Viel Platz, den Rotstift anzusetzen, hat der Schulminister nicht. Wenn er die Projekte im Regierungsprogramm umsetzen will

Teures Sparen

d'Lëtzebuerger Land vom 10.01.2014

Nicht mit einer Pressemitteilung, sondern als kleinen Hinweis im hauseigenen Newsletter vom Dezember 2013 veröffentlichte das Unterrichtsministerium die aktuelle Analyse über die Kosten des Luxemburger Schulsystems. Demzufolge investierten Staat und Gemeinden im Jahr 2011 über anderthalb Milliarden Euro in das Luxemburger Schulsystem. Damit steht Luxemburg, in absoluten Zahlen gemessen, an der Spitze der europäischen Länder. Eben diese Lesart haben Gewerkschaften wie der SEW oder die Apess stets beanstandet. Berücksichtigt man die Wirtschaftsleistung, ausgedrückt im Bruttosozialprodukt, relativiert sich die Summe, die das Großherzogtum für Bildung ausgibt – mit 3,8 Prozent des BIP befindet es sich sogar leicht unter dem OECD-Durchschnitt.

Dass das Unterrichtsministerium diese Zahlen nur als herunterzuladendes PDF im Internet liefert, hat wohl auch damit zu tun, dass der neue Minister Claude Meisch (DP) Konfrontationen vorerst vermeiden will. Ohnehin gerade durch chaotische Hinterlassenschaften in der lokalen Differdinger DP, wo Meisch bis vor Kurzem Bürgermeister war, in Bedrängnis, muss sich der Spitzenpolitiker erst noch in sein Riesenministerium von Bildung, Hochschule und Jugend reinfuchsen. Da stören vermeidbare unnötige Scharmützel über Randmeldungen nur.

Trotzdem dürfte das Thema Kosten schon bald auf Meischs Agenda – und der seines liberalen Kollegen, Staatssekretär André Bauler – ganz oben stehen. Nachdem die neue Regierung das Staatsbudget provisorisch erst einmal fortgeschrieben hat, sind die Vorarbeiten für neue Haushaltsberatungen auch in der Aldringer Straße im vollen Gange. Premier Xavier Bettel hatte bei seiner Antrittsrede im Parlament zwar unterstrichen, wie wichtig die Bildung für die Zukunft des Landes sei. Über Kürzungen sprach er nicht. Ähnliche Signale soll Claude Meisch bei internen Besprechungen im Ministerium gegeben haben. Aber dass sich der Liberale die Ausgabenseite seiner Ressorts genauer anschauen muss, steht außer Frage – will er die vielen Projekte im Regierungsabkommen umsetzen und gleichzeitig das Versprechen, 1,5 Milliarden Euro Staatsausgaben einzusparen, nicht gefährden.

Zwei Jahre zuvor hatte seine Vorgängerin, die sozialistische Ministerin Mady Delvaux-Stehres, nachdem sie lange erfolgreich größere Einschnitte im Bildungsbereich verhindern konnte, den Rotstift wegen der tiefgreifenden Folgen der Finanzkrise schließlich doch angesetzt. Die Sekundarschulen wurden angehalten, ihre Funktionskosten um zehn Prozent zu reduzieren. Für die einen war das nicht so problematisch: Nicht wenige Lyzeen hatten sich über die Jahre dank voller Staatskassen und einer großzügigen Ausgabenpolitik ein finanzielles Polster zulegen können. In internen Berichten hatte die Finanzinspektion dieses Hamstern zwar wiederholt angeprangert. Aber erst 2012 war es soweit: Die Lyzeen wurden angewiesen, ihre Gürtel enger zu schnallen.

