Regierung, Unternehmer wollen, dass länger gearbeitet wird, täglich, wöchentlich, ein Leben lang. Um den zusätzlichen Mehrwert in Geld zu verwandeln, muss dann länger konsumiert werden. Ende vergangenen Jahres brachten Arbeitsminister Georges Mischo, Mittelstandsminister Lex Delles Gesetzentwürfe ein. Um werktags die Läden bis 22 Uhr geöffnet zu halten. Sonntags die Arbeitszeit, die Öffnungszeit im Handel zu verdoppeln. Das war vor der Kundgebung vom 28. Juni.
Premier Luc Frieden begründete in der Erklärung zur Lage der Nation: „An d’Majoritéit huet sech eng modern Gesellschaftspolitik zum Zil gesat. An deem Kontext hu mir proposéiert, d’Ëffnungszäiten an d’Sonndesaarbecht am Commerce ze adaptéieren“ (13.5.25).
„[L]a morale de la modernité“ nennt Jean Baudrillard „l’abondance et la consommation – encore une fois non celIe des biens matériels, des produits et des services, mais l’image consommée de la consommation“ (La société de consommation, Paris, 1970, S. 312).
Warenproduktion, Lohnarbeit, Arbeitsteilung führen dazu, dass „les hommes produisent des choses dont ils n’ont pas besoin pour obtenir l’argent qui leur permettra de s’acheter des biens qu’ils n’ont pas produits. Conséquemment, les choses qu’ils manipulent leur sont de plus en plus étrangères“ (Anthony Galluzzo, La Fabrique du consommateur, Paris, 2020, S. 14).
Gegen Lohn arbeitende Produzenten werden nach Feierabend Konsumenten. Regierung, Unternehmer tun so, als wären es zwei Personengruppen. Sie wiegeln Lohnarbeiterinnen als Konsumentinnen gegen sich selbst als Produzentinnen, Verkäuferinnen auf. Doch laut Ilres sind „75 Prozent vun de Leit ganz zefridden oder zefridde mat den Ëffnungszäiten“ (RTL, 4.8.25). Umfragen der Gewerkschaften zeigen: Verkäuferinnen wollen abends ihre Kinder abholen, sonntags ausruhen.
Der Direktor des Handelsverbands Tom Baumert verlangt „Flexibilitéit – kënnen opmaachen, wann de Client kënnt“ (RTL, 4.8.25). Konsum soll rund um die Uhr ein Menschenrecht sein. Dann ist der Mensch nur als Konsument ein Mensch: Innenminister Léon Gloden, Bürgermeisterin Lydie Polfer vertreiben Bettler aus den Einkaufsstraßen. Zur Strafe für ihren ungenügenden Konsum.
Konsum verspricht, Wünsche zu erfüllen. Doch nie endgültig. Das wäre sein Ende: Iphone-16-Besitzer hörten auf, auf Iphone 17 zu warten. Die Kapitalverwertung konsumiert Rohstoffe, Maschinen, Natur, Arbeitskräfte. Die Arbeitskräfte werden für den Raubbau verantwortlich gemacht. In der Rolle von Konsumentinnen tun sie dann mit Valorlux-Beuteln Buße.
Individuelles Glück nach fleißiger Arbeit verspricht, was Marx „eine ungeheure Warensammlung“ und das Statec „Index-Wuerekuerf“ nennt: der Kauf von Socken, Cognac, Nachhilfestunden, Sushi, Hometrainern, Kaffeekapseln, Netflix, Kopfschmerztabletten, Indoorspielen, Kokain, Labubu, Duftkerzen, Bananenschneidern – von Influencerinnen besungen, durch Amazone Prime, Wedely oder dem Dealer an der Ecke lieferbar. Nach der ersten industriellen Revolution schrieb der Rentier Flaubert der Dichterin Louise Colet: „[I]l faut par tous les moyens faire barre au flot de merde qui nous envahit“ (29.1.1854). Das Proletariat hungerte.
Shopping ist das Gegenteil von Cactus-Punkten: die stundenlange Bewunderung nutzloser Waren als Freizeitbeschäftigung. Konsum dient sozialer Abgrenzung: Škoda für die Arbeiterklasse, Audi für die Mittelschicht, Maserati für das Großbürgertum. Konsum ist eine Ideologie. „La croissance, c’est l’abondance; l’abondance, c’est la démocratie“ (Baudrillard, S. 62). Die Freiheit, zu wählen zwischen L’Oréal, Nivea, Sebamed, CSV, DP, LSAP.
Günther Anders gab zu bedenken: „Auch die Mastgans, der der Nudelbrei in den Hals hinuntergestopft wird, konsumiert ja nicht mehr“ (Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. II, München, 1980, S. 267). Doch Adem, Sozialamt, Bestattungsunternehmen nennen Arbeitslose, Arme, Tote „eis Clienten“. Als konsumierten sie zufrieden Beschäftigung, Wohlfahrt, den Tod.