Depardieu will jetzt Russe werden

Sacré Gégé national

d'Lëtzebuerger Land vom 21.12.2012

Frankreich trauert. Dem Glanz längst vergangener Zeiten nach. Um seine verlorene Reputation als Grande Nation und Vorreiter der Europäischen Idee. Weil seine Industrie die Schwindsucht und die Politik noch nicht den richtigen Tritt gefunden hat. Jetzt hat auch noch Gérard Depardieu, „Gégé national“, wie er von vielen liebevoll genannt wurde, seine Koffer gepackt. Er setzt sich einfach ab, nicht etwa in Richtung wärmerer Gefilde, auch nicht, um Schweizer zu werden. Nein, es musste Belgien sein, noch dazu an der Grenze: Néchin heißt die Ortschaft, in einer 10 000-Seelen-Gemeinde mit dem nicht ganz einfachen Namen Estaimpuis. Eine Provokation. Er hätte sich ja auch ein nobles Brüsseler Stadtviertel aussuchen können, aber nein, es musste im Grenzbezirk sein, unerreichbar zwar, aber doch in Sichtweite des französischen Fiskus.

Er meint es ernst, Gégé. Zuerst die Ankündigung, Frankreich den Rücken kehren zu wollen. Dann hat er sich ein Haus gekauft, ein altes Zollhaus (sic!). Schließlich steht jetzt noch der Verkauf seiner Pariser Stadtvilla im sechsten Arrondissement an. Und Belgier will er werden, so schnell wie möglich. Ein Sturm der Entrüstung rast über die Republik. Medien und Politiker, hauptsächlich links von der Mitte, überschlagen sich. Man fühlt sich verraten, gedemütigt. Depardieus Verhalten sei beschämend, egoistisch, unpatriotisch. Der Premierminister verwendet das Wort „minable“: schäbig, erbärmlich. Später hieß es dann, nicht der Mann sei gemeint gewesen, sondern sein Verhalten. Das erinnert an die Episode mit Lakhsmi Mittal: „Wir wollen Mittal in Frankreich nicht mehr“, hatte Industrieminister Montebourg getönt, um dann nachzuschieben, dass natürlich nicht der Inder persönlich, sondern nur seine Geschäftsmethoden gemeint waren.

Was ist los in Frankreich? Die politische Klasse ist nervös. Der eine sagt Hü, der andere Hott. Ratlosigkeit scheint sich breit zu machen. Viele reiche Franzosen – Unternehmer, Erben, Sportler und Künstler – verlassen das Land, seit Jahren, ohne viel Getöse. Nun, es ist immer noch Krise, in Frankreich wahrscheinlich so viel wie lange nicht mehr. Der Staat ist scharf auf jeden Cent Steuergeld. Die 75-Prozent-Steuer auf Jahreseinkommen von über einer Million Euro wird wohl dazu führen, dass der eine oder andere Neureiche – viele Altreiche sind schon weg oder wissen zumindest ihre Schäfchen im Trockenen – sich davon macht. Das wird die Politik nicht vermeiden können.

Will sie das überhaupt? Zeigt das ganze Geschrei und Gezerre uns nicht auch, dass es Europa noch nicht wirklich gibt? Sind nicht die zögerlichen, nationalegoistischen Haltungen der Politiker, etwa wenn es um die notwendige schrittweise Angleichung (nicht Vereinheitlichung) der europäischen Steuerlandschaft geht, daran schuld, dass die Menschen sich so in die Wolle kriegen? Liegt hier nicht auch, versteckt, einer der Hauptgründe der schwelenden Eurokrise?

Ich mag den einen oder anderen älteren Film des französischen Schauspielers, bin aber kein Freund des Gesamtkunstwerks Depardieu. Ich finde es nicht gut, wenn man betrunken vom Scooter fällt oder in einer Flugkabine in eine Flasche pinkelt. Ich finde es aber auch nicht gut, wenn gestandene Politiker auf diese Art über ihre (Ex-)Bürger herfallen. Wem gehören die Franzosen eigentlich? Dem Präsident, seiner Regierung, der Assemblée nationale, der Steuerverwaltung? Arrêtez, les amis.

Claude Gengler
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