Psychiatriereform

Zwischenzeugnis

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2009

Als Anfang Februar erneut ein unzurechnungsfähiger Straftäter aus dem psychiatrischen Krankenhaus in Ettelbrück entwischte, meldeten sich – wieder einmal – empörte Oppositionspolitiker zu Wort, und auch die Medien griffen den Fall begierig auf. Der Gesundheitsminister musste sich fragen lassen, ob er genug für die Sicherheit der Bevölkerung unternehme und ob er „seine“ Psychiatrie-Reform noch im Griff habe.

In der allgemeinen Aufregung ging unter, dass sich die Psychiatrie in den letzten Jahren in der Tat enorm gewandelt hat. Eine „erfreuliche Entwicklung“ konstatiert der Züricher Psychiatrieprofessor Wulf Rössler im Gespräch mit dem Land. Seine Studie über die psychiatrische Versorgung in Luxemburg bildete 2005 den Auftakt für den komplexen Umbau der psychiatrischen Versorgung. Vom Gesundheitsminister wurde er nun beauftragt, eine Zwischenbilanz zu ziehen, deren Ergebnisse für Ende März vorliegen sollen.Ein großes Lob ist den Verantwortlichen jetzt schon sicher: Die Zahl der Zwangseinweisungen, Anlass für internationale Kritik, ist seit 2005 rapide gesunken. Ein Gesetzentwurf, wonach die Entscheidung für eine Zwangseinweisung dem Gericht obliegt und der prozedurale Unschärfen bei Zwangsmaßnahmen wie Isolierung oder Fixierung behebt, liegt dem Staatsrat zur Zeit zur Begutachtung vor. 

Auch der infrastrukturelle Ausbau geht voran. Die Dezentralisierung der Psychiatrie, bei der regionale Akutkrankenhäuser die erste Anlaufstelle bilden und dann spe-zialisierte Rehakliniken wie das CHNP oder Tageskliniken zur Nachsorge zum Zuge kommen, ist fast abgeschlossen. Eine fünfte psychiatrische Abteilung mit 20 Betten in der Zitha-Klinik wird vorausichtlich zwar doch erst im nächsten Jahr fertig. Dann aber könnte es genügend Betten für die psychiatrische Erstversorgung geben. Das gilt auch für die jungen psychisch Erkrankten. Mit der Kinderpsychiatrie im hauptstädtischen Centre hospitalier, dem Hôpital Kirchberg, der geschlossenen jugendpsychiatrischen Abteilung im CHNP und dem für 2010 geplanten Zentrum in Pütscheid ist auch diese Versorgungslücke dabei, geschlossen zu werden. Den Jugendlichen, aber nicht nur ihnen, kommt zudem der Ausbau der betreuten Wohnstrukturen zugute. Seitdem sich die Krankenkassen an der Finanzierung der psychiatrischen Hausversorgung beteiligen, konnte die Zahl der Wohnplätze um 70 auf insgesamt 160 gesteigert werden. Bis zu den in der Rössler-Studie von 2005 veranschlagten 350 Wohneinheiten ist es zwar noch ein weiter Weg, aber Koordinator Roger Consbruck aus dem Gesundheitsministerium ist zuversichtlich, dass man das „in den nächsten Jahren schaffen“ werde. 

Dann könnte endlich die unmögliche Situation der Langzeitpatienten besser angegangen werden. Schätzungsweise 60 Dauer-Patienten leben im CHNP und „blockieren“ Betten, die eigentlich für die Rehabilitation gedacht sind. Nicht wenige von ihnen wohnen seit zehn, fünfzehn Jahren in der Einrichtung und können sich ein Leben ohne CHNP kaum mehr vorstellen. Man arbeite daran, eine „menschenwürdige Lösung zu finden“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. 69 Betten hat das CHNP für diese Patienten angefragt. „In Zukunft wollen wir verhindern, dass weitere solcher Fälle entstehen“, versichert CHNP-Pressesprecher Ricardo Tava­res. Die Verwahranstalt soll endgültig der Vergangenheit angehören.

Dafür aber braucht es mehr als neue Infrastrukturen. „Die größere Herausforderung liegt darin, alte Denkweisen und Verhaltensmuster zu ändern“, betont Wulf Rössler. Fünf Jahre nach dem Startschuss zur Reform und unzählige Gespräche in Rahmen der Psychiatrieplattform später ist das tief verwurzelte Misstrauen gegen-über dem CHNP noch nicht gänzlich ausgeräumt, sind alte Antagonismen noch nicht verschwunden. Mit der Vorlage eines strategischen Plans und seiner Spezialisierung auf Psychogeriatrie, Suchttherapie, Jugendpsychiatrie und Sozial- und Gemeindepsychiatrie hat das CHNP den Umbauprozess zwar selbst in die Hand genommen und der neue Leiter Jo Joosten ist bemüht, allen Einwänden und Bedenken offen entgegenzutreten. 

So leicht ist die Vergangenheit aber nicht abzustreifen. So sorgte die Ankündigung des CHNP, seinen landesweiten ambulanten Dienst Spad (Service des soins psychiatriques à domi-cile) ausbauen zu wollen, bei den außerstationären Anbietern für Abwehrreaktionen. Sie fürchteten neue Konkurenz durch den einstigen Monopolisten. Die CHNP-Direktion bemüht sich, derartige Zweifel zu zerstreuen: Der Spad sei komplementär zu bereits bestehenden Strukturen. Parallel wird an der Qualität gefeilt. Rund 10 000 Weiterbildungsstunden hat die Klinik für 2007 veranschlagt. Regelmäßige Konzertationen und Teamsitzungen sollen helfen, aus den Filières ein Ganzes zu schmieden – und die Anbindung an andere Strukturen zu verbessern. Denn die Übergänge zwischen Akut- und Rehaklinik und ausserstationä­rer Versorgung klappen noch immer nicht optimal. 

Bleibt die Frage der psychisch kranken Rechtsbrecher. Am vergangenen Freitag genehmigte der Regierungsrat die Einrichtung einer „structure à part“ innerhalb des CHNP. Die sicherheitsverstärkte forensische Abteilung ist nur als Übergangslösung gedacht: Im Gesundheits- und Justizministerium gibt es Überlegungen, psychisch kranke Straftäter ganz aus dem CHNP herauszunehmen und extern, vielleicht sogar im neuen Gefängnis in Sassenheim, unterzubringen. Ob da eine bessere Versorgung geleistet werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber immerhin könnte sich das CHNP in Ruhe auf den internen Umbau konzentrieren. Dann hoffentlich ohne Negativschlagzeilen.

Ines Kurschat
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