Die Prioritäten des neuen Schulministers überraschen nicht: Berufsausbildung, Sekundarschulreform, Grundschulzeugnisse – und irgendwann der Werteunterricht

Los geht’s!

d'Lëtzebuerger Land vom 24.01.2014

Als „angenehm“ und „konstruktiv“ beschrieben die Lehrergewerkschaften SNE und SEW-OGBL die Atmosphäre, als sie am 14. Januar dem neuen Unterrichtsminister Claude Meisch (DP) und seinem Staatssekretär und Parteikollegen André Bauler einen Antrittsbesuch in der Aldringer Straße abstatteten.

Im rundum renovierten Ministerium wurden die Delegationen empfangen. SNE, SEW und Feduse hatten jeweils eine Stunde, die Apess traf sich erst diesen Donnerstag mit Claude Meisch. Man habe auf Fragen „präzise Antworten“ erhalten, vermeldete der SEW zwei Tage nach dem Treffen per Pressemitteilung zufrieden. Das sind ungewöhnlich freundliche Töne, denkt man an die konfrontative und aufgeheizte Stimmung zurück, die zuletzt zwischen den Gewerkschaften und der ehemaligen LSAP-Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres geherrscht hatte. Sogar ein Aufruf zum Streik stand im Raum, der allerdings mangels Lehrerbeteiligung alsbald verhallte.

Nicht nur den Gewerkschaften ist scheinbar daran gelegen, das Gespräch wieder zu versachlichen und den Ton zu entschärfen. Wer sich dieser im Schulministerium umhört, wird auf viel Vorsicht treffen und des Öfteren die Wörter „Analyse“ und „Dialog“ hören. So ähnlich steht es in der Koalitionsvereinbarung, die DP, LSAP und Grüne getroffen haben und die die Marschroute für die Bildungspolitik der nächsten fünf Jahre vorgibt.

Zwei Monate nach deren Unterzeichnung sind die schulpolitischen Beratungen so weit gediehen, dass erste Prioritäten festgelegt werden können. Die Themen indes sind dieselben geblieben. Der DP-Unterrichtsminister hat Handlungsbedarf in der Berufsausbildung ausgemacht. Nach Rücksprache mit Experten aus dem Ministerium, mit den berufsbildenden Schulen, aber auch mit den Berufskammern kommt Meisch im Land-Gespräch am Dienstag zu dem wenig überraschenden Fazit: „In der Berufsausbildung besteht eine gewisse Dringlichkeit, viele Schüler hängen sonst in der Luft.“ Man sei dabei, an Details zu feilen. So stehe das Entschlacken der kompetenzbasierten Ausbildungspläne auf dem Programm, so Meisch, da sei man mit der Reform „über das Ziel hinausgeschossen“.

Auch das Angebot der Wiederholungskurse soll überarbeitet werden. Durch die Umstellung auf das modulare System müssen Berufsschüler eine bestimmte Anzahl an Modulen in ihrem angestrebten Beruf belegen. Bestehen sie sie nicht im ersten Anlauf, können sie diese wiederholen. Allerdings haben nicht wenige Schulen Schwierigkeiten, neben dem regulären Kursangebot noch Kurse für Nachzügler zu organisieren. Wiederholt ein Schüler sein Modul nicht innerhalb einer gewissen Zeit, kommt er nicht weiter und ist in seiner Ausbildung blockiert. „Wenn es funktioniert, ist das neue Ausbildungssystem anspruchsvoller“, so Meisch. Ein Trend, den die Berufskammern grundsätzlich begrüßen. Allerdings nützt das nichts, wenn viele Lehrlinge die Ausbildung gar nicht erst schaffen. Das Ministerium will nun gemeinsam mit den Schulen schauen, wie das Kursangebot besser organisiert werden kann.

Eine weitere Priorität sind die Zeugnisse in der Grundschule. Gewerkschaften, Lehrer und Eltern hatten sie in der Vergangenheit als zu schwerfällig kritisiert, eine Studie der Uni Luxemburg kam zu demselben Ergebnis und empfahl dringend, die komplizierte Benotung zu ändern. Einige gingen in ihrer Kritik so weit, zu einer Art Punkte-Benotungssystem zurückzukehren und die kompetenzbasierte Bewertung, bei der der Schüler und sein Lernprozess im Mittelpunkt stehen, ganz fallen zu lassen. So weit werde die neue Regierung nicht gehen, unterstreicht Meisch, an der kompetenzbasierten Benotung werde festgehalten. In Arbeitsgruppen soll geprüft werden, wie die Zeugnisse vereinfacht werden können und trotzdem die Idee der Lerndiagnose bewahrt bleibt. „Dies selbstverständlich in Rücksprache mit den Schulpartnern“, so Meisch, und er fügt hinzu, dass damit „nicht nur die Gewerkschaften“ gemeint seien.

