Der WSR zum Gesundheitswesen

Wendezeit?

d'Lëtzebuerger Land vom 09.04.2009

Das Motto „Dépenser mieux!” hatte Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) zu Beginn seiner Amtszeit für alle ihm unterstellten Bereiche ausgegeben. Im Gesundheitswesen war er damit bis Anfang März 2009 so weit gekommen, dass auf der Journée de la Santé in Mondorf sogar Ministeriumsbeamte coram publico erklärten, man müsse aufhören, vom „Dépenser mieux“ nur zu reden, und endlich etwas dafür tun.

Aber falls die neue Regierung die Überlegungen aufgreift, die der Wirtschafts- und Sozialrat im Spezialkapitel „La politique de santé publique“ seines Jahresgutachtens 2009 anstellt, dann müsste in der nächsten Legislaturperiode eine Gesundheitsreform gestartet werden. Sogar falls man nur ausgewählte Vorschläge des WSR aufgriffe, käme man kaum vorbei an einer Grundsatzdebatte – so voneinander abhängig sind die Fragen, die sich stellen.

Schon eine Forderung wie die nach der Publikation von Qualitätsanforderungen für alle Akteure sowie ihren Resultaten rührt an die Verfasstheit des Systems: Da es klinikzentriert ist, käme es vor allem auf eine einheitliche codierte Erfassung der Klinikaktivitäten an. Wollte man die der Ärzte erfassen, ginge das am besten über eine Reform der Tarifnomenklatur, die veraltet und unvollständig ist. Der WSR plädiert dafür. Bisher aber wehrt der Ärzteverband AMMD sich dagegen, so lange nicht auch die nicht-ärztlichen Tätigkeiten in den Krankenhäusern erfasst und bewertet werden. 

Was viele neue Fragen aufwirft. Nach der Angebotspalette und den Investitionen der Spitäler etwa. Oder nach der Einbindung der Klinikmediziner in die Organisation der Häuser, ihre Stellung im hierarchischen Gefüge und eventuelle Weisungsbefugnisse eines „médecin-coordinateur“ ihnen gegenüber. Der WSR findet, solche Fragen „nécessiteraient une reponse“. Und schließlich entspräche eine Reform der Tarifnomenklatur einem Eingriff in die Einkommen der Ärzte. Was wiederum fragen lässt, wofür ein Krankenhausarzt bezahlt werden sollte und ob und wann etwa fest angestellte Ärzte dem System dienlicher wären als freie Belegärzte. Sicher wäre eines: Ein umfangreiches Mediziner-Salariat käme das System teurer zu stehen als die vielen Freiberufler heute. Der WSR meint dennoch, man sollte diese Option studieren.

Was zum Finanzierungsproblem führt – zumal bei in den nächsten Jahren voraussichtlich sinkenden Beschäftigtenzahlen auf die Gesundheitskasse neue Defizite zukommen könnten. Wenn der WSR meint, man müsse analysieren, welchen Beitrag ein ausgeweitetes Netz von Maisons médicales und Polikliniken leisten könnte und inwiefern ein Ausbau der Primärbetreuung durch Hausärzte, Pfleger und kommunale Gesundheitsdienste nötig sei, nähert er sich auf strukturellem Weg der Frage, welches System man überhaupt will. Bemerkenswerter Weise schließt sich für ihn die nach der Konventionierung der freien Dienstleister mit der Gesundheitskasse an: Ist eine obligatorische automatische Konventionierung, die dazu verhilft, Leistungen bei der Gesundheitskasse abzurechnen, bei der zunehmenden Dienstleister-Mobilität in Europa zu halten? Denn nicht nur Ärzte aus dem Ausland, auch andere freie Berufe, wie etwa Kinesitherapeuten, lockt die automatische Konventionierung nach Luxemburg. Sollte man sie daher abschaffen?

Schon 2003 verwarf eine parlamentarische Mehrheit diese Idee, weil sie auch das Ende der Krankenkassen-Pflichtversicherung bedeutet hätte. Kein Wunder, dass im WSR Salariats- und Patronatsvertreter darüber nur ihren Dissens feststellen konnten. Wahrscheinlich aber kann es auf diese Frage keine einfache Antwort geben. Denn beim derzeitigen Stand gibt es für keine Instanz im Lande eine Möglichkeit zur Bedarfsplanung. Alle bei der CNS verfügbare Evidenz jedoch deutet darauf hin, dass ein ausgeweitetes Angebot an Gesundheitsleistungen sich nach und nach auch Nachfrager schafft. So war es bisher. Der große Schritt des WSR besteht schon darin, dieses Prinzip ernsthaft in Frage zu stellen.

Peter Feist
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