Heute loben den nationalen Kochbuchwahn. Wir Luxemburger sollten unsere verborgenen Qualitäten endlich ins europäische Schaufenster stellen. Von allen Ländern auf dem Kontinent haben wir nämlich die größte Kochbuchdichte. Gleich ein halbes Dutzend konkurrierende Kochbuchverlage versorgen unsere bescheidenen Hütten mit immer neuen Rezeptstapeln und Fressanleitungen. Auf den Bestsellerlisten erscheinen fast nur noch Werke von lebenden Pürierstäben, Multifunktionsmixern und Teigknetmaschinen.
Darauf können wir stolz sein. Wer spricht denn noch von Literatur? Was soll das sein? Die Literatur wird hier neuerdings buchstäblich im Abfalleimer unter der Kochplatte entsorgt. Das sollte uns nicht stören. Wer sich üppig den Magen vollschlägt, ist ein durch und durch friedlicher Zeitgenosse. Was man von den allermeisten Schriftstellern, diesen Hungerkünstlern mit ihren mageren Buchstabensuppen, leider nicht sagen kann.
Betrachten wir andächtig das nationale Tetty Kull-Syndrom. Tetty Kull war eine berühmte, als Köchin getarnte Heiratsvermittlerin. Sie hatte erkannt: Liebe geht durch den Magen, aber nicht unbedingt durch den Kopf. Liebe will geschmiert sein, also brauchen wir zunächst mal zwei Pfund Butter, einen Liter Sahne, einen Liter Sonnenblumenöl, und dann überlegen wir kurz, was wir noch in die Schmorpfanne schmeißen können. Je fetter, umso better. Eheleute sollen ja nicht gleich an Magersucht eingehen. Ein voller Bauch, das wissen erfahrene Liebesathleten, dient im Ehebett als lustförderndes Trampolin. Ein Glück also, dass das große Tetty Kull-Kochbuch jetzt wieder verfügbar ist. Wir können das verlegerische Glanzstück nur begeistert loben. Schluss mit den elenden Scheidungsraten! Tetty Kull wird ganz sicher die kollektive Heiratswilligkeit wieder rasant ankurbeln. Hoch sollen sie leben, die speckglänzenden Liebschaften!
Brauchen wir neben unserem Tetty Kull-Standardwerk auch noch Literatur? Nein, ganz sicher nicht. Keinem Bürgermeister würde einfallen, zwei Frischvermählten zum Beispiel einen Gedichtband von Guy Helminger mit auf die Reise zu geben. Mit solchen Büchern kommt einfach nichts auf den Teller. Gedichte lesen verhindert übrigens das Paarungsverhalten. Ein Liebeslager wird ja nicht eingerichtet, damit die Liebeskandidaten endlos über schwer verdauliche Lyrik diskutieren. Auf diese Weise vergeht Nacht um Nacht ohne praktische Betätigung der entscheidenden Gliedmaßen. Lyrik ist ein Liebestöter erster Güte. Wir Liebesanhänger steigen ja nicht in die Kiste, um uns mit Hexametern herumzuplagen. Wahrscheinlich sind Gedichte auch noch potenzmindernd. Wir können also mit Fug und Recht behaupten: Literatur, ganz im Gegensatz zur Tetty Kull-Philosphie, ist eine familienpolitisch verheerende Angelegenheit. Wer eine Familie gründen will, sollte sich hemmungslos Tetty Kull anvertrauen. Aber nicht den Lyrikern, die nicht einmal Magensäfte stimulieren können.
Überhaupt, worüber beschweren sich eigentlich die Schriftsteller? Dass ihre literarischen Werke verschwinden unter den Lawinen von Kochbüchern? Dass sie platt gewalzt werden von dickleibigen Speisenkatalogen? Diese Berufsnörgler sollten sich mal hinter die Ohren schreiben: ein einziges Rezept von Tetty Kull ist ein Gedicht, ein ganzes Menü gar ein Roman. Wenig Text und viele Fotos, das ist die wahre Volksliteratur. Erst kommt das Fressen, dann kommt gar nichts mehr. Wer nicht essen will, kann ja lesen. Er darf sich nur nicht wundern, dass er mit seinem Buch ziemlich einsam auf weiter Flur hockt.
Wir sollten das Lesen mal nicht überschätzen. Lesen ist nichts weiter als eine Buchstabenwiedererkennungstechnik. Wer liest, will sich nur vergewissern, dass ihm alle Buchstaben in wechselnden Reihenfolgen noch geläufig sind. Dass Buchstabenkombinationen in der Regel auch einen Sinn ergeben, ist das Problem. Warum zum Teufel sollten wir uns einen Sinn aussuchen, der uns nachher schwer aufs Gemüt drückt? Wenn wir hingegen in unserem Tetty Kull-Buch blättern, wird uns leicht und freudig zumute. Der Sinn springt uns sofort ins Auge. Nun koch mal schön und vergiss den ganzen Rest. Statt ständig vor Wut zu kochen über ihre Erfolglosigkeit, könnten die Schriftsteller zur Abwechslung mal ganz gelassen am Herd kochen. Man kann sich hierzulande nicht dauerhaft selber aus der Tetty Kull-Community ausschließen. Das schafft nur Magenverstimmung. Und ist sozial kontraproduktiv.
Und wenn die Schriftsteller unbedingt darauf bestehen, ihre literarische Energie weiter zu befeuern, dürfen sie getrost ein paar Tetty Kull-Rezepte umdichten. Mielkniddele mat Speck in Sonettform? Warum nicht. Davon wird zwar noch keiner satt, aber es klingt schon mal vielversprechend. Dürfen wir hier einen kühnen Gedanken loswerden? Wer hält die Schriftsteller eigentlich davon ab, Tetty Kulls bewegtes Leben fürs Theater zuzubereiten? Als bühnensprengendes, kulinarisches Antiken-Spektakel? Danach wird aber flugs die Kochmütze aufgesetzt. Der Schreibstift ist eben kein Bräiläffel.