Dass der neue Schulminister in gefühlt jedem fünften Satz den „Austausch mit allen Partnern“ betont, ist ein Zugeständnis an die Gewerkschaften. Sie hatten im vergangenen Jahr Mady Delvaux-Stehres eine mangelnde Dialogbereitschaft attestiert; die unterschiedlichen Auffassungen darüber, was ein fruchtbarer Dialog sei, trugen wesentlich dazu bei, dass trotz neunmonatiger Sonderberatungen die Verhandlungen zwischen beiden Seiten zunehmend schwieriger bis unmöglich wurden. Den Fehler seiner Vorgängerin will Meisch nicht wiederholen.

Vorsicht und Bedachtsamkeit werden derzeit groß geschrieben. Mit dem Reform-Presslufthammer, den vor allem die Gewerkschaften fürchten, soll es vorbei sein. „Wir werden die Situation zunächst prüfen, bevor wir konkrete Vorschläge machen“, sagt Meisch etwa hinsichtlich des geplanten Werteunterrichts. Erst studieren und diskutieren, dann ausprobieren, heißt die Devise. Schon um starke Lobbygruppen nicht zu verprellen. Entschleunigung, Besinnung auf das Notwendige sind die Zauberworte. Nach außen. Denn intern haben die Besprechungen zur umstrittenen Sekundarschulreform bereits begonnen. Nur hängt der Minister sie nicht an die große Glocke. Fünf Jahre sind für Projekte dieser Größenordnung kuz, das weiß auch Claude Meisch. Der neue Mann der Bildung scheint dennoch bemüht, sich einen möglichst kompletten Überblick über das Luxemburger Schulwesen zu verschaffen, bevor er sich mit Vorschlägen aus dem Fenster lehnt. Wie viel Wirbel unbedachte Statements hochrangiger Politiker verursachen können, haben die Äußerungen einer Parteikollegin Meischs gezeigt: die quirlige Familienministerin Corinne Cahen plauderte aus, das Kindergeld vereinheitlichen zu wollen, freilich ohne einen klaren Fahrplan zu haben. Prompt behrrscte das Thema die Schlagzeilen, besorgte Bürger kommentierten in Foren. Als Konsequenz hat die DP-Parteispitze ihre Leute zu mehr Vorsicht im Umgang mit den Medien ermahnt.

Bei Meisch sind derartige Warnungen nicht nötig. Im kurzfristig anberaumten Gespräch mit dem Land präsentiert sich der ehemalige Oppositionsführer freundlich, strukturiert und gut vorbereitet. Den Eindruck bestätigen auch Beamte, die mit ihm zusammenarbeiten: Der Minister gefällt, weil er zuhöre und sich zunächst ins Bild setzen lasse, statt direkt die Marschrichtung vorzugeben. Er frage nach, sei offen und scheue sich nicht, Wissenslücken einzugestehen, sagen Meischs Mitarbeiter. Für das Alphabetisierungsprojekt auf Französisch in der Grundschule, das der DP seit Jahren ein Anliegen ist, soll Meisch eine Analyse angefragt haben, welche Erfahrungen und Schwierigkeiten diesbezüglich bereits existieren. Die Idee ist schließlich nicht neu. Dass sich der ehemalige Differdinger Bürgermeister zurückhält, liegt vermutlich aber auch daran, dass der Nachfolge-Streit in seiner Gemeinde einen Kratzer hinterlassen hat und Meisch sorgsam darauf bedacht ist, den Imageschaden nicht größer werden zu lassen.

