Dass Wim Wenders in besonderem Maße ein fotografischer Filmemacher ist, ist hinlänglich bekannt. Seit den Anfängen seiner Karriere war er als Fotograf aktiv, eine leidenschaftliche Tätigkeit, zu der sich dann der Film gesellte. Dass seine großen Kinoerfolge Paris, Texas (1984) oder noch Der Himmel über Berlin (1987) besondere fotografische Qualitäten besitzen, ist unverkennbar, sein Auge für die visuelle Poesie der Fotografie ist in seinen Werken immerzu spürbar. Doch mehr noch, möchte man meinen, habe sich Wenders mit seinen beiden jüngsten Filmarbeiten zu dieser Kunstform zurückbegeben.
Der Veteran des heute nicht mehr ganz so Jungen Deutschen Films war gleich mit beiden Filmen bei den diesjährigen Filmfestspiele in Cannes vertreten: Anselm – Das Rauschen der Zeit war im Rahmenprogramm zu sehen. In diesem poetischen Dokumentarfilm entwickelt Wenders aus Spielfilmpassagen, historischen Fernsehaufzeichnungen und Interviewsequenzen ein Porträt seines Freundes Anselm Kiefer.
Perfect Days hingegen lief im Wettbewerb. Wenders’ Rückkehr zum Spielfilm wurde mit dem Hauptdarstellerpreis für Koji Yakusho gewürdigt. In Perfect Days begleiten wir Yakusho als Toilettenreiniger Hirayama durch Tokio. Ganz im Gegensatz zu den allseits suchenden Helden gegenwärtiger Arthouse-Produktionen ist dieser Hirayama zufrieden mit seinem Leben. Dort, wo der Brite Ken Loach oder der Finne Aki Kaurismäki mit ihren jeweiligen Blicken auf das Proletariat ihr Publikum zu starken Affekten bewegen möchten – und jeweils unterschiedliche Strategien anwenden –, da ist Wenders Film in seiner zurückgenommenen und scheinbar aussaglosen Haltung ganz bei sich: Hirayama liebt die Struktur des Alltags, die geregelten Bahnen.
Neben seiner Arbeit widmet er sich, ja: der Fobetografie, sowie der Musik und der Literatur. Er nutzt noch alte Tonbandkassetten und liest in abgegriffenen Taschenbüchern, ohne dass diese altmodische Einstellung als Zeichen von Rückwärtsgewandtheit zu deuten wäre. Überhaupt kommentiert Wenders diese Figur praktisch gar nicht. Wir erfahren nur, dass Hirayama aus privilegierten Verhältnissen stammt, diese aber freiwillig aufgegeben hat, um das Glück in den einfachen Dingen zu suchen. Diesen freien Willen beurteilt Wenders ebenfalls nicht, noch mehr enthält er sich, das Toilettenreinigen zu einer niederen Tätigkeit zu degradieren. So, wie Hirayama die Schönheit in der gegenständlichen Alltagswelt sucht und bemüht ist, sie mit einem Fotoapparat festzuhalten, kommt es Wenders darauf an, diesen thematischen Kern in der filmischen Form ein weiteres Mal nachzubilden, seine Aussage mit den fotografisch-gestaltenden Mitteln der Filmkamera in Einklang zu bringen. Es ist eine Strategie wechselseitiger Dopplung.
Wenders Film ist schön anzusehen, weil die alltäglichen Verrichtungen Hirayamas schön sind. Wenders Erzählung um diesen bescheidenen und glücklichen Alltagsmenschen ist keine auf die buddhistische Vorstellung der Enthaltsamkeit ausgerichtete lehrhafte Parabel, noch ist sie eine latente Kapitalismuskritik, mit der Aufforderung, das Glück im Verzicht zu suchen. Dafür unterdrückt Wenders zu gekonnt und bewusst jegliche inhaltlich stofflichen Aspekte, die dramaturgischen Schwerpunktsetzungen nahekämen. Die plötzlich einsetzenden erzählerisch stärkeren Momente rund um Hiryamas Nichte und seine Schwester wirken beinahe wie Störfaktoren in einem ansonsten äußerst präzise austarierten Film. Es gibt keine Wendungen, keinen Appell, keine Überredung – was nicht bedeutet, dass der Film keine Aussage treffen würde: Perfect Days spürt mit äußerster Sensibilität, Präzision und Würde den Banalitäten eines Tagesablaufs nach. Und mit Musikeinlagen – während Wolkenkratzer am Autofenster vorbeiziehen, wird der titelgebende Lou-Reed-Song eingespielt – und dem sehr fotografischen visuellen Stil gelingt ihm eine Poesie, die als Feier der Alltäglichkeit zwischen Yasujiro Ozu und Michelangelo Antonioni anzusiedeln ist.