Das Ganze, nimm! würg!, alles von vorne, noch mal! Und noch mal. Und noch mal. Noch mal im Schnelldurchlauf, noch mal widerkäuen bis zum Erbrechen, das zum unvermeidlichen unverdaulichen Jahreswechsel-Menu Zusammengestampfte! Noch mal Sitzengebliebene, die alles wiederholen muss. Noch mal Gefangene in der Zeitschleife, noch mal Karma-Idiotin. Wieder auf Los!
Zumindest für die, die so oldschool sind, dass sie noch in den klassischen Medien abhängen. Wie sollen sie der jährlichen Verwurstung der alten News, Highlights und Tragödien nennt man solche Pot-Pourris, entgehen, die man ihnen unter die Nase reibt? Erinnert euch! Vor den Austern erinnert euch! Z.B. an die Krönung eines neuen Königs, der immer schon da war. Daran, wie wackelig unsere Erde ist und wo und wie sie das wieder demonstriert hat. Die ewigen Bilder von Menschen, die zwischen Betonriegeln herumbuddeln und dann der prähistorische Schrecken, wenn die Bagger anrollen. Leider ist unsere Erde nicht mehr zuverlässig unfair, unsere Loge wackelt auch schon aus der wir so interessiert zuschauten, wie dünne Menschen durch die Wasser waten.
Nicht mal mehr bei den Kriegen gibt es Abstand. Alles rückt uns auf die Pelle, alles geht nah. Die beiden Kriege, die einander derzeit Konkurrenz machen. In dem einen, der derzeit der Aufmerksamkeits-Loser ist, werden hohe Verluste bei Soldaten wie auch bei Material verzeichnet, wie bei ORF-News zu lesen war. Bei dem andern, der derzeit die meisten Klicks hat, gibt es unverhältnismäßig viele verhältnismäßige Tote, sie werden täglich gezählt. Wenn es dazu auch unterschiedliche Messverfahren und Interpretationen gibt.
Die Kriege werden natürlich auch sozialmedial ausgefochten, sozialmedial wird mittlerweile so ziemlich alles zum Krieg. Jede kann ein bisschen mitkämpfen, es ist ein Gesellschaftsspiel, das, wie es heißt, die Gesellschaft spaltet. Jede kann sich positionieren und im Stellungskrieg Stellung beziehen, bis sie auf einmal staunend in einer Ecke steht oder gar an einem Pranger. Besser, sie räumt die Stellung. Besser, sie postet weise nur noch Schneemänner* und Kunst von unverfänglichen Kollektiven.
Im Reich der Smiley-Scheichs, wo die große Klima-Party über die Weltbühne ging, gehen ein paar Gedenksekunden an die Eilande im Stillen Ozean. Marine le Pen trägt feministisches Barbie-Rosa.
Auch Luxemburg zieht in den Kampf. Nicht gegen die Armut, wird versichert. Nur gegen ihre Verkörperung. Das im cleanen Licht seiner Bürobuildings transparent wie auf Röntgen-Aufnahmen erstrahlende Luxemburg will nicht mehr von diesen unattraktiven Verkörperungen heimgesucht werden. Diesen Elendshäufchen, die einer den Weg beim Vorbeistöckeln versperren.
Zum Schluss bei den Jahresrückblenden, das ist Tradition, meist zu einer verträumten Musik, kommt immer die Galerie der Toten des Jahres. Julian Assange ist nicht dabei. Also lebt er wohl noch. Julian Home for Christmas! hieß die Kampagne letztes Jahr. Das ist ein Jahr her. Dann ist Schluss mit Schluss, und der gemütliche Teil kommt, mit Sissi und Kevin zuhaus.
Dann wird sich weggebombt, immer noch oder gerade jetzt, und ein gnädiger Alk-Schleier liegt über der Zukunft, über dem morgigen Tag, und die Menschen prosten einander zu und mögen sich sehr. Wenn auch nur kurz. Aber immerhin. Und wie jedes Jahr sagen sie Tschüss zu dem alten, es kann jetzt gehen, es soll jetzt gehen, es war schrecklich, ein schreckliches altes Jahr, und haben so ein kindisches, zaghaftes, lächerliches Hoffen. Wie jedes Jahr.
Vielleicht sogar noch mehr. Vielleicht sogar erst recht. Weil was sonst? In all dem Dunkel und der Verwirrung.
Und dann, nur eine Anregung, stapfen sie stoisch durch vom Regen vollgesogene Wiesen. Rezitieren sich Mut-Mantras. Gute Vor-Sätze. Step by step, sich selber zuflüstern, so ein Großmutter-Sinnspruch von Facebook, gar nicht so schlecht. Besser als Dalai Lama, wo ist der eigentlich geblieben? Lesen Bücher über Resilienz. Lyrik, noch besser. Und sind nett zueinander. Möglichst.