Eine andere Erklärung ist, dass die Zuständigkeiten in dem Ministerium noch nicht endgültig geregelt sind. Erweitert um die Ressorts Kindheit und Jugend sowie das Forschungs- und Hochschulressorts schwingt sich Meisch zum Superminister auf. Die damit verbundenen Aufgaben kann er jedoch kaum alleine bewältigen, schon jetzt ist sein Terminkalender zum Bersten gefüllt, einige, unter Delvaux wöchentlich organisierte Besprechungen sollen bereits deutlich reduziert worden sein. Noch ist unklar, wer welche Ressorts schlussendlich leiten wird. Es scheint so, als würde sich Staatssekretär André Bauler in erster Linie auf die Berufsausbildung und die Beratungen mit den Schulakteuren zur Sekundarschulreform konzentrieren. Das macht insofern Sinn, als der Wirtschaftslehrer aus Wiltz über Unterrichtspraxis auf der Sekundarstufe verfügt und von dieser Erfahrung profitieren kann. Außerdem soll der ehemalige DP-Bildungssprecher der Gewerkschaft Apess nahestehen. Insofern könnte Bauler als Integrationsfigur zwischen Ministerum und Schule hilfreich sein. Das hat schon bei den Wahlen funktioniert. Meisch betont im Interview stets das „Wir“ und die Herausforderungen, die man gemeinsam bewältigen wolle. Einige aus der Partei schauen nicht ohne Sorge auf das Duo, immerhin wollte auch Bauler Schulminister werden, er gilt aber als nicht führungserfahren genug. Im Moment ist es jedenfalls Meisch, der bei Interviews vor die Kameras tritt und in die Mikros spricht und sämtliche Ressorts nach außen vertritt.

Für Meisch ist das Megaministerium eine Chance, wichtige Politikfelder wie Kindheit und Schule und Lehrerausbildung (Hochschule) enger miteinander zu vernetzen und sich als Macher zu profilieren, der schwierige Ressorts (außer die Finanzen) nicht scheut. Spätestens wenn die Sondierungsgespräche mit den Akteuren beendet sind, wird der freundliche, stets gefasst wirkende Politiker jedoch Farbe bekennen müssen, wie er sich die weitere Entwicklung des Luxemburger Schulwesens und die Umsetzung der Koalitionsvorhaben konkret vorstellt – und dabei zwangsläufig Interessen enttäuschen und den einen oder anderen vor den Kopf stoßen.

Bei den „großen Leitlinien herrscht weitgehend Einigkeit“, sagt Meisch dem Land beschwichtigend. Das stimmt nur zum Teil. Nach über zweijähriger Vorbereitungszeit ist vielleicht allen Beteiligten und Betroffenen inzwischen klar, dass die Sekundarschulen reformiert werden müssen, will Luxemburg mit dem Ausland mithalten. Auch dem letzten Reformskeptiker scheint zu dämmern, dass der Bevölkerungswandel vor den Schulen nicht Halt macht und diese nicht umhinkommen, sich viel stärker als bisher Gedanken darüber zu machen, wie sie die zunehmende Vielfalt in ihren Klassen angemessen fördern können.

Fakt ist aber auch, dass weiterhin große Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, wie weit Änderungen gehen sollen. Nach wie vor sträuben sich vor allem die klassischen Lyzeen gegen tiefgreifende Erneuerungen, zum Ärger und Unverständnis vieler. Zuletzt hatten sich Eltern und Schüler in einer beispiellosen Aktion gegen die nationale Lehrerdelegation DNL verbündet und weiterreichende Änderungen gefordert. Der Konflikt ist bestenfalls aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.

Unklar ist zudem, was die neue Regierung unter „Schulautonomie“ genau versteht. Dass die bisherigen Strukturen mit einem Direktor an der Spitze nicht ausreichen, um Riesenschulen von 1 200 Schülern und mehr zu lenken und insbesondere zu verbessern, ist eigentlich eine Binsenweisheit. Die meisten Lyzeen versuchen schon länger, mittels Fachschafts-Leitungen, Steuerungskomitees und Koordinatoren ihre pädagogisch-didaktische Entwicklung besser zu steuern. Sollen, wie es im Koalitionsprogramm steht, die Schulen in ihrer Eigenverantwortung gestärkt werden, schärfere Profile entwickeln und so das Schulangebot insgesamt vielfältiger werden, wird der neue Minister nicht umhinkommen, diese Architektur auch gesetzlich zu klären. Im Land-Gespräch bestätigte Claude Meisch die Notwendigkeit – bleibt abzuwarten, wie die Gewerkschaften und die Lehrervertreter darauf reagieren werden: Sie waren strikt gegen Zwischenstrukturen und hatten stets darauf gepocht, eine professionelle Schulentwicklung könne man mit den vorhandenen Strukturen wie Schulrat und Lehrerkomitees organisieren.

