An einem Dienstagmittag im Oktober driften einige Schwimmer/innen im Saunabereich-Becken des Mondorfer Wellnessbades. Der Himmel ist grau, die Touristen werden weniger. Alle tragen Badehose oder Badeanzug: Seit etwa 15 Jahren darf man in Mondorf nicht mehr nackt baden. „Das ist unter anderem eine Reaktion darauf, dass viele Franzosen aufgrund der Nacktheit nicht zu uns kommen wollten“, erklärt Marie-Anne François, Kommunikationsbeauftragte der Thermen. Die Grenze zum Hexagon liegt direkt in der Ortschaft. Vincent Walter, selber Franzose, hat sich dagegen daran gewöhnt. Er arbeitet seit zehn Jahren in Mondorf und verantwortet den Wellnessbereich, sitzt in Fitnesskleidung am Tisch der Frucht-Bar. Was sind die Motivationen der Menschen, die herkommen? Die Menschen achten vermehrt auf ihre Gesundheit, antwortet er.
„Wir sind kein FKK-Raum“, sagt Vincent Walter, „sondern ein textilfreier Raum“: In der Sauna ist jeder nackt, kann sich auch nackt zur Dusche bewegen. Danach ist man gebeten, seinen Bademantel, einen Badeanzug oder ein Badetuch anzuziehen. Nackiges Sonnenbaden auf den Liegen ist untersagt. In Mondorf gibt es eine sogenannte Anfänger-Sauna für all jene, denen Dutzende fremder Genitalien zu viel sind: In der auf 65 Grad geheizten Sauna Textiili müssen alle ihre „privaten Körperteile“ bedeckt behalten. Vincent Walter erzählt, es sei schon vorgekommen, dass Frauen ohne Bikini-Oberteil baden wollten. Sie hätten gefragt, warum Männer denn oben ohne schwimmen dürften. Auf eine feministische Diskussion lässt Walter sich nicht ein. Er verweist die Frauen stattdessen auf die Hausordnung.
Menschen kommen nackt auf die Welt, dann fangen sie an, Kleider anzuziehen. Nicht nur, weil es manchmal kalt ist, sondern auch, weil Nacktheit gesellschaftlich normiert ist. Es ist mehr oder weniger klar, wann und wo man sich entblößen darf. Personen, die sich im Museum oder im Supermarkt ausziehen, sind Exhibitionisten und werden bestraft. Wie Menschen sich allgemein in und zu ihrem nackten Körper verhalten, ob er schambehaftet ist oder nicht, ist tief kulturell und zum Teil religiös verankert. Als Adam und Eva sich ihrer Entblößung bewusst wurden, empfanden sie plötzlich Scham: Die Feigenblätter wurden kurzerhand vor die Genitalien gehängt.
In der Sauna, die ihre Ursprünge mit großer Wahrscheinlichkeit vor 10 000 Jahren im heutigen Finnland hatte, ist Nacktsein nicht nur erwünscht, sondern erforderlich. Die erste Sauna soll ein großes Loch im Boden gewesen sein, in das Steine gelegt wurden und auf dem ein Feuer angezündet wurde. Anschließend wurde Reisig oder Stroh darauf gepackt, Wasser auf die Steine gegossen, und man erhitzte sich am Dampf. Das Wort Sauna soll von soudnje (Loch im Boden) abstammen, einer Vokabel aus der Sprache der indigenen Sámi, der Lappländer. Die Sauna war im Norden Europas ein heidnischer Ort der Gemeinschaft, an dem auch wichtige Rituale bei Lebensübergängen stattfanden, etwa zur Geburt oder bei Todesfällen. Sowohl in islamischen Kulturen als auch im indigenen Mexiko oder in Japan schwitzen Menschen seit jeher gemeinsam vor sich hin, motiviert von der Pause im Alltag, aber auch vom Versprechen eines stärkeren Immunsystems, gesundheitsfördernder Entgiftung und Entspannung. Für Aufgüsse, also der Zeremonie mit ätherischen Ölen, gibt es mittlerweile eine Weltmeisterschaft. In Finnland sind mehr Saunas als Autos; seit 2020 ist die finnische Saunakultur Teil des Immateriellen Welterbes der Unesco.
