Heute loben wir den wirksamen Heimatschutz. Wie kann es nur passieren, dass unseren tapferen Soldaten am Nikolaustag keine Boxemännercher geliefert wurden? Wer hat diese nationale Tragödie zu verantworten? Ein Minister, der weder sich, noch sein Amt, noch seine Truppe im Griff hat? Musste es wirklich soweit kommen, dass entnervte Heeresangehörige Boxemännchen, wou bass de? riefen, per Transparent an der Kasernenfassade? Weiß denn der Minister nicht, dass unsere Heimat nicht nur am Hindukusch, sondern auch in den großherzoglichen Backstuben verteidigt wird? Ist dieses katastrophale Boxemännerchers-Mobbing nicht ein Indiz für den Verfall unserer Sitten und Gebräuche? Ein Anschlag also auf unsere Identität und unser Selbstwertgefühl?
Wir sollten über diese Herrenberg-Farce nicht voreilig den Kopf schütteln. Betrachten wir lieber das Wesen des Boxemännchen. Wir haben es hier mit einem Gebäck von männlicher Gestalt zu tun, einer zumeist plump geformten, eher schematischen Figur. Warum denn soviel Aufhebens um diesen unscheinbaren, fast schon grobschlächtigen Kerl aus Teig? Ziehen wir den finnischen Psychotherapeuten Eska Lopp zu Rate, der in seiner Studie Zärtlichkeitsformen beim Militär folgendes schrieb: „Der Soldat, gegen seinen Willen ständig mit Blut, Schweiß und Tränen konfrontiert, entwickelt mit der Zeit ein starkes Bedürfnis nach tröstenden Objekten. Dazu gehören Plüschtiere, handgestrickte Puppen, Gebetbücher (sic), Rosenkränze, Fotos von Geliebten und Freunden, auch Talisman-ähnliche gadgets aller Art.“
Da haben wir’s. Der Boxemännchen ist nichts weiter als ein „Talisman-ähnliches gadget“ mit Trostcharakter. Unter seiner knusprigen Schale steckt ein weicher Kern, genau wie beim Soldaten. Seine diffuse Anatomie ist im Grunde nur Tarnung, genau wie beim Soldaten. Sein süßes Innenleben ist nämlich sehr differenziert, komplex und aromatisch, genau wie beim Soldaten. Wären wir besser bewandert in der Psychotherapie, würden wir sofort fragen: Könnte es sein, dass der Boxemännchen sozusagen das lenisierte Ego des Soldaten symbolisiert? Wie gesagt, auf diesem Gebiet sind wir grauenhafte Laien. Aber eines fällt uns auf: unsere Soldaten sind zwar oft als Brutalos verschrieen, doch in ihren Herzen lodert die Sehnsucht nach den Boxemännercher. Wer sie auf Boxemännchen-Entzug setzt, der zerstört ihre Zärtlichkeitsenergien. Genau diesen Frevel hat sich der unsensible Minister geleistet. Wenn sich die Soldaten jetzt plötzlich verhärten und radikalisieren, weiß der Amtsinhaber, wieviel die Uhr geschlagen hat. Man verulkt nämlich keine tröstenden Objekte.
Was lernen wir aus dem Diekircher Boxemännerchers-Aufstand? Vor allem, dass wir stolz auf unsere Armee sein dürfen. Sie verhält sich vollkommen atypisch. Das ist in diesem Fall ein Segen. Sie setzt alle Klischees außer Kraft, die in unseren antimilitaristischen Köpfen umherschwirren. Wir haben uns schwer getäuscht. Gestern noch stellten wir uns das Militär als ungehobelte Bande vor, die jeder Zeit bereit ist, mit großformatigen Transparenten in die Schlacht zu ziehen. Auf diesen Spruchbändern steht: Panzer, wou bass de? Oder: Belsche Militärfliger, kënns de da bal? Oder: Wou bleiwen eis nei Granaten? Aber nie und nimmer hätten wir uns vorstellen können, dass gestandene Raubeine fast schon unter Tränen nach Boxemännercher heulen.
Früher lästerten wir leider noch maßloser über das Militär: Wir brauchen überhaupt keine Armee, das ist nur weggeworfenes Geld, statt Kasernen sollten wir soziale Einrichtungen bauen. Aber jetzt wird uns ganz weihnachtlich ums Herz. Soldaten, die sich buchstäblich vor Schmerzen winden, weil ihnen der böse Onkel aus dem Ministerium die Boxemännercher vorenthält, haben zweifelsfrei eine verwundbare Seele und ein friedliches Gemüt. Bei ihnen ist der Heimatschutz gut aufgehoben. Im Ernstfall werden sie nicht wahllos dreinschlagen und draufhauen, wie es zum schlechten Stil anderer Armeen gehört. Sollte sich die Krise zuspitzen, setzen unsere Soldaten auf die Boxemännercher-Strategie: statt Tränengas nur Streicheleinheiten für das gepeinigte Volk. Und auf jedem Bajonett ein verführerisch duftender Boxemännchen.
Dem tollpatschigen Minister hingegen können wir nur raten, mal in den Schriften von Eska Lopp nachzublättern und sich folgenden Passus hinter die Ohren zu schreiben: „Der Soldat ist mit seinem Auftrag, ununterbrochen Land und Leute, wenn nicht gar die Welt zu retten, derart überfordert, dass er förmlich lechzt nach Surrogaten, die ihm unproblematisch und beruhigend vorkommen. Ein Boxemännchen am Nikolaustag etwa (sieh an! der Finne weiß auch hier schon Bescheid!) ist für den Staat eine verschwindend geringe Investition, aber für den einzelnen Soldaten eine unschätzbare Stütze seines inneren Gleichgewichts.“
Wir wissen nicht, ob es stimmt, doch man erzählt, viele Rekruten auf dem Herrenberg würden ihre Boxemännercher gar nicht aufessen, sondern sie ein ganzes Jahr lang mit ins Manöver nehmen. Wenn das kein Friedensbeweis ist.