Formell sollte es natürlich nur ein Gutachten sein, das der Staatsrat zum Euthanasie-Gesetzesvorschlag der Abgeordneten Lydie Err (LSAP) und Jean Huss (Grüne) zu verfassen hatte. Aber nachdem der parlamentarische Gesundheitsausschuss am 22. Mai zum bislang letzten Mal darüber diskutiert und auch nach drei Stunden keine gemeinsame Position gefunden hatte, geriet der Staatsrat in die Rolle des politischen Schlichters: Er sollte sowohl über die vom Ausschuss mehrheitlich angenommenen Änderungsanträge zum Err-Huss-Vorschlag befinden, als auch über die minoritäre Position der CSV-Fraktion.
Denn die Vorschläge des Ausschusses sind zugleich die der Fraktionen, die am 19. Februar die CSV niedergestimmt hatten. Die CSV-Anträge wiederum sind nicht nur Vorschläge, um sich vielleicht fraktionsübergeifend auf eine „exception d‘euthana-sie“ zu einigen, sondern zugleich der Versuch, die Niederlage vom 19. Februar in die Meinungsführerschaft in der Euthanasie-Diskussion zu wenden und sich als gesellschaftspolitisch moderne wie verantwortungsvolle Kraft zu zeigen. Und zu verhindern, dass die Regierungskoalition, deren Vertreter stets geglaubt hatten, im Parlament scheitere „Err-Huss“ sowieso, in eine Krise geraten könnte.
Aber vielleicht hatte Staatsratspräsident Alain Meyer vergangene Woche auch auf das Euthanasie-Gutachten angespielt, als er bei der Bilanzpressekonferenz 2007 unterstrich: „Wir verfassen keine politischen Gutachten.“ In dem am Dienstagnachmittag zur Euthanasie veröffentlichten1 wird keineswegs nach der Schnittmenge aus den Vorschlägen von Mehrheit und Minderheit im Gesundheitsausschuss gefahndet.
Stattdessen zieht der Vergleich des Err-Huss-Vorschlag und der Änderungsanträge von LSAP, DP und Grünen mit dem belgischen Euthanasiegesetz sich so unverkennbar als roter Faden durch den Text, dass sich der Eindruck geradezu aufdrängen muss, falls es ein Schlichtungsangebot des Staatsrates gibt, dann lautete es: „von Belgien lernen“. Was zwar keine unpolitische Aussage wäre, doch sich am belgischen Gesetz inspiriert zu haben, behaupten Lydie Err und Jean Huss. Dem Staatsrat ist aufgefallen, „que le texte tel qu‘amendé se différencie à maints égards du texte de reférence belge, et ceci par son caractère manifestement moins contraignant“, und er fügt hinzu, diese Situation sei besonders beunruhigend. Fragt sich nur, ob die CSV es sich politisch leisten könnte, in eine Angleichungsdiskussion des Luxemburger Euthanasieentwurfs an das belgische Gesetz einzusteigen.
Vier formelle Einwände macht der Staatsrat, sie betreffen jedoch keine gesellschaftspolitisch besonders relevanten Fragen. Diese handelt der Staatsrat vergleichend ab: Er gibt gleich an mehreren Stellen zu bedenken, dass der Err-Huss-Vorschlag das Mindestalter für einen Antragsteller auf Euthanasie auf 16 festlegt, während es in Belgien 18 Jahre sind, und kritisiert, Err und Huss seien zumindest nicht klar genug, was demente Personen angeht: Laut ihrem Vorschlag soll auf Patientenverfügungen, in denen auch ein Euthanasiewunsch festgehalten sein kann, zurückgegriffen werden können, falls der Patient einer „impossibilité irréversible de communiquer sa volonté“ unterliegt. Die Strafbefreiung eines die Euthanasie verabreichenden Arztes dagegen soll nur gelten, wenn der Patient sich in einem „coma irreversible“ befindet. Dagegen schreibe das belgische Gesetz vor, dass eine Patientenverfügung nur im Fall einer vom Arzt festgestellten „perte de conscience irréversible“ konsultiert werden darf.
Während laut belgischem Gesetz Euthanasieakte nur an Patienten, die sich in einer „situation médicale sans issue“ befinden, straffrei bleiben können und der Err-Huss-Vorschlag dies ebenfalls vorsah, hat der Gesundheitsausschuss diesen Begriff ersetzt durch „affection grave et incurable“. Wenn für den Staatsrat mit dem Eintreten einer medizinisch ausweglosen Situation alle therapeutischen Bemühungen enden und die „palliative“ Phase beginnt, versteht er unter „affections graves et incurables“ chronische Erkrankungen, die noch nicht im Endstadium angekommen sein müssen.
Die Feststellung scheint sich mit dem Vorwurf der CSV zu decken, Err und Huss wollten auch „Lebensmüden“ Euthanasie gewähren. Wogegen die Christlichsozialen ihre „exception d‘euthanasie“ setzten, die vorab streng kontrolliert und nur gelten würde, falls „le traitement curatif et surtout palliatif“ wirkungslos bliebe.
In der gesellschaftspolitisch brisanten Frage der Vorabkontrolle argumentiert der Staatsrat vorsichtig, aber kaum CSV-nah: Jene Vorabkontrolle, die Huss und Err mit einem beratenden Mediziner zusätzlich zum behandelnden Arzt vorsehen, müsse so verstärkt werden, dass auch der beratende Arzt im Patientendossier klar niederschreibt, ob die Bedingungen zur Gewährung von Euthanasie erfüllt sind. Für „excessivement lourde“ hingegen hält der Staatsrat die Idee der CSV, jeden Euthanasieantrag von einem vierköpfigen Ärztekollegium prüfen zu lassen, das sich innerhalb von acht Tagen in mehrereren Gesprächen vom anhaltenden Leiden des Antragstellers überzeugt.
Euthanasie nur bei Wirkungslosigkeit einer Palliativbehandlung zu gewähren, verwirft der Staatsrat rundweg und merkt lakonisch an, die Wirkungslosigkeit der „palliativen Sedierung“ sei nirgends nachgewiesen. Und wenn die CSV gerade in diesem Zusammenhang darauf hinweise, dass laut Spitalgesetz natürlich jeder Patient jede Behandlung ablehnen dürfe, dann solle sie klar sagen, ob für sie daraus ein „droit à mourir“ folgt. Da die Fraktion um Michel Wolter diese Frage im Mai schon etwas kleinlaut mit Ja beantwortete (d‘Land, 23.05.2008), werden in den kommenden Wochen und Monaten ihre Aussagen zur belgischen Euthanasiepraxis interessant zu verfolgen sein.
1www.conseil-etat.public.lu/fr/avis/2008/10/ 45786/index.html