Heute loben wir das Fressen (das bekanntlich immer vor der Moral kommt). In Luxemburg haben Kochbücher Hochkonjunktur. Heillose Optimisten würden sagen: Es wird also wieder massiv gelesen. Die kollektive Flucht in die heimischen Kochnischen hat auch ihr Gutes. Die Verfressenen lesen zwar nur Rezepte, Zutatenlisten, Backanleitungen – aber sie lesen. Eigentlich ist es ja völlig egal, was man liest, denken sich wohl die Kochbuchphilosophen. Hauptsache, es schmeckt.
Leider haben die eigentümlichen Bestsellerlisten, auf denen zuvorderst platziert immer nur Kochbücher erscheinen, einen verheerenden Nebeneffekt: Literatur kommt hier einfach nicht mehr vor. Alles, was mit der Kunst des Schreibens zu tun hat, wird kurzerhand begraben unter einer Lawine aus kulinarischem Buchstabengemüse. Der literarische Text verschwindet sozusagen auf Nimmerwiedersehen in den Küchenabfalleimern.
Zum Glück haben die luxemburgischen Bellettristik-Verlage jetzt reagiert mit dem bestechenden Konzept der eatable books. Die Idee lag eigentlich auf der Hand. Wenn es die Stars der Molekularküche schaffen, Esswaren derart gründlich zu dekonstruieren, dass man weder deren Konsistenz noch deren ursprünglichen Geschmack wiedererkennt, und dann sozusagen aus den Scherben und Krümeln der Speisen wieder abenteuerliche Gebilde zaubern, muss jeder aufmerksame Verleger hellhörig werden. In anderen Worten: Warum müssen Texte unbedingt auf Papier gedruckt werden? Papier ist weder nahrhaft noch besonders gesund. Das Konservieren von Papier ist eine Gratwanderung, in zahllosen Bibliotheksregalen verwittern und zersetzen sich ganze Berge von Druckerzeugnissen. Warum also nicht eher auf ein kulinarisch signifikantes Material zurückgreifen?
Das Weihnachtswunder ist vollbracht: Hierzulande sind die ersten essbaren Bellettristik-Bücher erschienen. Von ihren Vorgängern unterscheiden sie sich in einem wesentlichen Punkt. Man muss sie nicht länger mit den Augen verschlingen, man kann sie Seite für Seite integral aufessen. Hergestellt sind sie aus bekannten Lebensmitteln, zum Beispiel Lëtzebuerger Gromperen. Technisch Unbewanderten sei kurz verraten, wie die neuen Bücher zustande kommen. Die klassisch gekochte Kartoffelmasse wird zerstampft, dann mit Milch und Eidottern verrührt, dann unter Zusatz von CO2 aufgeschäumt, dann auf einer Art Fließband ausgerollt wie ein rasierklingendünner Teig, dann von speziellen Maschinen gewalzt, formatiert und zerschnitten. Was am Ende dabei herauskommt, ähnelt Papierbögen, es ist fast unmöglich, einen Unterschied festzustellen. Nur: dieses „Papier“ schmeckt nach Kartoffeln, weil es eben aus Kartoffeln gewonnen wurde. Die Geschmacksrichtung potato eignet sich hervorragend für Heimatromane, patriotische Kantaten und Kirchenliedersammlungen.
Natürlich kann der Verleger von eatable books nach eigenem Gusto kreativ mit den Würzstufen und Speisenfolgen spielen. Ein Buch muss nicht unbedingt durchgehend nach Kartoffeln schmecken. Handelt es sich um einen Roman, kann zum Beispiel das erste Kapitel safranhaltig sein, das zweite paprikabetont, das dritte wiederum auffällig nach Pistazien duften. Der Buchkonsument liest diese Kapitel nicht nur, er frisst sie reihum weg. Vor jedem Kapitel gibt der Verleger einen kurzen Hinweis, welcher Wein sich zur Lektüre (und anschließenden Verspeisung) empfiehlt. Ist der Roman zu Ende, ist auch das Buch weg. Teure Bücherregale aus Edelholz werden so überflüssig, Platz für zahllose Bücher ist fortan in der kleinsten Hütte.
Das Eatable-books-Verfahren erlaubt zudem, bisher eher schwierige Literaturgattungen so stark aufzuwerten, dass die Werke zu echten Rennern avancieren. Neulich haben wir einen ziemlich esoterischen Lyrikband gelesen, der aber so betörend nach Kalbsnieren in Portweinsauce schmeckte, dass wir sogleich ein zweites und ein drittes Exemplar des gleichen Buches nachgeschoben haben. Uns wundert nur, dass dieses äußerst schmackhafte Opus nicht längst auf der nationalen Bestsellerliste aufgetaucht ist.
Sehr zufrieden mit dieser verlegerischen Revolution, können wir morgen ganz gelassen und gediegen das schöne, leider von den Pfaffen gekaperte Heidenfest Weihnachten feiern. Auf dem Menü steht zuerst eine Essaysammlung mit Hummerschwanzgeschmack, dann eine Erzählung, die schon seit Tagen in unserem Kühlschrank himmlisch nach Wildschweinrücken duftet, und zum Dessert ein Kinderbuch mit Maracujaessenzen. Danach werden wir wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sein, auch noch in Zeitungen und Magazinen zu blättern. Denn die sind immer noch aus einem ekelhaften Stoff namens Papier gefertigt. So rückständig wollen wir nicht sein. Haben Sie übrigens schon an dieser edlen Wochenzeitung geschnuppert?