Für andere bedeutete die Sparmaßnahme einen empfindlichen Einschnitt. Im technischen Lycée Michel Lucius (LTML) beispielsweise wurde der finanzielle Handlungsspielraum deutlich enger: „Wir haben null Reserven“, betont Direktorin Pascale Petry gegenüber dem Land, unterstrich aber zugleich, beim Ministerium „immer ein offenes Ohr“ bei Problemen gefunden zu haben. Zum einen sei das Budget des LTML nie üppig gewesen.Zum anderen führen sich wandelnde Schülerpopulationen mit mehr Einwanderern aus sozial schwachen Schichten gerade bei den technischen Schulen dazu, dass diese verstärkt ärmeren Schülern unter die Arme greifen müssen. Etwa bei Klassenfahrten, wo es sich die Limpertsberger technische Sekundarschule zum Prinzip gemacht hat, „alle Schüler mitzunehmen, auch wenn die Eltern die Reisekosten nicht bezahlen können“.

Auch andere Schulen im Land geben an, ihre finanziellen Reserven seien deutlich geschrumpft respektive weitgehend aufgebraucht. Inwieweit das stimmt oder ob, wie so oft in Luxemburg, auf hohem Niveau gejammert wird, ist für Außenstehende kaum zu beurteilen: Obwohl von Steuergeldern finanziert, müssen die Schulen ihre Etats und ihre Ausgaben nicht öffentlich machen. Auch ein Bereich, wo der Staat künftig mehr Transparenz walten lassen sollte. Nur die Finanzinspektion kennt die Ausgaben der Schulen im Detail.

Dass deren Etats weitere Kürzungen in zehnprozentiger Höhe und mehr hergeben, ist aber schon deshalb unwahrscheinlich, zumindest mittelfristig, weil auch die neue Regierung die Sekundarstufe reformieren will. Raymond Straus, Generalkoordinator im Unterrichtsministerium und dort mit den Finanzen betraut, sagte dem Land: „Es stehen noch Diskussionen an“. Er geht offenbar davon aus, dass es nicht zu tiefen Einschnitten kommen werde: „Der Haushalt kann kaum unter das Niveau von 2013 gehen“. Wenn, wie es im Regierungsabkommen steht, Schulen autonomer werden und Lehrer besser unterrichten sollen, wird das nicht möglich sein, ohne beispielsweise in die Weiterbildung zu investieren. Tatsächlich ist dieser Ausgabenposten in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

Nicht nur hochwertigem gezielte Weiterbildungsangebote sind wichtig, sondern vor allem auch Personalressourcen. Schon jetzt haben viele Schulen Schwierigkeiten, Lehrer für Sonderaufgaben, Konzertationen und Arbeitsgruppen freizustellen, schließlich muss der Unterricht weiterlaufen. Die Freistellungen sind ein weiterer Ausgabenfaktor, den die Finanzkontrolleure in der Vergangenheit besonders im Auge hatten. Will die neue Regierung Ernst machen mit der Sekundarschulreform, aber auch mit ihrem Vorhaben, beispielsweise neue (Luxemburger) didaktische Lehrbücher erstellen zu lassen, die kostenintensive Berufsausbildungsreform anzupassen, ein Modellprojekt für die Alphabetisierung auf Französisch zu starten, oder insbesondere die Frühförderung in den Kindergärten und Maisons relais zu verbessern, wird das unmöglich gehen, ohne Geld in die Hand zu nehmen. Wie aber diese Mehrausgaben finanzieren? Dazu schweigt sich das Regierungsprogramm aus.

Der Lehrermangel ist ein Dauerbrenner, den Meisch von seiner Vorgängerin geerbt hat – und der heute nicht weniger dringlich ist. Zum einen ist die Alterspyramide im Schulwesen so beschaffen, dass in den kommenden Jahren viele ältere Lehrer in Pension gehen werden. Zum anderen wird für die neuen Schulen in Junglinster (soll diesen Sommer mit 300 Schülern starten und dann sukzessive auf 1 200 steigen) und Clierf (voraussichtlich in zwei oder drei Jahren) zusätzliches Lernpersonal gebraucht. Solange das Staatsexamen aber nach den herkömmlichen Regeln funktioniert, wird nicht einmal der dringendste Bedarf gedeckt werden können. Jahr für Jahr bleiben Lehrerposten unbesetzt, weil Anwärter die arg verschulten Prüfungen nicht bestehen. Immerhin hat die blau-rot-grüne Koalition hier Abhilfe versprochen.

