Michael Mann hat gemeinsam mit der Krimiautorin Meg Gardiner seinem 1995 erschienenen Film Heat ein neues Werk in Romanform hinzugefügt. Heat 2 ist Prequel und Sequel zugleich, die einschneidenden Ereignisse des Films bilden dabei die Zäsur. Vom Jahr 1995 ausgehend, wechselt Mann zwischen Vergangenheit (1988) und Zukunft (bis 2000) beständig hin und her. Mit einer Akribie und Detailtreue, die auch dieses Hybridwerk augenfällig in die Konstanz seiner Film- und Fernseharbeiten stellt.
So erzählt er die Vorgeschichte Neil McCauleys und macht dessen im Film mehrfach wiederholte Lebensdoktrin verständlicher: „Don’t let yourself get attached to anything you are not willing to walk out on in 30 seconds flat if you feel the heat around the corner.“ Er berichtet von Vincent Hanna, dem unerbittlich und obsessiv ermittelnden Polizisten des LAPD, und geht näher auf dessen Jagdinstinkt ein. Er begleitet Chris Shiherlis, die von Val Kilmer verkörperte Figur, deren Schicksal am Ende von Heat offen blieb. Mit der Figur des Otis Wardell ist ein ultrabrutaler sadistischer Psychopath vorhanden, der an den von Kevin Gage interpretierten Gangster Waingro erinnert. Heat 2 ist eine Erzählung über das Abklingen einer allzu kurzen, aber intensiven Seelenverwandtschaft; über die Flüchtigkeit der menschlichen Begegnungen; über die Entfremdung in einer spätkapitalistischen Gesellschaft, wie Mark Fischer oder Frederic Jameson sie beschreiben; über moderne urbane Architektur mit vielen Nicht-Orten, reinen Transiträumen ohne wahre Identität, wie Marc Augé sie definiert hat.
Der Roman spart denn auch jene existenzphilosophischen Fragestellungen nicht aus, die nicht nur Heat maßgeblich bestimmten, sondern für Manns Gesamtwerk überaus konstitutiv sind. Ob Menschen über das Schicksal miteinander verbunden sind oder das Leben doch mehr von Zufällen geprägt ist, lautet die verbindende Frage der diversen Erzählstränge aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die der Roman stellt. Im Roman ist mit dem direkten Verweis auf Albert Camus nun auch textuell belegt, was man im Film Heat nur ansatzweise erahnen konnte: Dieser Gangster ist ein durch und durch existenzbewusster Mensch, jemand, dem die eigene Nichtigkeit sehr klar ist – er kennt seinen Bezug zur Welt, in der er lebt, und zu der Zeit, die er zur Verfügung hat. Er ist jemand, der alles rationalisieren kann. „Wir sind alle Fußabdrücke. Die Flut kommt, und du bist nie da gewesen. Das hat ein Typ namens Albert Camus geschrieben“, sagt McCauley an einer Stelle.
Wenn Heat 2 als Leseerlebnis so detailreich und sinnlich wirkt, dann auch, weil der Roman das Resultat akribischer Recherchen ist, die Mann seit mehr als zwanzig Jahren in Vorbereitung auf den Film betrieben hat. Oft wird darauf angespielt, dass er als Filmregisseur im Grunde einen ähnlich hohen Grad an Professionalität anstrebe, wie seine Filmfiguren. Tatsächlich ist Mann die Authentizität des filmisch Gezeigten überaus wichtig. Ausgehend von realen Begebenheiten hat er über die Jahre einen Stil kultiviert, der ihn augenscheinlich zu einem Filmemacher mit eigener Handschrift werden ließ. Man müsste von einer Form des „erhöhten Realismus“ sprechen, der auch für den Roman prägend ist. Die Erlebnisse des Polizeiermittlers Chuck Adams, einem langjährigen Freund Manns, lieferten die grundlegenden Pfeiler der Erzählung – ein Herzensprojekt Manns, das er mit überaus großer Ehrfurcht in Angriff nahm. Noch bevor der Spielfilm entstand, verfilmte Mann den Stoff fürs Fernsehen. L.A. Takedown (1989) ist der Pilotfilm für die gleichnamige NBC-Serie, die jedoch nie realisiert wurde – eine Art Blueprint des späteren Films. Mit seiner Laufzeit von 92 Minuten und den sehr überschaubaren Schauplätzen ist dieser Fernsehfilm für Mann – wie seine Fernseharbeiten ohnehin – mehr ein Experimentierwerk, für welches das Fernsehen den Rahmen bereitstellte. Ein ähnliches Experimentierwerk ist nun auch Heat 2, ein Erkunden der medialen Grenzverlagerung – der Versuch eines filmischen Romans oder eines romanhaften Films.
