Heute loben wir die zwischenmenschliche Zutraulichkeit. Ja, die Zeiten der sozialen Kälte scheinen überwunden. Die Holiday Inn-Kette bietet in zwei Londoner Hotels, dem Kensington Forum und dem Kingston South, einen neuen Service an, der die Kunden buchstäblich auf Tuchfühlung mit dem Personal bringt. Hotelangestellte im langen Nachthemd, mit spektakulären Wollhandschuhen und einer pompösen Schlafmütze legen sich aufopferungsbereit ein paar Minuten lang in die winterkalten Betten der Gäste, um sie mit ihrer eigenen Körpertemperatur aufzuwärmen. Dann steigen sie wieder aus, und der hocherfreute Gast darf auf sein nunmehr wohltemperiertes Nachtlager hüpfen. Nein, es handelt sich hier weder um einen Witz, noch um eine satirische Kapriole. Wir befinden uns in der kommunikationstechnischen Realität, im Januar 2010.
Natürlich würde eine klassische Wärmeflasche den gleichen Dienst tun. Die Wärmeflasche aber ist ein totes Ding, mit den Hitzequalitäten eines menschlichen Körpers nicht im geringsten zu vergleichen. Das neue Konzept ist revolutionär: von Mensch zu Mensch wird auf direktem Weg Hitze weitergegeben, also Zuwendung, also Leidenschaft und Komplizität. Ist das nicht schön? Irgendwie haben wir die Holiday Inn-Direktion im Verdacht, mit dieser Maßnahme den Grundstein für eine neue Wachstumsbranche zu legen. Bald werden in allen Hotels Bettaufwärmer arbeiten. Ganze Bataillone von Bediensteten im Schlafrock werden sich nach bestem Wissen und Gewissen anstrengen, ihre eigene Energie in die Matratzen fremder Menschen zu pumpen. Lange kann es nicht dauern, bis der Service verfeinert und erweitert wird.
Falls wir demnächst bei Minustemperaturen in London übernachten, möchten wir insofern unsere Eigenständigkeit bewahren, als wir ein Wörtchen mitreden dürfen bei der Auswahl unseres Bettaufheizers. Wir ziehen zum Beispiel bei weitem eine weibliche Assistentin vor. Was sich da unter unserem Linnen räkelt, sollte uns auf keinen Fall egal sein. Grundsätzlich werden wir uns weigern, unser Bett von einem Rechtsradikalen mit Heizkalorien auffüllen zu lassen. Den rechtsradikalen Hotelgästen hingegen sei es unbenommen, sich mit ihresgleichen hitzemäßig zu verbrüdern. Wir allerdings sind da wählerischer und empfindlicher. Eine sozialistische Militantin mit beträchtlicher, weltanschaulicher Hitzeentwicklung wäre uns höchst willkommen. Falls ein solches Modell in Großbritannien überhaupt aufzutreiben ist. Oder sonstwo.
Jedenfalls haben wir uns sofort gefragt, ob diese neue Methode der Annäherung zwischen wildfremden Menschen nicht auch in Luxemburg schnell Schule machen sollte. Hierzulande kennt die hingabevolle Beschäftigung mit Opfern der winterlichen Kälte ja mittlerweile keine Grenzen mehr. Es vergeht praktisch kein Tag, an dem sich nicht Politiker aller Couleur in den Obdachlosenheimen die Klinke in die Hand geben. Unser Kammerpräsident scheut sich nicht, immer wieder in seiner maßgeschneiderten Gockeltracht aufzutauchen und verbalen Trost zu spenden. Weiß er eigentlich, dass längst nicht alle Obdachlosen Zuflucht finden in den Heimen, wo er aufgekratzt und menschenfreundlich zum Fototermin erscheint?
Die realen Hotelbetten der Benachteiligten stehen leider immer noch unter Brücken und in naßkalten Felsspalten, also voll der winterlichen Strenge ausgesetzt. Wäre es nicht logisch, dass unser humanitär hyperaktiver Kammerpräsident auch mal nach dem Holiday Inn-Muster gelegentlich in einen eiskalten Schlafsack oder unter eine improvisierte Decke aus feuchtem Karton kriecht, um seine immense chaleur humaine abzutreten an ein paar Mitbürger am Rande der Lungenentzündung? Der Herr Mosar ist sich ja nachweislich für nichts zu schade. Er muss sein Gockelkostüm ja nicht ausziehen, wenn er zur Wärmeübertragung schreitet, und keiner hat etwas dagegen, wenn er beim Obdachlosenlageraufwärmen den Kopf ein bisschen steif hält, damit seine unfassbar tadellose Frisur keinen Schaden nimmt.
Ja, wir sind uns bewusst, dass hier gleich auch schon die Zweckentfremdung lauert. Die obdachlosenbegeisterten Politiker werden schnell ihre Stippvisiten unter den Brücken nutzen, um ihre eigene publicity zu verankern. Voller Grauen malen wir uns aus, wie diese lebenden Wärmeflaschen die Obdachlosenschlafstätten regelrecht kapern und besetzen, um sich gegenseitig den karitativen Rang abzulaufen. Die zahllosen Fotografen in Reichweite werden gar nicht mehr nachkommen mit dem Ablichten von prominenten Schlafsackparasiten.
Vermutlich wird dieser hitzebeständige politische Zirkus die Obdachlosen in die Flucht schlagen. Sie könnten ja mal bei der Holiday Inn-Kette in London anklopfen. Wir jedenfalls haben nicht das Geringste dagegen, unser Hotelbett von einem Obdachlosen aufwärmen zu lassen. In puncto menschliche Wärme verhält der sich nämlich meist zum Herrn Mosar wie der Bullerofen zum Späizmännchen.