Sie gehört zweifelsohne zu den Pioniergestalten des Luxemburger Films, und das rote Barett ist ihr Erkennungszeichen: Bady Minck. Sie ist die Mitbegründerin der österreichisch-luxemburgischen Filmproduktionsgesellschaft Amour fou, mit der die Filmemacherin und Produzentin auf rund dreißig Jahre Filmschaffen zurückblicken kann und regelmäßig auf Festivals in der ganzen Welt vertreten ist: Cannes, Berlin, Rotterdam, Venedig oder noch das Sundance Film Festival.
Um dies zu würdigen, veranstaltete das Film Archiv Austria am 18. März ihr zu Ehren eine Retrospektive im Metro Kinokulturhaus in Wien. Unter dem eingängigen Titel Die lange Nacht der Bady Minck präsentierte es unter der Leitung von Florian Widegger und in Anwesenheit Bady Mincks in einem zweiteiligen Programm die Kurzfilme Der Mensch mit den modernen Nerven (1988), Mécanomagie (1995), La belle est la bête (2005), Im Anfang war der Blick (2003), Alice (2019), Polyfilm (1994), Attwengers Luft (1996), Schein Sein (2008), Das Sein und das Nichts (2007) und Mappamudi (2017).
Bady Minck studierte Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien und Experimentalfilm an der Hochschule für angewandte Kunst. Beide Stränge sollten ihr filmisches Werk maßgeblich bestimmen: Schon ihr Debüt Der Mensch mit den modernen Nerven, ein achtminütiger Kurzfilm, verbindet beide Tendenzen auffällig – was ihn zu einem ersten stilistischen Aushängeschild von Bady Minck macht. Der Film entstand im Rahmen einer Studienarbeit in Zusammenarbeit mit Stefan Stratil, bearbeitet architektonisches Material, verfremdet es, ordnet es neu an. Das Regieduo stellte ein Modell nach den Skizzen des Architekten Adolf Loos her, die dieser 1923 für ein Rathausprojekt in Mexiko-City entworfen hatte. Loos plante eine Stufenpyramide, die im Film zum bedeutungstragenden Material wird.
Der Gegenstand der Darstellung, der Bau in der Stadt, vollzieht sich bei Minck und Stratil aus dem rein Filmischen: Schnitt, Kamerabewegung und Überblendungen setzen den Gegenstand in Bewegung; die Stadt wächst gewissermaßen aus sich selbst heraus in die Höhe. Auf Der Mensch mit den modernen Nerven folgt Mécanomagie, ein Projekt, das Minck 1996 zusammen mit der damals noch jungen Luxemburger Produktionsgesellschaft Samsa Film realisierte. Bereits aus dem Filmtitel Mécanomagie lässt sich herauslesen, was Mincks Werke im Wesentlichen ausmacht: Filmische Mechaniken, wie die Kombination von In-Bild-Animation mit Zeitlupe und Zeitraffer werden stilvoll eingesetzt, sodass aus statischen Landschaftsaufnahmen eine Bewegung erwächst: Filmmechaniken, die wie magisch wirken. Mincks Arbeiten sind philosophisch inspiriert, Sie denkt Film besonders in Bewegungs- und Zeitbildern, im Sinne von Gilles Deleuze, dessen beide Filmbände für Minck eine wichtige Bezugsquelle darstellen, ohne aber jemals den Gesetzmäßigkeiten des narrativen Kinos zu folgen.
Alle Filme Bady Mincks sind reflexive Formen der Filmpraxis. Ständig ist sie auf der Suche nach ästhetischen Herausforderungen, Materialien neu zu arrangieren oder nach unbekannten Konventionen anzuordnen. „Das Verborgene, das, was man nicht sieht, das Unsichtbare“, erzählt sie während einer kurzen Filmpause im Gespräch mit Programmleiter Florian Widegger, treibe sie um. Auch deshalb sei sie in Österreich „hängengeblieben, weil das eine never-ending story ist“.
Das Verborgene sichtbar machen zu wollen, war für die heute 65-jährige Filmemacherin 2003 der Ansatz zu dem Film Im Anfang war der Blick, an dem sie mit den Schriftstellern Ernst Jandl und Friederike Mayröcker zusammenarbeitete. Der Film eröffnet ein subversives Spiel mit der Postkarten-Ästhetik Österreichs und seinen Berglandschaften, was zu einer spannungsvollen Dekonstruktion von Heimatfilm-Klischees führt. Ineinander geblendete Postkartenansichten lassen ahnen, dass hinter der glanzvollen Oberfläche auch Abgründe verborgen liegen.
Im Anfang war der Blick ist ein Film, der – bis auf wenige Ausnahmen im Compositing – komplett analog animiert wurde, fernab der heute gängigen Praktiken der Computeranimation. Bady Minck ist in diesem Sinne eine Künstlerin, die sehr viel Wert auf das Handgemachte legt; eine besondere Leidenschaft von ihr. Auf Computersimulationen setzt sie weniger: „Es gibt nicht so viel Widerstand von irgendwelchen blöden Programmen, sondern es gibt Widerstand der Materie“, gibt sie mit ihrem unverwechselbar-humorvollen Charme an. „Das richtige Material wehrt sich. Das ist viel schöner und man kommt auf so viele neue Ideen, wenn das Material involviert ist.“
Nach einer Pause ging der Filmabend in Wien in die zweite Runde mit dem Kurzfilm Alice von Noah Rosa und Ganael Dumreicher-Ivanceanu aus dem Jahr 2019. Den Abschluss der langen Nacht der Bady Minck bildete Mappamundi, der im Programm des 33. Sundance Filmfestivals zu sehen war. Auch hier ist Mincks Sinn für die Beschleunigung durch Schnitt und Montagerhythmus deutlich erkennbar, ja auf die Spitze getrieben. 950 Millionen Jahre Erdgeschichte werden auf 45 Minuten Filmlaufzeit komprimiert. Die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm werden bewusst verwischt. In schwindelerregenden Kamerafahrten und bei hoher Schnittdichte werden unzählige Weltkartenansichten aneinandergefügt – eine Weltraumfahrt, die Die lange Nacht der Bady Minck in hochrasantem Tempo zu Ende gehen ließ, und eine Akkumulation des vorher Gesehenen. Die Veranstaltung wurde im Übrigen von einem überwiegend jungen Publikum aus Studierenden, Kulturschaffenden und Filmbegeisterten besucht.
Neben ihren avantgardistischen Arbeiten als Regisseurin ist Bady Minck auch als Produzentin tätig. Innerhalb der nationalen Filmproduktion ist sie eine feste Größe. Sie hat den Luxemburger Film – und insbesondere junge Filmemacherinnen – von Beginn ihrer Karriere an gefördert. Ihre Beziehungen zu Österreich ermöglichten der Luxemburger Filmszene insbesondere eine Vernetzung mit Luxemburger Filmschaffenden im deutschsprachigen Raum. Als Produzentin begleitete Bady Minck unter anderem den Filmemacher Pol Cruchten mit Perl oder Pica (2006), Jessica Hausner mit dem Kleist-Biopic Amour fou (2014), Dieter Berners Egon Schiele: Tod und das Mädchen (2016) oder jüngst Der Passfälscher unter der Regie von Maggie Peren, der auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere feierte.