Doch selbst wenn auch der neue Minister an diesen strukturellen Defiziten in einer ersten Phase wenig wird ändern können und allein die Personalkosten rund 80 Prozent seines Budgets verschlingen: Es könnte Sinn machen, die Investitionen in die Schulbildung und die inhaltlichen Schwerpunkte zu hinterfragen.

Die Kostenanalyse des Ministeriums weist die Ausgaben für die schulische Ausbildung aus: Demnach lagen sie für einen Grundschüler im Jahr 2011 durchschnittlich bei 19 695 Euro, bei einem Classique-Schüler bei durchschnittlich 15 429 Euro und bei einem Technique-Schüler bei rund 16 763 Euro. Eine Grundschullaufbahn, also vom ersten Zyklus bis zum Ende des vierten Zyklus, kostete pro Schüler rund 177 255 Euro. Im Idealfall: Weil viele Jungen und auch Mädchen wegen schwacher Leistungen nicht versetzt werden, sondern die Klasse wiederholen müssen, steigt der Preis für ihre Ausbildung. Und zwar je nach Schulzweig um 1,3 (ES) bis sieben (13e Technique) respektive knapp acht Prozent (im CATP). Mit etwas Mühe kann man sich ausrechnen, wie viele Millionen diese Bildungsmisere den Luxemburger Steuerzahlern alljährlich kostet – Luxemburg ist der EU-Staat mit der höchsten Sitzenbleiberquote. In Projekten wie der Schule der zweiten Chance können schwache Schüler und Schulabbrecher die Lerndefizite vielleicht wettmachen, aber eben verspätet und zu einem teuren Preis. Besser wäre es, Lernschwächen schon früh zu detektieren und ihnen frühzeitig zu begegnen – um derartige Folgekosten zu vermeiden.

Im Unterrichtsministerium ist man sich dessen schon länger bewusst. Das war auch der Grund, weshalb Vorgängerin Mady Delvaux-Stehres die Bekämpfung des Retard scolaire in ihrer Amtszeit stets betont hatte. Freilich, wirklich eingeschränkt hat sie die ausufernde Praxis der Nicht-Versetzungen nicht. Ihr Entwurf für eine reformierte Sekundarstufe sah ausdrücklich die Möglichkeit vor, nach den ersten zwei Jahren Sekundarschule – bei schwachen Leistungen – in einer besonders betreuten „Classe de raccordement“ entgangenen Lernstoff aufzuholen. Die neue Regierung hat angekündigt, den Text gründlich zu studieren und ihn gegebenenfalls nachzubessern. Es ist aber schon jetzt davon auszugehen, dass der Förderbedarf in den Sekundar- wie in den Primärschulen aufgrund der Zuwanderung und der wachsenden Heterogenität der Schülerschaft eher noch zunehmen wird – und damit die Kosten für die Ausbildung, die wiederum die Allgemeinheit trägt.

Man kann die Sache freilich anders sehen – und die Rechnung einmal umdrehen. Denn eine schlechte Schule, die immer mehr Bildungsverlierer produziert und der es nicht gelingt, Jungen und Mädchen unterschiedlicher Herkunft zu integrieren und gut auszubilden, verursacht nicht unwesentliche Folgekosten, die allerdings im seltensten Fall beziffert werden: durch Arbeitslosigkeit, durch vergeudetes Talent und ergo entgangene Wirtschaftsleistungen, durch frustrierte, wenig kreative Köpfe, aber auch durch Kriminalität, wenn Bildungsverlierer auf die falsche Bahn geraten. Darauf weisen inzwischen sogar wirtschaftsliberale Thinktanks und Lobbygruppen wie die Bertelsmannstiftung hin, die in Deutschland kürzlich eine Studie zu den Folgekosten unterlassener Bildungsinvestitionen veröffentlichte. Freilich mit dem Hintergedanken, dass diese vermieden werden sollen – um später für den Wirtschaftsstandort bessere Rendite zu erzielen. Das dürfte doch ganz nach dem Geschmack einer liberalen blau-rot-grünen Koalition sein.

Ines Kurschat
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