Die aus der Bewegung gegen Zwangsräumungen 2015 zur ersten Bürgermeisterin Barcelonas aufgestiegene Ada Colau resümierte die vierte spanische Wahl in vier Jahren in einem einzigen, fordernden Tweet: „Keine demokratische oder progressive Person kann heute zufrieden sein. Die Rechtsextremen rücken wegen der Unfähigkeit der Linken vor. Pedro, deine Wahlen sind gescheitert. Entweder die Linken bilden eine breite Front, oder wir fahren alle zur Hölle.“ Dabei ist derzeit in keiner anderen europäischen Demokratie die Blockbildung zwischen links und rechts so ausgeprägt. Nicht erst mit der Öffnung des Grabes des 1975 gestorbenen Francisco Franco vor wenigen Wochen taten sich in Spanien Gräben auf. Während zwei Drittel der Spanier die von Premierminister Sánchez vorangetriebene Überführung des Diktators aus dem pompösen „Tal der Gefallenen“ in ein privates Grab befürworten, beschweren sich neun von zehn Anhängern der konservativen Partido Popular, das würde nur wieder alte Wunden aufreißen.
In einem faktischen Zweiparteiensystem sicherten sich diese, respektive die von Franco-Getreuen gegründete Vorgängerpartei, und die Sozialdemokraten der PSOE unter Hilfe von baskischen oder katalanischen Regionalparteien vier Jahrzehnte lang abwechselnd die Macht. Erst durch die Weltwirtschaftskrise kam es mit massiven Protesten gegen eine harte Austeritätspolitik und politische Korruption Anfang 2014 zur Gründung einer dritten großen Partei. Als Reaktion auf die in Umfragen hochschnellenden linken Podemos halfen aufgeschreckte Wirtschaftskreise die katalanische Anti-Separatismus-Partei als liberale Alternative Ciudadanos (C’s) national zu etablieren. Doch verlieren diese am Sonntag 47 ihrer 57 Sitze und ihre daraufhin zurückgetretene Leader-Figur Albert Rivera.
Dieser hatte sich in der dominierenden Katalonien-Frage verfangen. Seit dem Urteilsspruch im Gürtel-Korruptionsskandal und dem folgenden Misstrauensvotum gegen Premier Mariano Rajoy (PP) Mitte 2018 versuchen sich PP, C’s und die rechtsradikale Vox in der Katalonien-Frage gegenseitig rechts zu überholen. Eine Zweierkoalition aus Liberalen und Sozialdemokraten mit einer 180 Stimmen Mehrheit schloss er nach der Wahl im April wegen deren angeblichen Nähe zu den katalanischen Separatisten kategorisch aus. Der liberale Wähler aber fragte sich, warum er eine Partei der Mitte braucht, die die Möglichkeit zum Regieren nicht nutzt. Und wanderte zurück zu der im April abgestürzten PP, aber vor allem der radikalen Vox.
Mit einer gemeinsamen Demonstration gegen den Katalonien-Kurs von Sánchez und regionalen Dreierkoalitionen haben die Liberalen und Konservativen eine Alternative rechts der PP innerhalb eines Jahres erst salonfähig gemacht. Als großer Wahlsieger springt die fremden- und frauenfeindliche Vox von 0,2 Prozent 2016 auf rund 15 Prozent und 52 Abgeordnete. Vor allem diese Gefahr von rechts mobilisierte vom Taktieren frustrierte Wähler, um PSOE und Podemos eine zweite Chance zur Regierungsbildung zu geben. Trotz insgesamt zehn Abgeordneter weniger einigten sich Premier Pedro Sánchez und Pablo Iglesias innerhalb eines Tages auf eine Koalition und selbst der zuvor so umstrittene Vizepremierposten für Podemos war kein Problem mehr. Zur absoluten Mehrheit fehlen jedoch nun 21 der 176 nötigen Stimmen.
Aktuell bleiben zwei Optionen: Entweder unterstützen die derzeit kopflosen zehn C’s mit einigen regionalen Parteien diese progressive Regierung und begrenzen den Einfluss der katalanischen Separatisten. Oder die pragmatischere linke ERC aus Katalonien enthält sich mit ihren 13 Stimmen im zweiten Wahlgang, bei dem das Verhältnis der Ja- zu Neinstimmen zählt, der progressive Block einen Vorsprung von 157 zu 152 Stimmen auf die Rechten hat und sich die restlichen neun Regionalparteien 28 Sitze teilen.
Dabei zeigt sich die Spaltung von Spanien besonders an Katalonien. Während das Urteil zum Procés ohne zurückbehaltene Rebellion oder Gewalt das rechte Lager in Spanien als zu schwach empört, empfinden es viele Katalanen als überharte Rache gegen ihre Regierung. Auch deshalb gewinnen die Separatisten mit der ERC und ihrem zu 13 Jahren Haft verurteilten Chef Oriol Junqueras, den Anti-Kapitalisten der CUP und der rechtskonservativen JxCat eines Carles Puigdemont einen weiteren Sitz auf insgesamt 23. Das zentralistische Lager von PP, C’s und Vox erhält hingegen nur je zwei Sitze. Immerhin ein Drittel der Stimmen oder 19 Sitze für die gemäßigten Positionen der Sozialdemokraten und Podemos zeigen jedoch, dass die Polarisierung innerhalb Kataloniens weniger stark ist, als es der eskalierte Konflikt der vergangenen Jahre vermuten lässt.
Laut ihrem Positionspapier will die wahrscheinliche künftige Regierung das Zusammenleben und eine politische Normalisierung in Katalonien garantieren und den Dialog, sowie das gegenseitige Verständnis im Rahmen der Verfassung verstärken, sowie die Autonomie aller spanischen Regionen verbessern. Bei dem ganzen Fokus auf Katalonien geht meist unter, dass die progressive Regierung in ihrem Programm auch zehn politische Prioritäten aufgestellt hat: Arbeitsplätze, Korruption, Klimawandel, Stärkung der PME und Selbstständiger, Anerkennung von Rechten wie einen würdigen Tod oder die historische Erinnerung, Stärkung von Kultur und Sport, feministische Positionen, Entvölkerung ganzer Landstriche, Steuergerechtigkeit und budgetäre Ausgeglichenheit.
Im Idealfall könnte eine wacklige Minderheitsregierung mit erfolgreicher progressiver Politik und einem Dialog in Katalonien mittelfristig sogar die dortige seltsame Koalition von rechten und linken Separatisten aufbrechen. Und Spanien aus der katalanischen Sackgasse in die politische Normalität führen. Historisch wird das Bündnis von manchen Medien aber bereits jetzt genannt: Erstmals seit 80 Jahren und dem Putsch von Francisco Franco gegen die zweite spanische Republik kommt es in Spanien voraussichtlich zu einer Koalition in der Regierung.