Mit dem Politzirkus und den Medien kam Carole Dieschbourg nie wirklich zurecht

Irgendwie zu gut

d'Lëtzebuerger Land vom 29.04.2022

Als sie ging, soll im Umweltministerium manche Träne geflossen sein. Sei es, weil Carole Dieschbourgs Rücktritt so unerwartet kam, sei es wegen ihrer Art, das Ministerium zu führen. Schon bald nach ihrem Amtsantritt in der ersten DP-LSAP-Grüne-Regierung rief sie alle Beamtinnen und Mitarbeiter der Reihe nach zu sich und fragte, was sich an der täglichen Arbeit verbessern lasse. Diesen Führungsstil hatte sie sich als Chefin des Echternacher Familienbetriebs angewöhnt.

Derart kooperativ stellte sie sich auch den Politikbetrieb vor. Ohne Taktieren und ohne Arglist, stattdessen auf Ziele gerichtet, auf gute Ziele. Was könnte Umweltschutz sonst sein?

Im Rückblick kann man diese Haltung nicht nur nobel, sondern auch naiv nennen. Denn der Politikbetrieb funktioniert nicht so, der Medienbetrieb ebenfalls nicht. Ihre erste Amtszeit als Ministerin meisterte Carole Dieschbourg gut. Unter ihrem „Mentor“ Camille Gira (wie sie den ihr als Coach beigeordneten Staatssekretär selber nannte), wuchs die fleißige Quereinsteigerin mit dem weiten intellektuellen Horizont nach und nach auch zur Politikerin. Nach Giras unerwartetem Tod bewies sie, dass sie auch alleine konnte. Oder mit noch ein bisschen Unterstützung. Im Vor-Wahlkampf 2018 machte nicht zuletzt sie Front gegen die Industrieprojekte Fage und Knauf, doch François Bausch half dabei. Immerhin ging es gegen Vorhaben von LSAP-Vizepremier und Wirtschaftsminister Etienne Schneider. Abgesehen von diesem großen strategischen Manöver, das den Grünen bei den Wahlen Kontur für ein „nachhaltiges“ Wachstum und eine „nachhaltige“ Industrie geben sollte, lieferte Dieschbourg schon bis 2018 ein beachtliches Pensum ab. Unter ihrer Leitung entstanden in Luxemburg Trinkwasserschutzgebiete – über das eine und einzige um den Stausee hinaus, das seit 1961 existiert. Dafür, und auch für eine große Reform des Naturschutzgesetzes, schaffte sie den Ausgleich mit der Landwirtschaft. In vielen Verhandlungen, wo tatsächlich auf „gute“ Ziele hingearbeitet wurde. Als Luxemburg im zweiten Halbjahr 2015 die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, koordinierte Dieschbourg beim Pariser Klimagipfel die Verhandlungsposition der EU. Dafür wurde sie international gelobt; der Korrespondent des Spiegel war beeindruckt von ihr und schrieb das auch.

In der zweiten Amtszeit wurden die politischen Bedingungen andere. Vor allem entdeckte die CSV, die ihre Rückkehr an die Macht verpasst hatte, die Umweltpolitik als Zielscheibe für eine Oppositionsarbeit, die den Interessen „der Menschen“ dienen sollte. Die Regierung wusste selber, dass die Klimaschutzziele im Koalitionsvertrag Konflitpotenzial bargen, denn sie reichten weiter als die EU-Lastenteilung damals von Luxemburg erwartete; was ein politisches Zugeständnis von DP und LSAP an die Grünen war, deren Zugewinne bei den Wahlen die Fortsetzung der Koalition ermöglicht hatten. Die Gilets jaunes bedenkend, begannen auch die Grünen davon zu sprechen, wie ernst sie den sozialen Aspekt des Klimaschutzes nähmen. Die CSV nahm sich vor zu beweisen, dass dennoch alles grüne Ideologie sei. Im Parlament äußerte sich zu Ökologischem nicht mehr der frühere Méco-Aktivist und Ex-Umweltminister Marco Schank, sondern der gar nicht „grüne“, aber sehr eloquente und raffinierte Finanzexperte Gilles Roth.

