Home cinema

Eiseskälte

Michael Fassbender in der Rolle des Auftrags- mörders
Foto: Netflix
d'Lëtzebuerger Land vom 24.11.2023

David Finchers neuer Filmtitel The Killer ist in seiner nüchternen Selbstaussage Programm: Darin gibt Michael Fassbender einen Auftragsmörder, aus dessen subjektiver Perspektive wir das Geschehen erleben. Die Stimme des Voice-over-Kommentars gehört diesem unscheinbaren Killer, der nicht mal einen Namen hat. „Stick to your plan. Trust no-one. Stick to your plan. Forbid empathy“, lautet seine professionelle Grundeinstellung. So aufrichtig und klarsichtig, wie dieser Mann seine Existenz beschreibt, so überaus streng und transparent ist die kalte und effiziente visuelle Sprache des Films: logische Einstellungsfolgen, präzise Schnitte, erzählökonomisch und einfach. Alles ist kontrolliert, routiniert, geplant – bis der Killer einen Fehler macht.

Nach dem ebenfalls von Streamingdienst Netflix produzierten Künstlerdrama Mank (2020) ist The Killer eine Rückkehr zu den düsteren Erzählwelten aus den Abgründen des Verbrechens, für die Fincher bekannt ist: Seven (1997) oder noch Zodiac (2008). Die Stieg-Larsson-Adaption Verblendung (2012) war ein finsterer Abstieg in die schwedische Krimiwelt. Auch in The Killer bedarf Finchers Inszenierungsstil keinerlei Schnörkel, keinerlei Umwege – der Film ist auf die Oberfläche fokussiert und auf Spannungsbögen ausgerichtet, die es aufrechtzuhalten gilt, die Muster der Suspense sind entsprechend effizient eingesetzt. Die atmosphärische Dichte entsteht dabei aus dem pulsierenden, düsteren Soundtrack und der kalten Bildsprache, die von der gelassenen und ruhigen Stimme Fassbenders immer wieder angetrieben wird.

Die Bezugsquellen von Finchers Film liegen beim kalten polar aus Frankreich, bei Jean-Pierre Melvilles Le samourai (1967), jenem Film, der so prägend war für eine Vielzahl dieser Genrefilme, auch für das französische Graphic Novel, dem dieser Film entlehnt ist, bis hin zu Luc Bessons Léon (1994). Es sind immer wieder Menschen, die keine Bindungen zulassen, nie greifbar werden, aber ihr Ziel niemals verfehlen. Der Killer bei Fincher entspricht diesem Muster vollends; er verkörpert die komplette nihilistische Indifferenz, wie er es selbst lapidar sagt: „I don’t give a f**k.“ Die Apotheose dieses Typs hat aber rund zwanzig Jahre zuvor Michael Mann in Collateral (2004) mit der von Tom Cruise interpretierten Figur des Vincent geschaffen. Manns Film wäre wohl die sofortige Beendigung dieser genretypischen Erzählungen, wäre denn eine Filmerzählung mit nur einem Film zu beenden. Bei Mann bekundet der Auftragsmörder seine Doktrin obendrein auch noch ungemein eloquenter: „Get with it. Millions of galaxies of hundreds of millions of stars, in a speck on one in a blink. That’s us, lost in space. […] There’s no good reason, there’s no bad reason to live or to die. I’m indifferent.“ Mann hat den Auftragsmörder verstanden als kriminellen Auswuchs des Kapitalismus, als das pathologische Endstadium in der postmodernen Kultur.

The Killer ist zweifellos Finchers geradlinigster und schlichtester Film, weil er seinen thematischen Kern überaus ernst nimmt und ganz zielsicher trifft: Er zeigt das Morden als eine kühle und alltägliche Verrichtung. Da ist kein Raum für emotionalisierende Strategien zur Einfühlung des Publikums. Es gibt keine Rückblenden, die Verständigungsangebote machen, keine vorauszudeutende Charakterentwicklung. Fincher zeigt die Hauptfigur als das, was sie ist: ein Protagonist. Kein strahlender Held, aber auch kein böswilliger Schurke. Darin liegt aber auch die Krux: Da Fincher keinerlei Verbindungen zu dieser Figur zulässt, kann sie ihren reinen genretechnischen Zeichencharakter nicht ablegen – Oberfläche und Oberflächlichkeit liegen hier nah beieinander, das Simpelhafte neigt zur Simplizität. Ausgehend von seinem Zentrum, dem Protagonisten, werden keinerlei Bezüge mitgedacht, weder politisch noch wirtschaftlich, durch die der Auftragsmörder als Teil eines realweltlichen Systems begriffen werden könnte – das Zeichen bleibt Zeichen, ja gerinnt in seiner Zeichenhaftigkeit. Kurz: David Fincher ist nicht Michael Mann.

Marc Trappendreher
© 2024 d’Lëtzebuerger Land