Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Einkommen und Vermögen

d'Lëtzebuerger Land vom 11.09.2020

Es gibt ihn immer noch, den feinen Unterschied zwischen den konservativen und den extremen Rechten. Wenn Letztere im Sommerloch um Aufmerksamkeit ringen, lassen sie eine ausländerfeindliche Provokation vom Stapel. Erstere erzielen denselben Effekt mit der Erwähnung von Vermögensteuern.

CSV-Präsident Frank Engel erntete Aufmerksamkeit, als er vorschlug, die Bemessungsgrundlage zweier Steuern auf dem Besitz und Besitzwechsel von Vermögen zu erweitern. Doch die Vorstellung löste beim Finanzplatzflügel seiner Partei und dem Luxemburger Wort einen wütenden Beißreflex aus. In ihrer blinden Wut glaubten sie, nach dem ehemaligen LSAP-Präsidenten Franz Fayot zu schnappen.

Mit allen politischen Parteien von ADR bis Linke lässt sich gesittet über Lohnsteuern und Mehrwertsteuern reden, über deren Erhöhung oder Senkung, die getrennte Veranlagung, über den TVA-Satz für Damenbinden, die Linderung des Mittelstandsbuckels und die Belastung des Tanktourismus. Doch die Vermögensteuer und die Erbschaftssteuer leiden kein gesittetes Gespräch.

Lohn- und Mehrwertsteuer werden bei der großen Mehrheit der Leute einkassiert, die ihre Arbeitskraft gegen Lohn feilbieten und den Erlös zwecks körperlichen und seelischen Erhalts wieder ausgeben müssen. Vermögen- und Erbschaftssteuer werden dagegen auf dem Besitz erhoben. Und da hört der Spaß auf. Denn die Verfassungsartikel 11 und 16 erklären die Arbeit zu einem uneinklagbaren Recht, den Besitz aber zu einem geschützten Gut.

Zudem gibt es zwei Arten von Vermögen: Vermögen, das im Laufe der Jahre dahinschmilzt, weil es gehortet oder abgenutzt wird, wie das mit Hypotheken belastete Eigenheim, der Audi und das inzwischen zinslose Sparguthaben. Und Vermögen, das die hartnäckig mystifizierte Eigenschaft besitzt, sich nicht zu verbrauchen, sondern zu vermehren, wie Friseursalons, Fabriken, Ertragshäuser, Äcker und Aktien.

Die LSAP nennt den Spitzensatz der Lohnsteuer schelmisch „Reichensteuer“. Doch mit Lohnarbeit reich zu werden, ist vergebliche Liebesmüh. Es bedarf schon des vermehrungsfähigen Vermögens. Sein Grundstock wird in der Regel geerbt. Die Vermögensteuer deshalb wieder bei Einheimischen eintreiben und die Erbschaftssteuer auch bei Kindern und Enkeln erheben zu wollen, stellt einen symbolischen oder reellen Angriff auf das Recht dar, sich zu bereichern. Ob symbolisch oder reell, hängt vom Steuersatz und den gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen der Steuervermeidungsindustrie ab.

Um den Vermögensteuern zu entgehen, sucht die Minderheit der Besitzer sich selbst mehrenden Vermögens eine Koalition mit der Mehrheit der lohnabhängigen Mittelschichten. Zu dem Zweck reden die einen den anderen ein, dass sie trotz Freibeträgen Gefahr laufen, Steuern auf dem elterlichen Eigenheim zahlen zu müssen. Dessen Vererbung ist aber zur letzten Sicherheit geworden, dass es einmal den Kindern nicht schlechter gehen wird als den Eltern. Damit ist mit dem Sommerende die Aufregung beigelegt.

Romain Hilgert
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