Heute loben wir die Luxemburger Leistungsgesellschaft. „Komm géi mat op de Mound“ heißt eine Aktion, die so umwerfend originell ist, dass sie wirklich nur einheimischen Denkerköpfen entsprungen sein kann. Der Staat spielt Oberschiedsrichter, gleich fünf Ministerien – Gesundheit, Bildung, Familie, Sport und Landwirtschaft – liefern die ideelle Munition. Worum geht es? Wir alle sollen gehen, und zwar gemeinsam, nicht irgendwo hin, sondern auf den Mond. 400 000 Kilometer müssen wir per pedes bewältigen, dann sind wir auf dem Mond. Geht das? Aber ja! Wenn wir unsere Gehleistung zielsicher splitten, sind wir in Nullkommanix auf dem gelben Trabanten.
Diese Idee ist rundum genial. Wer geht, bleibt gesund. Und stärkt sein allgemeines Wohlbefinden. Aber das sind peanuts. Was zählt, ist der Mond. Noch nie zuvor hat ein Volk den Mond zu Fuß erreicht. Die Amerikaner, diese primitiven Technikdilettanten, benötigten für ihre Mondexpedition noch milliardenteure Raketen und Raumkapseln. Ökologisch betrachtet war dieser Abstecher ins All ein einziges Desaster. Warum hat kein Schwein die Luxemburger Weltraumspezialisten aus den fünf Ministerien um Rat gebeten? Sie hätten gerne die entscheidende Auskunft gegeben: Auf den Mond reist man nicht mit ozonfeindlichen Maschinen, auf den Mond geht man zu Fuß. Wie es sich für umweltbewußte Mondtouristen gehört.
Natürlich haben wir uns sofort auf der eigens eingerichteten Internetseite eingeschrieben (sorry, dies ist kein Witz, die Seite heißt www.goen2010.rtl.lu). Dort tragen wir nun täglich unsere Gehversuche ein. Hier ein Dutzend Meter, dort ein kleiner Ausflug in den Keller oder ein entspannter Gang zum Briefkasten, und unser Kilometerkonto wächst und wächst. Parallel können wir jederzeit die Gesamtleistung der Luxemburger Bevölkerung einsehen. Im Augenblick haben alle beteiligten Geher kollektiv 34 601 Kilometer zurückgelegt. Huch! Der Mond steht ja schon riesengroß und prall am Himmel! Wenn es so rasant weitergeht, sind wir in zwei Monaten schon am Ziel. Hoffentlich erschrickt der Mond sich nicht zu Tode. Er ist ja noch gar nicht im Bilde über die bevorstehende Masseninvasion der Luxemburger.
Nein, im Ernst. Seit Kindestagen träumen wir davon, einmal im Leben einfach mal so auf den Mond zu gehen. Ein kleiner Hüpfer, und mit zwei Sandalen verewigen wir uns im Mondstaub. Problematisch ist nur die Konkurrenz fremder Geher. Die werden wir mit einem kleinen Trick überlisten. Wir warten einfach, bis die Internetseite eine globale Leistung von 399 999 Kilometern verzeichnet. Dann laufen wir schnell einen kleinen Kilometer und schwups! kann keiner mehr uns den ersten Mondplatz streitig machen! Wir wollen aber nicht egoistisch sein. Wir kümmern uns dann schon mal um den Aufbau einer Bierkantine. Zur Begrüßung des gewaltigen luxemburgischen Geherkollektivs, das nach uns im Ziel eintrudelt.
Es geht aber hier nicht nur um die sportliche Mondsucht. Wirklich einmalig ist die weltwirtschaftliche Bedeutung der Aktion „Komm géi mat op de Mound“. Während andere Wirtschaftsnationen, vor allem die unersättlichen Asiaten, wie besessen auf optimale Leistung und Kompetenz setzen, gehen wir Luxemburger den umgekehrten Weg. Wir relativieren Leistung, machen sie sozusagen lächerlich, indem wir sie auf möglichst viele Leistungsträger verteilen. Unser Credo lautet: Die minimale Anstrengung führt auch zum Erfolg, und zwar ganz entspannt und unverkrampft. Das ist Philosophie pur, also ein durch und durch intelligentes Gesellschaftsideal.
Auf diese Weise können 10 000 Schüler problemlos eine Marathonstrecke bezwingen. Es genügt, dass jeder Läufer so gnädig ist, ohne überzogene Pausen ein paar Zentimeter zurückzulegen. Dann wird addiert. Und siehe da! Wir sind Marathonmeister! Genau im Addieren liegt das Geheimnis. Einzelleistungen haben immer nur mit dem Dividieren zu tun. Das wollen wir nicht. Dividieren ist unsozial und volksfeindlich. Addieren hingegen ist liebevoll, kommunikativ und kohä-sionsfördernd. Addieren ist die Kunst des Gemeinschaftsgefühls. Nur Mut! Auch 30 000 Schüler sind in der Lage, die Marathonherausforderung anzunehmen. Millimeter für Millimeter. Auch 60 000. Ganz cool.
Wir werden die Aktion „Komm géi mat op de Mound“ kreativ weiterentwickeln. „Komm paddel mat ëm d’Welt“ ist der nächste logische Schritt. Diesen challenge können wir bequem von der häuslichen Nasszelle aus steuern. Es genügt, wenn 100 000 paddelbegeisterte Luxemburger Kleinkinder einmal pro Woche eine halbe Stunde lang ihr Paddelboot in der privaten Badewanne hin und her bewegen. Das addiert sich in Windeseile. Wir müssen nur 40 000 Kilometer Seeweg hinter uns bringen. Lächerlich!
Dies ist das neue Luxemburger Modell. Es wird vermutlich viele Investoren anlocken. Hoffen wir nur, dass die Chinesen nicht zu früh an unsere Tür klopfen. Sonst müssen wir uns dringend die Milchstraße vorknöpfen. Der Mond ist dann Makulatur.