Leitartikel

Machtprobe

d'Lëtzebuerger Land vom 04.04.2014

Apess-Präsident Daniel Reding hatte es kommen sehen. Schon im Sommer 2013 warnte er, dass mit einer neuen Regierung „spektakulärere Änderungen“ in der Bildungspolitik kommen könnten. Heute, fast ein Jahr später, dürfte sich die Lehrergewerkschaft nach der damals so innig angefeindeten LSAP-Ministerin Mady Delvaux-Stehres geradezu zurücksehnen. Denn mit seiner Forderung, die nach Dienstalter gegebenen Freistunden der Lehrer streichen oder zumindest reduzieren zu wollen, im Gegenzug für eine abgeschwächte kollektive Bewertung, wie in der Beamtenstatutreform mit der CGFP vereinbart, greift der DP-Unterrichtsminister Claude Meisch nach dem Heiligsten der Lehrer: ihrer Tâche.

Daran dass die Regierung sparen will, hatte sie von Anfang an keinen Zweifel gelassen. Claude Meisch begründet seinen jetzigen Vorstoß denn auch damit, „Ehrlichkeit“ und „Verantwortung“ zu zeigen. Arithmetisch ist es nicht falsch: Wenn der Staat die Zahl der Neueinstellungen bei den Beamten um fast die Hälfte senken will, ohne im Gegenzug massiv auf Hilfslehrer zurückzugreifen, bleibt nur, die Arbeitszeit der Lehrer auszudehnen oder die Klasseneffektive zu erhöhen. Und selbst das dürfte die Personalnot an den Schulen kaum beheben. Dies jedoch mit einer ohnehin fragwürdigen, weil nur zwei respektive drei Mal in einer gesamten Lehrerlaufbahn fälligen „kollektiven Bewertung“ zu verbinden, überzeugt nicht. Eine wirksame Feedbackkultur, die sich positiv auf die Schulqualität auswirkt, sähe anders aus.

Meischs Konfrontationskurs ist überdies eine Steilvorlage an die Gewerkschaften. Schon haben Feduse, SNE, SEW und Apess einhellig angekündigt, sich mit Händen und Füßen gegen die „frontale Attacke“ zu wehren. Der gewerkschaftliche Schulterschluss war zu erwarten. Als es noch vor einigen Monaten um die geplante Sekundarschulreform ging, war davon nicht viel zu sehen. Da waren Apess und SEW durch ihre überwiegend ablehnende Haltung gegenüber Reformen vielen zu weit gegangen und hatten mit ihrem erfolglosen Streikaufruf zuletzt eine bittere Niederlage kassiert.

Die ist nun vergessen. Die Gewerkschaftsreihen stehen geschlossen – und das droht schon bald auf die überfällige Sekundarschulreform abzufärben. Wie sensibel die Lehrervertreter sind, wenn es um die Privilegien ihres Berufstands geht, hätten der Minister respektive seine Berater aus den Erfahrungen vor acht Jahren wissen müssen. 2007 hatte Unterrichtsministerin Delvaux-Stehres die Tâche der Sekundarschullehrer geändert und um obligatorische Förderstunden erweitert – und dafür noch Jahre später bitter bezahlt. Die mühsam abgetrotzten Zugeständnisse waren ein entscheidender Grund, warum sich das Verhältnis zwischen ihr und insbesondere den Sekundarschullehrervertretungen fortan überaus frostig gestaltete. Die Ministerin immerhin hatte ihren Vorstoß damals auch pädagogisch begründet, die Schule von heute stelle nun einmal neue Herausforderungen an den Lehrerberuf.

Finanzexperte Claude Meisch dagegen argumentiert rein budgetär. Warum warten er und sein neuer Staatssekretär, der ehemalige Sportjournalist Marc Hansen, nicht ab, erarbeiten eine Sekundarschulreform, die den Namen verdient – und reformieren die Tâche dann so, dass sie den geänderten pädagogisch-didaktischen Anforderungen Rechnung trägt? Das wäre im Sinne der Schulen, der von Meisch beschworenen pädagogischen Qualität – und somit der Schülerinnen und Schüler. Die Chance hat der Minister verspielt, er sucht die Machtprobe geradezu. Die mit den Gewerkschaften und der Universität Luxemburg gemeinsam ausgehandelten vereinfachten Grundschulzeugnisse werden daran nichts ändern: Die Zeichen in der Bildungspolitik stehen auf Sturm.

Ines Kurschat
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