Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks schrieb der Politologe Francis Fukuyama 1992 in einem vielbeachteten Buch, die liberale Demokratie habe sich endgültig durchgesetzt. Es sei nichts weniger als Das Ende der Geschichte. Heute steht aber das chilenische Freilandlabor der modernen Marktwirtschaft neoliberaler Prägung in Flammen. Auch mehrere westliche Demokratien stecken in einer Zerreißprobe. Sogar Meldungen zu Russland schüren im Zeitalter von sozialen Medien, fake news und der gezielten Manipulation demokratischer Wahlen wieder überwunden geglaubte Ängste.
Die angesehene spanische Tageszeitung El País sorgte Ende November mit einigen Artikeln für Aufsehen, wonach der russische Militärgeheimdienst GRU auch Einfluss auf die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen genommen habe, um so Spanien zu spalten und die Demokratie zu schwächen. Nachdem solche Versuche bei den US-amerikanischen Wahlen von 2016 hinreichend belegt sind, gibt es auch in Spanien genügend Indizien, dass die Audiencia Nacional in Madrid formelle Untersuchungen eingeleitet hat.
Zentral in der Untersuchung ist Denis Vyacheslavovich Sergeev, ein hoher Offizier des GRU in der Abteilung 29155 für Einflussnahme im Ausland. Unter falscher Identität sind von ihm zwei Reisen nach Barcelona belegt: Während sechs Tagen ab dem 5. November 2016 und vom 29. September bis zum 9. Oktober 2017, also genau zur Zeit des illegalen Unabhängigkeitsreferendums. Unter gleicher Identität befand er sich vor und nach dem Brexit-Referendum in England, war während zweier Mordanschläge auf einen dortigen Waffenhändler in Bulgarien und wird mit dem Giftgasanschlag auf Sergej Skripal in Verbindung gebracht. Allerdings räumt El País ein, dass laut den Untersuchungen die russischen Spionageaktivitäten nicht mit den katalanischen Separatisten koordiniert waren.
Bereits die konservative Regierung Rajoy hatte vor zwei Jahren den Separatismus mit Verbindungen nach Moskau zu diskreditieren versucht. Auch weil damals trotz massivem Polizeiaufgebot und eigenen Geheimdienstaktivitäten 10 000 Urnen pünktlich in den Wahllokalen standen und immer neue koordinierende Webseiten der Katalanen die spanischen Experten an der Nase herumführten. El País bringt dabei Víctor Terradellas als ominösen Verbindungsmann zwischen Moskau und dem ehemaligen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont ins Spiel. Bereitwillig greift die Süddeutsche diese Geschichte von „Puigdemonts Rasputin“ ebenso auf, wie dessen Verknüpfung mit den katalanischen CDRs.
Jedoch belegen Whatsup-Mitschriften aus einem Gerichtsverfahren, dass Terradellas am Ende kaum noch Einfluss auf Puigdemont hatte und dieser die halbherzige, da nie gewollt rechtswirksame einseitige Unabhängigkeit vor allem wegen des Drucks Tausender Demonstranten vor der „Generalidad“, sowie den linken Koalitionspartnern ERC und CUP erklärte. Insbesondere das rechte spanische Lager versucht, die knapp 400 lokalen und heterogenen „Comités de Defensa de la República“ zu kriminalisieren oder sogar als Terrororganisation einzustufen, um so ihre militanten Aktionen wie die Blockade von wichtigen Zug- und Straßenverbindungen seit dem Urteil gegen katalanische Politiker zu verhindern. Einige von ihnen hatte die nationale Polizei im September mit Plänen und Substanzen zur Sprengstoffherstellung festgenommen.
Am Nationalen Gerichtshoff in Madrid ist mit Manuel García-Castellón derselbe Richter für diese Untersuchungen zuständig, wie auch für jene der russischen Einmischung, und insgesamt für die gewalttätigen Auswüchse in Katalonien. Die Europäische Kommission kritisiert seit Jahren die höheren Gerichte Spaniens dafür, seien anfällig für politische Einflussnahme. Wenn El País dann zwei anonyme Polizeiquellen und eine aus Justizkreisen angibt, und das mit alten Informationen zu Tausenden falschen Nutzerkonten in den sozialen Netzwerken rund um den 1-O kreuzt, die nach Russland und Venezuela verfolgbar seien, schrillen die Alarmglocken.
Einerseits hat El País wie nahezu alle spanischen Zeitungen in der Katalonienkrise deutlich Partei für die spanische Regierung ergriffen. Und hatte laut dem Projekt Transparency Toolkit bereits in früheren Artikeln irreführende Schlussfolgerungen zu russischen Verbindungen publiziert. Andererseits wurde erst im Sommer bekannt, dass zumindest die PP wenig Probleme damit hat, mit gefälschten Dossiers wie der angeblichen finanziellen Unterstützung von Podemos durch Venezuela und den Iran die linke Opposition zu diskreditieren, sowie Journalisten für deren Verbreitung zu bezahlen. Auch früher schon hatte der involvierte ehemalige Innenminister Fernandez Diaz, eine Korruption führender Podemos-Politiker und katalanischer Separatisten zu inszenieren versucht. Was beides im von Korruptionsskandalen geplagten und der Katalonienkrise erschütterten Spanien nicht einmal für großartige Aufregung sorgte.
Diesen Monat wurde dann zwar vor (russischer) Einflussnahme auf die nationalen Wahlen gewarnt, aber bislang keine nachgewiesen. Allerdings nutzten mindestens drei Funktionäre der PP die „russische“ Taktik gefälschter Profile in den sozialen Medien, um als scheinbare Oppositionsanhänger deren Gefolgschaft vom Wahlen abzuhalten. Das Beängstigende am vermuteten russischen Einfluss ist dabei, dass die neue Doktrin von 2014, im (europäischen) Ausland nicht nur heimlich Informationen zu sammeln, sondern auch offener Einfluss zu nehmen, offensichtlich mittlerweile sogar dann die westlichen Demokratien schwächt, wenn die eigene Mission wahrscheinlich keinen nennenswerten Einfluss hatte.