Heute loben wir das Universum. Es hält immer wieder wunderschöne Überraschungen bereit. Soeben wurde zum Beispiel ein Erdzwilling entdeckt, also ein Planet, der im Prinzip bewohnbar wäre wie unser Globus. Dieser kecke Himmelskörper mit dem wohlklingenden Namen Kepler 22b umkreist ebenfalls einen sonnenähnlichen Stern und braucht für eine Umrundung nur 290 Tage. Die Jahre sind also bedeutend kürzer als in unseren Breitengraden. Würden wir uns auf Kepler 22b heimisch einrichten, könnten wir viel länger leben als auf unserer herausfordernd langsamen Erdkugel. Unser durchschnittliches Lebensalter läge plötzlich bei 100 Jahren. Allein dieser Vorteil wäre ein guter Grund, den verlockenden Erdzwilling mal ganz praktisch anzupeilen.
Jetzt mal im Ernst: Kepler 22b schwebt genau vor unserer Haustür, wir haben nur 600 Lichtjahre zu überwinden, um mit Kind und Kegel in diesem planetarischen Paradies zu landen. Mittlerweile sind wir ja in der Lage, berauschend leistungsstarke Transportmittel zu entwickeln, die uns erlauben, spielend von Stern zu Stern zu wandern. Worauf warten wir also? Wir könnten sofort mit der Auslagerung der Menschheit beginnen. Die Frage wäre nur: Schicken wir die Guten oder die Bösen für immer ins Weltall? Sollen wir den Gutmenschen eine neue Heimat schaffen, oder die vereinigten Bösewichte sozusagen ins heilsame Exil verfrachten? Die zweite Lösung wäre jedenfalls logistisch interessanter. Wir könnten aus Kepler 22b eine riesige bad bank machen, also ein Eldorado für Halsabschneider, Hochstapler, Betrüger, Menschenschinder, Gewaltfanatiker, religiöse Eiferer und Finanzhaie.
Mit dem entsprechenden casting könnten wir unverzüglich beginnen. Natürlich lassen wir uns den Spaß etwas kosten. Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass wir das Glück haben, den unausstehlichen Teil der Menschheit auf einen Schlag loszuwerden. Auf unserem angestammten Planeten bleiben nur die Manierlichen und Gesitteten, die Sanften und Verständnisvollen, die Friedlichen und Gewaltfreien zurück. Zwar wird es dann ziemlich einsam in unseren Gefilden, wenn nicht gar völlig menschenleer, aber immerhin sind alle Übeltäter im Kosmos verschollen. Mutter Erde kann aufatmen. Ihre schlimmste Plage hat sich verkrümelt. Die ausgelagerte Fraktion der Menschheit darf dann nach Lust und Laune Kepler 22b ruinieren, nach bewährtem Muster. Es wird uns nicht mehr berühren. Sollte uns die Neugier überkommen, werden wir über Weltraumteleskope kopfschüttelnd verfolgen, wie die Unbelehrbaren erneut einen ganzen Planeten vergiften und zugrunde richten. Wir aber (Sie merken, wir gehen intuitiv davon aus, dass wir beim vernichtenden casting durchfallen) leben hier endlich so, wie es sein sollte: ökologisch bewusst, sozial kreativ, politisch höchst vernünftig, philosophisch stets auf der Höhe unserer schönen Bescheidenheit. Geben Sie es einfach zu: eine derart betörende Weihnachtsgeschichte hat man Ihnen schon lange nicht mehr erzählt. Es lohnt sich eben, immer brav das Universum im Auge zu behalten.
Allerdings sollten wir die radikalere Lösung nicht aus den Augen verlieren. Fast zeitgleich zur Entdeckung des Erdzwillings meldeten Astronomen die Existenz von zwei gewaltigen schwarzen Löchern, das sogenannte Binärsystem OJ 287. Diese Giganten sind zehn Milliarden Mal so schwer wie unsere Sonne und bewegen sich nur rund 300 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Das ist ein Klacks in Zeiten, wo unsere Rechensysteme Purzelbäume schlagen und wir uns längst angewöhnt haben, in Billionen und Trillionen zu argumentieren. Kurz gesagt: in unserer unmittelbaren Nachbarschaft eröffnet sich die Möglichkeit, mit unserem ganzen, zutiefst verrotteten Planeten in Tausendstelsekundenschnelle Schluss zu machen.
Schwarze Löcher haben nämlich die schöne Eigenschaft, alles zu verschlingen, was ihnen in die Quere kommt. Es tut nicht weh, es geht rasend schnell, wir werden es nicht einmal merken. Schwups! haben sich all unsere unlösbaren Probleme in Wohlgefallen aufgelöst. Es wäre sozusagen ein völlig schmerzloser und zudem äußerst sauberer Weltuntergang. Das sollten wir uns genau überlegen. Statt von Krise zu Krise zu torkeln und uns in immer drastischere Gewaltausbrüche zu verstricken, könnten wir ja der kosmischen Barmherzigkeit der schwarzen Löcher vertrauen. Das Universum braucht sich nur minimal zu verschieben, schon sind wir für ewige Zeiten weg. Und das Schönste wäre: keiner würde uns nachtrauern, nirgendwo im Universum gäbe es ein Denkmal oder auch nur eine Erinnerungsplakette für die verschwundene Menschheit. Die schwarzen Löcher würden also buchstäblich für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen: eine tolldreiste Gattung wie die unsere, die es zunehmend bunter treibt und auf Vernunftappelle gar nicht mehr reagiert, hat – in kosmischen Dimensionen betrachtet – nichts Besseres verdient als den hyperschnellen Untergang. Jetzt wollen wir aber noch einmal ganz genau hinhören, wenn landauf landab die jingle bells erklingen. Es könnten die letzten sein.