Vergangenen Monat zogen Zehntausende vom Hauptbahnhof zum Knuedler. Sie folgten dem Aufruf der Gewerkschaften. Gewerkschaften vertreten die Interessen gegen Lohn und Gehalt Arbeitender. So spiegelte die Kundgebung die Klassengesellschaft wider. Deren Anatomie zeigt die Volkszählung von 2021. Wenn auch lückenhaft, qualifikationsorientiert nach CITP (https://statistiques.public.lu/fr/recensement.html).
Der Arbeiterklasse im engeren Sinn gehört ein Viertel der ansässigen Erwerbstätigen an (22,76 %): Unqualifizierte in der Industrie und am Bau, Leute, die fremde Gebäude reinigen, Pakete ausliefern, Lager räumen, Straßen fegen (10,97 %). Sie stehen in der Industrie an Maschinen, die ihnen nicht gehören, fahren Laster, montieren Bauteile (3,85 %). Sie sind Installateurinnen, Handwerker in der Industrie, am Bau, in Bäckereien (7,94 %). Ihre Arbeit ist anstrengend, ihre Entscheidungsgewalt gering, ihre Einkommen, ihr gesellschaftliches Ansehen sind niedrig.
Das gilt auch für viele Leute im Dienstleistungsbereich: Verkäuferinnen, Friseure, Pflegehelferinnen, Kellner, Kassiererinnen, Polizisten, Wachpersonal, irreführenderweise auch zum Kleinbürgertum zählende kleine Geschäftsleute (11,77 %). Sowie für Bürokräfte in kleinen und großen Firmen, Schalterbeamte, Sekretärinnen in der Privatwirtschaft, im öffentlichen Dienst, Empfangspersonal (9,20 %).
Zusammen machen all diese Leute 43,73 Prozent der Erwerbstätigen aus. Sie sind die große Mehrheit subalterner Lohnabhängiger, die Arbeiterklasse im weiteren Sinn. In Frankreich „classes populaires“ genannt. Im Parlament ist diese Hälfte der Bevölkerung nicht vertreten. In den Medien kommt sie nicht vor. Sie stellte das Gros der Kundgebung vom 28. Juni.
Als Elite fühlen sich Geschäftsführer, Direktoren, Verwaltungschefs, Berufspolitiker. Manche besitzen Läden, Firmen, gehören dem Kleinbürgertum, der mittleren Bourgeoisie an. Andere sind lohnabhängig mit hohen, oft dem Mehrwert entnommenen Gehältern. Sie machen 6,69 Prozent der ansässigen Beschäftigten aus. Sie wollen sich durch ihren Lebensstil abheben. Sie stellen die regierende Klasse dar. Nicht die herrschende. Sie bemühten sich um einen Misserfolg der Kundgebung vom 28. Juni.
Auch Teile des alten und neuen Kleinbürgertums zählen sich zur Elite: Lehrer, Architektinnen, Anwälte, Ärztinnen, Steuerberater, Softwareentwickler. Viele sind lohnabhängig. Sie haben größere Entscheidungsfreiheit, höhere Einkommen als die „classes populaires“. Mittelständler unter ihnen besitzen Betriebe, Maschinen, arbeiten selbst damit und beschäftigen Personal. In diesen akademischen und wissenschaftlichen Berufen arbeitet ein Drittel der ansässigen Beschäftigten (33,62 %).
Technikerinnen, Aufseher, Steuerbeamte, Immobilienagentinnen, medizinische Assistentinnen sind meist lohnabhängig. Durch ihre Spezialisierung fühlen sie sich den akademischen Berufen näher, ohne zu ihnen zu gehören. Sie stellen 13,75 Prozent der ansässigen Beschäftigten dar. Die Volkszähler wissen nicht wohin mit ihnen. In Frankreich heißt diese Zwischenschicht „professions intermédiaires“.
An einem Ende der Hierarchie von Macht und Reichtum bleibt ein ungezähltes Subproletariat von Dauerarbeitslosen, Armen, Obdachlosen. Am anderen Ende kassieren 0,3 Prozent Rentiers fremden Wert, Mehrwert als Mieten, Dividenden, Zinsen, ohne zu arbeiten.
Die Volkszählung liefert ein unvollständiges Bild der heimischen Klassengesellschaft. Sie ignoriert an einem Extrem die internationalen Kapitalbesitzer. Ihnen gehören alle größeren Industrien, Banken im Land. Diese unsichtbare Großbourgeoisie bildet die herrschende Klasse. Ihre Geschäftsinteressen haben Regierung, Parlament als nationale Interessen verinnerlicht.
Die Volkszählung ignoriert am anderen Extrem über 200 000 Grenzpendler. Sie stellen jeden zweiten Erwerbstätigen dar. Sie werden politisch ausgegrenzt. Ihre Interessen werden nur von den Gewerkschaften vertreten. Wie am 28. Juni.