meditation und Achtsamkeit zwar nicht im Gespräch, doch sie liegen der Praxis zugrunde. Seit vier Jahren nimmt er außerdem sehr kalte Bäder nach der Methode des Holländers Wim Hof – lediglich im Winter. Anhänger der Praxis schwören auf ein gestärktes Immunsystem und erhöhte Konzentrationsfähigkeit. In einer SWR-Reportage erklärte Marc Strasser vor zwei Jahren, die Figur des Jonn Happi sei auch ein Ventil „damit einem der Kopf nicht platzt“. Darauf angesprochen sagt er: „Die Gesellschaft ist derzeit gaga – das kann ich auf der Bühne ansprechen.“ In seine Shows fügt er Beobachtungen ein, Überlegungen zu Erziehung und zum Miteinander. Auch das Privileg, den gegenwärtigen Moment trotz allem zu genießen, will er dem Publikum vermitteln. Marc Strasser muss zurück in sein Zelt, die nächste Kindergruppe trifft bald ein. Ein Holländer, der im Bungalow nebenan seinen Urlaub verbringt, ruft ihm zu, dass er abends noch zum Hula-Hoopen vorbei kommt.

Sarah Pepin
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