Das war der Kontext, in dem sich ab Sommer 2019 die Gaardenhaischen-Affäre entwickelte, von deren fallout Carole Dieschbourg sich nie mehr freimachen sollte und auf den Anfang 2021 mit der Superdreckskëscht eine weitere folgte. Ganz unabhängig davon, ob der Ex-Ministerin im Zusammenhang mit Roberto Traversinis Bauarbeiten im Naturschutzgebiet Prënzebierg etwas vorzuwerfen ist oder nicht: Es sollte sich zeigen, dass sie nicht strategisch zu kommunizieren verstand. Dass sie Entwicklungen zu lange geschehen ließ, ehe sie sich anschickte, „die Erzählung zu dominieren“, wie das im PR-Jargon heißt. Wofür es dann immer schon zu spät war. Und so musste geradezu kommen, was dann so alles kam. Um Erklärungen zum Gaardenhaischen zu machen, schickte die Ministerin Beamte vor, die sich natürlich nicht politisch äußern konnten. Als in der Abgeordnetenkammer die CSV-Fraktion Michel Wolter, den Ex-Innenminister und eines ihrer beißwütigsten politischen Tiere, gegen Dieschbourg aufbot und er über sie herfiel wie ein Untersuchungsrichter, zeigte sich: Solche Politiker liegen ihr überhaupt nicht. Doch Wolters Auftritte im Oktober 2019 demonstrierten der CSV eindrucksvoll, wo und wie Carole Dieschbourg zu treffen war. In der Auseinandersetzung um die Superdreckskëscht ein gutes Jahr später, als es um Verdächtigungen auf Vetternwirtschaft zwischen dem Chef des Abfallbetriebs und dem damaligen Direktor der Umweltverwaltung ging, zog die CSV ebenfalls alle Register gegen die Ministerin. Weil etwa zeitgleich eine Wirtschaftslobby gegen Carole Dieschbourgs Abfall-Reformpaket aufzubegehren begann, geriet sie nah an die Grenzen des politisch Durchsetzbaren.

Da war es um die Umweltministerin mit der Vorliebe für Sachdiskussionen, die irgendwann im Konsens enden würden, geschehen. Sie begann, Pressekonferenzen zur Schadensbegrenzung zu geben. Interviews über ihre Politik gab sie immer seltener. Ministeriumsintern klagte sie, wie oberflächlich und sensationslüstern die Presse sei. Der letzte politische Schlag, den die Opposition – nicht nur die CSV – ihr versetzte, betraf die Finanzierung der Superdreckskëscht. Dafür gibt es kein Spezialgesetz, wie das die Verfassung wahrscheinlich vorschreibt, denn so klar ist das nicht. LSAP Umweltminister Lucien Lux und CSV-Umweltminister Marco Schank hatten auch keines verabschieden lassen. Carole Dieschbourg aber wurde es angekreidet, weil es aussehen konnte, als habe sie rund um den Betrieb zur Behandlung von Problemabfall noch immer nicht für Ordnung gesorgt.

Mag sein, dass sie bei all dem auch nicht immer gut beraten war. Doch auf ihre Beamten und Mitarbeiterinnen ließ sie nie etwas kommen. Wenn es drauf ankam, verließ sie sich auf deren Rat auch mehr als auf den von François Bausch, wenn dieser sie warnte, dass politische Gefahr drohe. Und den wegen der Superdreckskëscht-Affäre ins Gerede gekommenen Chef der Umweltverwaltung drängte sie nicht zum Rücktritt, sondern handelte mit ihm einen etwas vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand aus. Alles andere werde einem Beamten, der sich jahrzehntelang für die Umwelt eingesetzt hatte, nicht gerecht.

Abgesehen von den Fragen um eine eventuelle Schuld in der Gaardenhaischen-Affäre ist das politische Ende Carole Dieschbourgs tragisch. Bei den Grünen trauen nicht wenige ihr zu, wenn Gaardenhaischen ausgestanden ist, in einer internationalen Organisation Karriere zu machen. Sach- und zielorientierter diskutiert wird dort ja womöglich.

Peter Feist
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