„Man ist, was man isst“, lautet ein Sprichwort, das abschätzig auf die schlechten Essgewohnheiten anderer blickt und gleichzeitig den Mehrwert sozialer Selbstvergewisserung über bessere oder gesündere Ernährung bietet. Wie und was Menschen essen und wie die Nahrung gewonnen wird, ist ökonomischen und kulturellen Einschränkungen und Trends unterworfen, konstant ist nur: Ganz ohne geht es nicht.
Die Ausstellung All you can eat. Der Mensch und seine Nahrung im Lëtzebuerg City Museum verfolgt den Weg der Lebensmittel über deren heutige industrielle Erzeugung und Verarbeitung und den Verkauf bis hin zur Zubereitung und zum Verzehr. Der chronologische Aufbau der weitläufigen Schau von den Anfängen, dem Pflügen der Felder, bis hin zu Nahrungsmitteln der Zukunft erscheint naheliegend.
Zu Beginn des Rundgangs der im eigenen Haus entstandenen und von Mohamed Hamdi kuratierten Schau, die sich über drei Etagen mit mehr als 400 Objekten erstreckt, steht die Muttermilch, als archaischste Ernährungsform schlechthin, festgehalten in einer religiösen Szene der Maria lactans. Das Gemälde einer stillenden Jungfrau, Öl auf Leinwand nach Gérard Seghers (1951-1651), begrüßt die Besucher/innen feierlich sakral.
In Blickweite erspäht man einen säenden Bauern, wie er nach der neolithischen Revolution vor rund 12 000 Jahren existierte: eine Aufnahme des Luxemburger Fotografen Pol Aschman aus dem Ösling von der Herbstaussaat 1955. Die Ausstellung setzt auf Schlaglichter, indem sie verschiedene historische Objekte vorführt.
Und dies mitunter sehr sinnlich. So wähnt man sich im zweiten und dritten Raum, die durch Plastikvorhänge voneinander abgetrennt sind (dies aus Hygienegründen), in einem Schlachthaus. Die Wände sind blutrot und ein Schwein baumelt kopfüber von der Decke. Wer starke Nerven hat, kann sich ein Video ansehen, in dem einem Kaninchen routiniert das Fell abgezogen wird. Auch Bienen, Blüten und Bestäubung dürfen nicht fehlen. Doch die Kehrseite folgt auf dem Fuße. Seit dem 19. Jahr-
hundert kommen in der Landwirtschaft vermehrt synthetische Substanzen, Pestizide und Kunstdünger zum Einsatz. Mit der Folge: Verschlechterung der Bodenqualität, belastetes Grundwasser und reduzierte Artenvielfalt.
Im nächsten Raum führt ein Fließband beklemmend die industrielle Verarbeitung und die unethische Massentierhaltung vor. Reißerische Schlagzeilen aus Zeitschriften wie „Unser tägliches Gift gib uns heute!“ (Stern) sowie Poster weisen auf zweifelhaft verarbeitete oder angereicherte Lebensmittel hin. Wo der Hunger in den Industrieländern überwunden sei, leide man heute unter Krankheiten, die mit Überernährung und Junk-Food in Verbindung stehen. Die Fotos übergewichtiger Kinder im Schnee beim Themenblock Über- und Unterernährung wirken etwas voyeuristisch, zudem wird ein etwas einfacher Zusammenhang zur industriellen Produktion nahegelegt.
Nostalgisch kann man die Abteilung der Schau durchstreifen, in der es um Luxemburer Produkte wie Rose-Botter und Speisen wie Rieslingspaschtéit geht. Die bunten Marken verweisen auch schon auf den (Mehr)-Wert der schmucken Verpackungen.
Die Thematisierung des Einflusses der USA, von dem etwa ein Kaugummiautomat und ein Krug mit der Aufschrift „Pizza Hut“ künden, ist klassisch antiimperialistisch und wenig differenziert geraten: „Mindestens seit der Verteilung von Armeerationen an die europäische Bevölkerung im Kontext der beiden Weltkriege stehen bestimmte Nahrungs- und Genussmittel wie Schokolade und Kaugummi stellvertretend für den American Way of Life. „Bald darauf beginnt der Siegeszug des Fast Food, welches wie kein anderes Essprodukt die auf Effizienz und Profit ausgerichtete US-amerikanische Wirtschaft verkörpert: billige, standardisierte und schnell zubereitete Gerichte“, liest man. Und weiter: „Die internationale Verbreitung von Fast-Food-Ketten veranschaulicht den globalisierten Kultur- und Wertewandel unter amerikanischer Vorherrschaft.“ (Katalog) Hier fällt auch das Schlagwort Cocakolonisierung.
Im Kapitel Tischgespräche erfährt man von Ess- ritualen weltweit und Religionen übergreifend, vom Tischgebet bis hin zu den das Essen betreffenden Geboten. Davor kann man einen der ersten Kühlschränke aus den 1920-er Jahren begutachten, der heute wie ein Relikt aus einer anderen Zeit wirkt. Das Thema Schächten ist einseitig aufgegriffen: So wird die rituelle Schächtung im Islam hier als ethisch einwandfrei dargestellt, während die jüdische Schechita ohne Betäubung in einem Flugblatt als grausame Methode der Juden angeprangert wird.
Im selben Raum können die Besucher/innen Platz nehmen und sich auf einer Leinwand Youtube-Videos von Teenies ansehen, wie sie laut kauend Speisen verzehren. Die als Food Porn bekannten neuen Digitalkulturen sind längst keine Einzelfälle mehr. Um ihre Einsamkeit zu überwinden, fingen 2010 in Südkorea Menschen damit an, sich beim Essen zu filmen und die Videos in Direkt-
übertragung in soziale Netze zu stellen. Andere konnten ihnen beim Essen zuschauen und ihre Gedanken in den Kommentarspalten teilen. Der als Mukbang bekannte Trend erfuhr vor allem durch die Covid-19-Pandemie einen Aufwind. Einige Mukbanger brächten es auf mehrere Millionen Follower, liest man begleitend.
Im starken Kontrast wirken die letzten beiden Räume. Hier stehen gewissermaßen Reduktion beziehungsweise Slow-Food-Bewegungen versus Innovation für die Nahrungsmittel der Zukunft: In dem einem Raum klärt rund ein Dutzend Vertreter/innen luxemburgischer NGOs über alternative landwirtschaftliche Modelle und fairen Handel auf, im nächsten locken künstlich hergestellte Fleischersatzprodukte und Insekten.
So veranschaulicht die Schau Schattenseiten der industriellen Landwirtschaft und liefert Denkanstöße, allerdings keine ungeahnten. Didaktisch ist die Ausstellung auch für Kinder und Schulklassen pädagogisch aufbereitet, die Gromperekichelcher dienen dazu als roter Faden.