Nackt ist man in der Sauna nicht nur aus hygienischen Gründen – in Ländern wie Großbritannien und Frankreich wird die Hygiene der Zurückhaltung geopfert und der Badeanzug bleibt an –, sondern auch als symbolische Geste: Alles Unnütze lässt der Mensch damit vor dem Baderitual los. Das Christentum war sowohl von Heiden als auch von Nacktheit wenig angetan. Im 18. Jahrhundert kam die Sauna aus der Mode, bis sie im späten 19. Jahrhundert neuen Aufschwung erfuhr: Der erste FKK-Verein wurde 1893 In Essen gegründet. Die in Deutschland großen Anklang findende Freikörperkultur hatte im Sinn, die Gesellschaft über den Körper zu reformieren, und widersetzte sich prüder Kleinbürgerlichkeit.
In Luxemburg gibt es mittlerweile in jeder Ecke des Landes Saunen. Im Norden haben sich sogar ein paar wenige private Sauna-Spas entwickelt, deren Miete für zwei Stunden mit 175 Euro zu Buche schlägt. Die Nachfrage nach Wellness und Abschalten ist im Zeitalter des self-care groß. Bereits 1953 baute sich das Hotel Voelker-Klein in Neudorf und in Niederwampach eine Gästesauna ins Haus. „Alle Räumlichkeiten sind möglichst praktisch und anheimelnd gehalten, da das seelische Moment bei der Heilkur eine große Rolle spielt. Der Entkleidungsraum ist absichtlich niedrig, mit abgerundeter Decke, um die Besucher abzulenken und sich mit sich selbst zu beschäftigen“, hielt das Wort die Eröffnung in der Hauptstadt fest. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurden Saunen auch hierzulande zunehmend gesellschaftsfähig. 1962 eröffnete die erste in Esch/Alzette, 1968 eine in Düdelingen. Damals waren sie noch nach Geschlechtern getrennt, gemischtes Saunieren war kaum erlaubt. 1969, als das Bonneweger Schwimmbad errichtet wurde, wurde auch dort eine Sauna integriert. 1974 eröffnete in Bonneweg-Verlorenkost die „Sauna Therm“ in einem Gebäude des Architekten Paul Retter. (Damals wurden noch Pfarrer zu Eröffnungen von Sportstätten eingeladen, die den „Segen Gottes“ auf die Thermen herab riefen.) Die Luxemburger kamen auf den Geschmack. „Eine wahre Schwitzbadmanie hat die Luxemburger ergriffen“, schrieb die Revue 1975. Etwas später, 1980, wurde der erste (und einzige) Naturistenverband hierzulande gegründet. Das katholische Großherzogtum fand zu neuen Freiheiten.
Im Schwimmbad in Bonneweg sitzen der Verantwortliche Romain Post und die Bademeister Carlo Rueda und Mylène Giusti am Ruhetag vor den leeren Saunen. Carlo Rueda ist tätowiert und trägt Ziegenbart. „D’Leit komme, fir de ganze Knascht erauszeschweessen.“ Ebenso wie in der Badanstalt gibt es auch in Bonneweg neben Frauen- auch exklusive Männerzeiten. „Wir finden es sehr wichtig, Gleichheit sicherzustellen. Es gibt eine klare Nachfrage dafür“, sagt Romain Post. Neben Männerrunden, die einfach gerne unter sich seien, sei nicht unbekannt, dass der Ort an bestimmten Tagen ein Treffpunkt für homosexuelle Begegnungen sei. Letztens sei es während den Männerzeiten zu einer Situation gekommen, in der ein Mann in der Sauna festgenommen wurde, weil er jemanden anderen sexuell bedrängen wollte. „Es war mir wichtig, das nicht diskret zu machen, um zu zeigen, das es hier null Toleranz für solches Verhalten gibt.“ Die Handschellen wurden noch in der Sauna angelegt. Romain Post erklärt, in dieser Art wäre das bisher noch nie vorgekommen.
