Eine Lichtgestalt ist eine Gestalt, die „leuchtet“, Strahlkraft besitzt, die anzieht, Bewunderung erweckt, mitreißt. In der Politik – hier sind Lichtgestalten eher selten anzutreffen, gerade deshalb erzeugen sie viel Aufmerksamkeit – sollten sie außerdem rhetorisches Talent, Überzeugungskraft, Führungsqualitäten und Charisma besitzen. Eine bekannte Luxemburger Lichtgestalt, unser Premierminister und langjähriger Euro-Gruppenchef Juncker, hat sich jetzt von (einem Teil) der europäischen Bühne verabschiedet, da machen zwei andere, deutlich jüngere, Lichtgestalten auf sich aufmerksam. Zum einen unser Wirtschaftsminister Etienne Schneider, zum anderen Xavier Bettel, frischgebackener Parteipräsident und Erster Bürger der Hauptstadt. Apropos: Sollte man in einer mehr als 100 000 Einwohner-Stadt nicht den Titel „Oberbürgermeister“, kurz OB, tragen?
Interessanterweise gehören beide nicht der staatstragenden CSV an. Bettel macht schon länger auf sich aufmerksam. Als junger Abgeordneter wurde er nicht müde, den Justizminister zu ärgern, Stichwort „Schrassig“. Er traut sich etwas, kommt dynamisch rüber, redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und gehört mittlerweile zu den bekanntesten und (noch wichtiger) beliebtesten Politikern des Landes.
Schneider kommt aus einem anderen Umfeld und ist anders gestrickt, dennoch teilt er einige Eigenschaften mit seinem liberalen Kollegen. Vor Jahresfrist wurde er – vom Volk ungewählt – Minister, weil sein Vorgänger sich verabschiedet hatte und kein Partei-Grande richtig „Bock auf den Job“ hatte. Ihnen fehlte wohl der Mut, vielleicht auch die Kompetenz dazu. Jedenfalls eine tolle Gelegenheit für einen hohen Regierungsbeamten mit Insiderwissen, aus dem Windschatten seines Ziehvaters hervorzutreten und sich auf den Ministersessel zu setzen. Auch Schneider
fällt durch seine frei-frisch-fröhlich-fromme Art (okay, das letzte Wort nehme ich zurück) auf. Er greift Themen auf, wie zuletzt die Frage der Teilnahme der Ausländer am Wahlgeschehen, die es eigentlich immer schon gab, die aber anscheinend bis dato nicht richtig thematisiert wurden, und schon gar nicht von einem amtierenden Minister.
Gerade weil Schneider und Bettel so auftreten, als hätten sie nichts zu verlieren, haben sie alles zu gewinnen. Beide könnten auch außerhalb des Politikbetriebs – hier das Regierungsgeschäft, da die Kommunalpolitik – Karriere machen und (viel) Geld verdienen. Das macht sie unabhängig, nicht nur, was die Brieftasche angeht, sondern im Geist und in der Einstellung zu ihrer Funktion. Weil sie nicht am Sessel kleben wollen, werden sie lange in ihren Sesseln sitzen bleiben können. Warum fallen sie so auf? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die meisten ihrer Kollegen nicht auffallen, eher angepasst sind, Angst vor Fehltritten und -sprüchen haben und manchmal sooo politisch korrekt rüberkommen möchten, dass es schon peinlich wirkt.
Wie heißt es so schön in der Fisherman’s Friend-Werbung? „Sind sie zu stark, bist du zu schwach.“ Wenn die Presse so überschwänglich Tugenden lobt, die eigentlich zum Grundinstrumentarium politischen Handelns gehören sollten – etwa mit gesundem Menschenverstand agieren, den Mitbürgern die Wahrheit sagen, auch mal unangenehme Sachverhalte ansprechen, glaubwürdig sein – sollten bei uns die Alarmglocken schrillen. Sind diese Eigenschaften wirklich so selten beim politischen Spitzenpersonal anzutreffen? Die Beantwortung dieser Frage überlasse ich dem Leser.