Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Der Preis der Freiheit

d'Lëtzebuerger Land vom 07.08.2020

Die erste Welle der Corona-Seuche hatte von Mitte März bis Mitte April 70 Tote und über 3 000 Infizierte verursacht. Dank der Schließung der Baustellen, Schulen, Geschäfte und Restaurants war sie abgeklungen. Daraufhin hatten die wissenschaftlichen Berater der Regierung, die Covid-19 Task Force, am 20. Juni „eine geringfügige 2. Welle, die sich über den Herbst und Winter aufbaut“, angekündigt. Eine Woche später löste die Aufhebung des Lockdowns mechanisch die zweite Welle von Infektionen aus.

LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert erklärte die unerwartete zweite Welle am
10. Juli mit der Beobachtung: „Die Leute stecken sich grosso modo im Privaten an.“ Sie hatte im ersten Covid-Gesetz die privaten Kontakte einschränken wollen. Aber der Staatsrat hatte gedroht, „à s’opposer formellement à l’article sous revue. Il propose le dispositif suivant, rédigé dans la logique de l’abandon de toute réglementation des réunions dans les lieux privés“.

Im Namen der CSV hatte Claude Wiseler am 22. Juni den Staatsrat zur Streichung der Bestimmung beglückwünscht: „Mir si frou, datt dat eraus ass“. Sein Parteipräsident Frank Engel ist ein Verehrer des autoritär-liberalen Joseph Bech. Er bewundert laut Lëtzebuerger Land vom 22. Mai den freizügigen Umgang mit dem Virus in Schweden. Schweden zählt fünfmal mehr Covid-Tote als alle anderen skandinavischen Länder zusammen, so die New York Times vom 23. Juni.

Auch der ADR-Abgeordnete Roy Reding hatte sich beschwert: Mit ihrem Kampf gegen Partys und Familienfeste wolle die Regierung „d’Bierger schikanéieren“ und einen „Iwwerwaachungsstat“ organisieren. Seine Meinung teilt die staatliche Menschenrechtskommission. Sie hatte in ihrem Gutachten geklagt, „que la responsabilisation, la confiance et la collaboration avec la population ne soient plus le pivot central, mais ont été remplacées par des mesures plus coercitives et invasives“.

Nach Beginn der zweiten Welle schätzte die Task Force am 24. Juli die Zahl der Covid-Toten auf 1 400 oder 1 500 bis Ende des Jahres. Ohne Berücksichtigung des Corona-Tourismus während der Urlaubszeit. Sie warnte, dass die Intensivstationen der Krankenhäuser schon Ende August überlastet sein könnten. Die Helden des Liberalismus änderten inzwischen vorsichtig ihre Meinung. Aber Regierung, Opposi-tion und Presse sind sich einig, die Task Force als Spinner abzutun, die bloß die Leute erschrecken und disziplinieren wollen.

Denn behielte die Task Force diesmal recht, wäre eine zweite Konfination unvermeidlich. Der Direktor des Handelsverbands, Nicolas Henckes, eröffnete aber am 29. Juni bei RTL die Gewinn- und Verlustrechnung: „Et wär eng Risekatastroph, wann d’Butteker nees missten zoumaachen. Dat géif méi grouss Problemer mat sech brénge wéi de Virus selwer.“ Der Präsident der Union des entreprises luxembourgeoises, Nicolas Buck, befahl der Regierung am 10. Juli im Paperjam knapp: „La question ne se pose plus: on ne reconfinera pas, ni au Luxembourg ni ailleurs.“ Dann werden 1 500 Freiwillige gesucht, die bereit sind, im Virenkrieg für den Wirtschaftsstandort zu sterben.

Romain Hilgert
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