Heute gibt es in den meisten Saunen Frauentage. Allein die Pidal in Walferdingen elaboriert eine damit einhergehende Philosophie auf ihrer Homepage dazu: Der Frauentag „répond à une véritable nécessité sociale et psychologique (…) pour célébrer ensemble toutes les facettes de la féminité dans un cadre respectueux et bienveillant.“ Das passt nicht allen. Drei Männer mit Langzeit-Abo zogen vergangenes Jahr vor das Friedensgericht, da sie es nicht aushalten konnten, dass ihnen donnerstags der Saunagang in die Pidal aufgrund ihres Geschlechts verwehrt wurde. Sie wollten den Frauentag abschaffen und verlangten pro Person 1 000 Euro Schadenersatz vom Schwimmbad. Die Richterin urteilte, das Schwimmbad könne dieses Angebot weiterführen. Der Vorfall zeugt nicht nur von beispielloser Kleinlichkeit, sondern vor allem von der Wichtigkeit dieser Schutzräume für Frauen und davon, dass die Dominanz von Männern über Frauen kein Relikt der Vergangenheit ist.
Carlo Rueda redet die Gender-Dimension klein. Die Atmosphäre sei entspannter, wenn gemischt sauniert wird, meint er. „Wenn hier drei Frauen sitzen und ein Schönling duschen geht, kann ich die Taschentücher auch auf den Tisch stellen.“ Und nach einem Frauentag habe man auch mal einen Dildo im Spind gefunden.
Dass manche lediglich zu gemischten Zeiten kommen, um andere, meist weibliche Körper anzugaffen, ist den meisten Saunagänger/innen bekannt. Schwer zu sagen, ob Pornografie, die heutzutage einen Klick entfernt ist, solches Verhalten eher begünstigt oder limitiert. Die Fälle, in denen man Menschen aufgrund von sexuellem Verhalten Hausverbot erteilt hätte, ließen sich im letzten Jahrzehnt an einer Hand abzählen, sagt Vincent Walter in Mondorf. Es seien meist Menschen, die ein Dauer-Abo hätten. Sie haben sich sexuell verhalten oder sind etwa anderen Gästen systematisch gefolgt. Sie dürfen nicht mehr wiederkommen, das ist mehr oder weniger Usus in allen Saunen. Serge Steinmetz, Verantwortlicher der Pidal, sagt, beim Austausch untereinander werde festgestellt, dass dieselben Besucher es nach und nach in verschiedenen Saunen versuchen. Wird man aus der Badanstalt oder in Bonneweg rausgeschmissen, gilt das Hausverbot in der gesamten Hauptstadt für ein Jahr.
Eine Frau berichtet von Männern, die warten, bis man zu zweit in der Saunakabine ist, dann anfangen zu starren, eine Erektion bekommen und sich anfassen. Da Frauen eher sozialisiert werden, solche Geschehnisse nicht zu verbalisieren, sondern sie vermehrt beschämt nach innen zu wenden, kommt es nicht immer zu Meldungen. Andere Frauen erzählen, dass sie erst gar nicht mehr hingehen, wenn gemischt sauniert wird. Oder nur noch mit ihrem Partner, weil sie sich dann sicherer fühlen. Dass Männer sich im Wellnessbereich, also in der Sauna oder auf der Toilette, angefasst oder masturbiert hätten. Freud bezeichnete Scham in misogyner Manier als „exquisit weibliche Eigenschaft“, deren „ursprüngliche Absicht“ es sei, „den Defekt der Genitale zu verdecken“. An Scham fehlt es dem falschen Geschlecht an der falschen Stelle.
