Im Koalitionsabkommen beteuerten CSV, DP: „Le dialogue social fait partie intégrante de notre système social et il est le garant de la paix sociale dans notre pays“ (S. 173). Dann versuchten Regierung, Unternehmer sozialen Frieden ohne Sozialdialog. Durch die Schwächung der Gewerkschaften.
Die Gewerkschaften ließen es sich nicht gefallen. Sie verweigerten Zusammenkünfte, verbündeten sich, gingen auf die Straße. Der soziale Friede stieg im Kurs. Im Parlament lobte DP-Präsidentin Carole Hartmann den „Sozialdialog, dee säit Joerzéngten hei zu Lëtzebuerg de soziale Fridde garantéiert an och weiderhi garantéiere soll“ (14.5.25).
Das Luxemburger Wort leitartikelte: „Der für den 28. Juni geplante Generalstreik [sic]“ erinnere daran, „wie wichtig es ist, den Dialog nicht nur zu versprechen, sondern auch zu führen“ (1.6.25). „Der Dialog wird zur Nebensache“, klagte das Blatt. Es hält ihn für die Hauptsache. Vielleicht für einen Selbstzweck.
Die Glanzzeit des nationalen Sozialdialogs war der Klassenkompromiss in der Stahlkrise. Dann wurde er zum Ritual. Um alle paar Jahre Indexmanipulationen zu legitimieren. Anfangs begleitet von mehrfach abgeblasenen Generalstreiks.
Nach dem Bankenkrach 2008 hielten die Unternehmer den nationalen Sozialdialog für ein Nullsummenspiel. Sie verzichteten auf das unnötige Risiko. Doch die Gewerkschaften waren zu stark. 2013 gab die CSV/LSAP-Regierung auf. Während der Covid-Seuche verteilte der Staat eine positive Summe Geld. Der Sozialdialog wurde allenthalben gefeiert.
Der Fetisch Sozialdialog bleibt unverzichtbar. Er soll soziale Konflikte vermeiden, beenden: Er isoliert Gewerkschaftsfunktionäre in Versammlungssälen von der Macht der Straße. Er soll den Gewerkschaften die einzigen gewerkschaftlichen Mittel entziehen: Kundgebungen, Streiks, Betriebsbesetzungen. Wie die Friedenspflicht im Kollektivvertragsgesetz.
Während der parlamentarischen Haushaltsdebatten fragte CSV-Fraktionssprecher Marc Spautz: „[F]irwat ass de Sozialdialog esou wichteg? Mee ganz einfach, well en derzou bäidréit, de soziale Fridden an domadder och déi sozial Kohäsioun ze erhalen. Och dat ass e Kompetitivitéitsfaktor fir eist Land“ (18.12.24).
„Den Attraktivitéitsfacteur“, pflichtete die grüne Abgeordnete Sam Tanson bei, „vun onse Betriber ass net just eng Fro vun niddrege Steierrecetten, et ass net just eng Fro vun administrativer Vereinfachung, et ass och déi vum soziale Fridden, dee mer hei an eisem Land hunn“ (18.12.24).
Der soziale Friede dient der von Kundgebungen, Streiks, Betriebsbesetzungen ungestörten Produktion. Der schnelleren Verwertung des investierten Kapitals. Sein Mittel ist der Sozialdialog. Ab und zu begleitet von materiellen Zugeständnissen an die Beschäftigten. Vermehrt ersetzt durch ideelle Werte wie Standortpatriotismus: Kapitän und Ruderer sitzen alle in einem Boot.
Der Sozialdialog spiegelt ein ungleiches Kräfteverhältnis wider zwischen den Besitzern von Industrien, Banken, Werkstätten, Läden und jenen, die jeden Morgen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Die Gewerkschaften dürfen mitspielen. Solange sie die Spielregeln nicht infrage stellen.
Für die Gewährleistung des sozialen Friedens bietet sich die Sozialdemokratie an. LSAP-Fraktionssprecherin Taina Bofferding appellierte von der Kammertribüne herab an die heimische Arbeiterklasse. Sie soll artiger sein als die bösen Nachbarn: „A wann ee gesäit, wéi si am Moment dowéinst streiken an och hire soziale Fridden do op der Kipp steet, mengen ech, brauche mer net dee selwechte Feeler hei am Land ze maachen“ (19.3.25).
Ende Juni zogen Zehntausende durch die Straßen der Hauptstadt. Protestierten gegen eine „Reform“ genannte Deregulierung der Rentenversicherung, der Arbeitszeiten. Unternehmersprecher Michel Reckinger war niedergeschlagen: „[D]er Sozialdialog, wie er im Moment stattfindet, zeigt, dass wir nicht mehr reformierbar sind“ (Luxemburger Wort, 24.7.25).