Mann war immer schon ein Vorreiter – nicht nur wird er gerne als der letzte Autorenfilmer gesehen. Er ist auch jemand, der sich ungern wiederholt; seine Eigenwilligkeit gebietet es ihm, neue kreative Wege zu gehen, das treibt ihn an. So auch das Erproben des Romanschreibens, einer Kunst, die er nicht beherrsche, wie Mann meint, deshalb holte er sich Hilfe bei Meg Gardiner. Der knappe, nahezu elliptische Stil der zeitgenössischen Kriminalliteratur ist deutlich spürbar, so wie man ihn – freilich in gesteigerter Form – auch von Don Winslow kennt.
Heat 2 ist aber darüber hinaus ein sonderliches Werk. Im Gegensatz zur tradierten Form der Literaturadaption für den Film geht Mann – auch hier erweist er sich als grenzüberschreitender Künstler – nun den umgekehrten Weg, dreht den medialen Transformationsprozess um. Das Ergebnis ist erstaunlich und überaus stimulierend. Es sind die Bilder und Töne des Films, die die reiche atmosphärische Textur von Heat ausmachten, die nun über das geschriebene Wort wieder aufleben. Heat 2 ist kein Drehbuch, aber man spürt den Drive der Erzählung, der auf Parametern des filmischen Rhythmus, etwa der alternierenden Montage oder dem Smash Cut, aufgebaut ist. Das meint nicht, dass der Roman nicht mitunter ausschweifend erzählt ist, das liegt ohnehin in seiner Kunstform begründet, die Lesedauer gestaltet sich individuell und ist nicht auf die Laufzeit eines Filmes begrenzt. Deshalb auch kann sich der Roman den Raum für innere Monologe geben oder kann backstory wounds näher beleuchten. Man(n) ist nun direkt im Kopf der Figuren.
Der Fantasie während des Leseprozesses sind indes sehr enge Grenzen gesetzt – ganz im positiven Sinne: Der Film schickt die ihm medial inhärente Konkretisierung voraus, auf die sich der Roman zwangsläufig stützt. Neil McCauley ist Robert DeNiro, Vincent Hanna ist Al Pacino und so weiter. Weil der Film dem Roman vorausgeht, kann man sich die jüngeren Versionen der Charaktere nur mit den entsprechenden Schauspielern samt ihrer Manierismen, ihres Sprachduktus vorstellen; das Stadtbild von Los Angeles ist das Stadtbild des Films mit seinen endlos scheinenden Flächen aus Lichtern, den Beobachtungen Jean Baudrillards sehr nahekommend. In seiner detailreichen Beschreibung der Stadt Los Angeles und ihren Freeways spielen die visuellen und auditiven Sinneseindrücke des Films während des Leseprozesses unentwegt hinein, ja, man möchte meinen, den Soundtrack von Moby hören zu können. Auch Chicago ist Schauplatz des Romans – Assoziationen zum urbanen Milieu aus Manns erstem Kinofilm Thief (1981) kommen da ebenso in den Sinn.
Das so unsinnige, aber doch beständig virulente Kriterium der Werktreue – ein ohnehin ganz ambivalenter Maßstab – greift in Heat 2 nicht, Mann hat es außer Kraft gesetzt. Umso erstaunlicher erscheint nun die Neuigkeit, dass Heat 2 das nächste Filmprojekt des Regisseurs werden soll. Adam Driver wird als der junge Neil McCauley gehandelt. Aus dem Buch, das aus dem Film entsprungen ist, wird nun wieder ein Film. Anders als der Roman kann die Filmfortsetzung ob seiner medialen Grundbedingungen die Freiheit der Imagination nicht bedienen und mithin die Anforderungen an die Werktreue, die sich bei einer Fortsetzung nun mal zwangsläufig ergeben, nicht vollends umgehen – auch nicht mit den digitalen Pixeljungbrunnen, die seit Martin Scorseses The Irishman (2019) vermehrt zum Einsatz kommen.