Ob man den nackten Körper mit Sexualität gleichsetzt, ist neben Kultur und Erziehung auch eine Frage von einem gewissen Grad an Reife und Etikette. „Wir sind sehr wachsam, was das angeht. Wir wollen das Problem im Keim ersticken, aber natürlich können wir nicht alles vermeiden“, erklärt Marie-Anne François. Auch Carlo Rueda geht davon aus, dass die Dunkelziffer hoch ist. Trotz regelmäßiger Kontrollgänge könnten Dinge passieren. „Es gibt immer welche, die durchs Netz fallen. Aber man darf das nicht durchgehen lassen, sondern muss reagieren“, sagt Vincent Walter. „Ich finde es sehr wichtig, direkt einzugreifen, weil das die anderen Anwesenden bestärkt und ihnen Vertrauen gibt“, fügt Mylène Giusti hinzu. Die Personen sollen auf die Unterstützung des Personals zählen können.
Dabei gibt es eine klare Etikette, die Romain Post zusammenfasst. Er sei schon als kleiner Junge mit in die Sauna gegangen, sei damit aufgewachsen. „Wenn jemand reinkommt, schaut man hoch, dann schaut man wieder weg.“ Auf diesen gemeinsamen Nenner, einfach gemeinsam zu existieren, können nicht alle sich einigen. Der Mensch bleibt Mensch, manchmal regen sich die Nerven, sagt Carlo Rueda. Er habe kein Problem damit, jemandem vor allen anderen eine kalte Dusche zu empfehlen. Serge Steinmetz erklärt, Männer, die unfreiwillig erregt würden, würden sich völlig anders verhalten und peinlich berührt die Sauna verlassen. Solche Fälle sind ihm nicht bekannt.
Im kleinen Luxemburg treffen viele Nationalitäten aufeinander, die alle ihre Eigenheiten haben, was Nacktsein angeht. Die Familiensauna, wie sie in Deutschland und in Skandinavien praktiziert wird, gibt es in dieser Form in Luxemburg nicht. Die Franzosen sind es nicht gewohnt, dass in Schwimmbädern die Badehosen zum Duschen ausgezogen werden, der sogenannte „nu intégral“. Im Schwimmbad in Bonneweg darf man das. „Wenn jemand sich darüber beschwert, und das tun manche, erklären wir, dass es sowohl Einzelduschen als auch Sammelduschen gibt“, sagt Carlo Rueda. Armand Ceolin, Sekretär des Naturistenverbands, erklärt dieses Verhalten zur Hypokrisie: „In Frankreich gibt es die meisten Naturisten-Campingplätze, aber nackt im Schwimmbad zu duschen oder in die Sauna zu gehen ist nicht möglich.“ Der Verein hat mittlerweile 350 Mitglieder, ein Viertel davon ist im Bildungssektor tätig. Er verfügt über ein Areal von vier Hektar, auf dem Mitglieder nackt Boule spielen, Bogenschießen und schwimmen gehen können. „Wenn ich Interessenten erkläre, was Naturismus ist, nämlich ein familienorientiertes gemeinsames Nacktsein im Respekt vor der Natur, in dem sexuelles Verhalten strikt verboten ist, ist die Hälfte nicht mehr interessiert“, sagt Armand Ceolin. Die Frauen im Verein hätten eine „Evolution“ mitgemacht und seien im Reinen mit ihrem Körper, die Männer auch. „Es braucht eine gewisse Zeit, bis man sich bewusst ist, dass Nacktheit etwas Normales ist. Manche Menschen brauchen Jahre, andere ein ganzes Leben, andere wissen es schon mit zwanzig: Dass ich weder etwas habe, für das ich mich schämen muss, noch etwas, auf das ich stolz sein muss.“
In Bonneweg macht man sich derweilen Gedanken über die Infrastruktur und wie sie den Menschen entgegenkommt. Der Tisch mit Stühlen vor den Duschen führe dazu, dass man sich beim Waschen wie „auf dem Präsentierteller“ fühle. Stattdessen soll eventuell ein Paravent hinkommen, der mehr Privatsphäre garantiert.