Mindestens so kniffelig dürfte das Vorhaben der neuen Regierung werden, die Sprachenpolitik und den Sprachenunterricht zu überdenken. Obwohl die Universität Luxemburg kürzlich ihren zehnten Geburtstag feierte und, von Beginn an, Mehrsprachigkeit als eines ihrer Ziele proklamiert und als Markenzeichen stilisiert hat: Die Erziehungswissenschaften sind, was die Sprachendidaktik und die Linguistik angeht, recht schwach aufgestellt. Einige Sprachforscher kennen das Luxemburger Schulsystem erst wenige Jahre (wenn überhaupt), es wird viel zur Sprachenpolitik im Land geforscht, weniger aber über Inhalte und Methoden für einen adäquaten (Mehr-)Sprachenunterricht. Die wenigen Untersuchungen und Materialien, die existieren, beschränken sich oft auf die Grundschule und sind überdies der Öffentlichkeit, und nicht zuletzt den Luxemburger Lehrern, kaum bekannt. Experten hoffen zwar, dass mit dem Zusammenführen der Ressorts Hochschule und Bildung überfällige Brücken zwischen Theorie und Praxis gebaut werden können, aber bis es eine hochwertige Spracherwerbsforschung gibt, die konkreten Einfluss auf die Unterrichtspraxis hat, werden, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch Jahre vergehen.

Von den Kosten gar nicht zu reden. Innovation, auch die pädagogisch-didaktische, gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn erfahrene Köpfe neue Lehrpläne und Schulmaterialien entwickeln sollen, wird das dem Staat einige Summen kosten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Finanzinspektion bei den Lehrerfreistellungen seit Jahren zur Drosselung mahnt, keine einfache Aufgabe. Zumal nicht gesagt ist, dass das Geld sogleich gut investiert ist. Die Kompetenzraster für die Grundschule wurden mit viel Aufwand von Lehrern ausgearbeitet. Deren methodologische Kompetenz stößt jedoch an Grenzen, weshalb oft, und sei es begleitend, doch auf ausländische Experten zurückgegriffen werden muss. Das war auch ein Problem bei der Konzeptualisierung der Berufsbildungsreform. Ein Dilemma, mit dem noch jeder Schulminister konfrontiert war – egal, welche politische Farbe er oder sie hatte.

Teilweise hat das Ministerium begonnen, diese Expertise aufzubauen. Vor allem in den Grundschulen ist diesbezüglich über Weiterbildung viel geschehen. Ausgebildete Instituteurs-ressource versuchen, den Schulen, die neue Wege gehen wollen, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. In den Sekundarschulen ist man davon weit entfernt. Dort sind die Herausforderung noch größer, ist die Lage noch komplizierter, weil die Lehrer im Ausland lediglich in der jeweiligen Fachdisziplin ausgebildet werden, und sie, zurück in Luxemburg, in einem Crashkurs erst das pädagogisch-didaktische Rüstzeug nachgeliefert bekommen. Angesichts der zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft ist der Ansatz völlig unzureichend.

Um einen besseren Sprachenunterricht oder Förderkurse anzubieten, brauchen Schulen genügend finanziellen und personellen Spielraum. Der Druck auf Personal- und Funktionskosten sei dieses Jahr „noch einmal gestiegen“, erklärt Meisch. Zehn Prozent Funktionskosten sollen die Schulen für den Haushalt 2014/2015 einsparen, was viele an die Grenzen des Machbaren bringt. „Bei einigen Schulen ist das Budget extrem ausgereizt“, bestätigt Meisch eine frühere Land-Information (d‘Land vom 10.1.). Er und seine Beamten hätten „Pisten identifiziert“, wo der Rotstift angesetzt werden könne. Welche das konkret sind, sagt er nicht, seine Kalkulationen müssen noch durch die Finanzinspektion. Land-Informationen nach könnte es sich um Bereiche wie die Erwachsenenbildung und Weiterbildung gehen, an der womöglich die Sozialpartner künftig stärker beteiligt werden könnten. In diesem Punkt bleibt Meisch auch auf Nachfrage vage: „Wir werden prüfen müssen, ob und wie die staatliche Subventionspolitik zu verändern ist.“ Illusionen macht sich der gelernte Bankangestellte keine: „Die Einsparungen, die wir erreichen, werden durch den großen Personalbedarf sicherlich wieder aufgezehrt.“

Ines Kurschat
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